Selbstgespräche über Bäume
„Was sind das für Zeiten, wo / Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist / Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!“
Dieses Zitat aus seinem Gedicht „An die Nachgeborenen“, das uns der miesepetrige Bertolt Brecht gleichsam ins Stammbuch geschrieben hat, wirft auch heute noch einen kräftigen Schatten auf die Naturlyrik, insbesondere die deutschsprachige. Nichtsdestotrotz arbeiten sich eine Reihe von zeitgenössischen Autoren sehr ernsthaft an diesem Gebiet ab. Einer von ihnen ist Andreas Altmann, der 1963 im sächsischen Hainichen geboren wurde und seit einigen Jahren in der Metropole Berlin lebt. Sein neuster Gedichtband trägt den Titel „Das zweite Meer“, womit er den Himmel als Luftmeer meint: „die baumruinen zeichnen sich im himmel, / der das land berührt. an ihnen fließt die luft / in strömen“. Oder aber auch das „Erdmeer“: „die scherbenblätter wurzelloser bäume treiben / im steinfeld“.
Bereits in diesen kurzen Zitaten werden die Charakteristika seiner lyrischen Konzeption deutlich. Altmanns poetische Welt beschränkt sich im Wesentlichen auf die drei Grundelemente Luft, Wasser und Erde – das Feuer kommt nur zweimal vor. Seine Betrachtungen gelten vornehmlich einer Küstenlandschaft, speziell in den Abschnitten „Gemälde mit Fischreiher“ und „Das Jahr an der Küste“. Viele Reflexionen drehen sich um Bäume, immer wieder Bäume, Tiere, die ihren Platz in der Landschaft suchen, sowie Relikte, die der Mensch dort hinterlassen hat. Dabei werden die Elemente der Natur oftmals personifiziert: „wolken stechen in see“; „das licht wellt sich auf dem wasser und ermattet am strand“. Und Regen, viele Seiten langer Regen sorgt für die melancholische Grundstimmung dieses Buches.
das gerufene
die nächtlichen worte des regens ziehen sich über
die straßen der vorstadt. und spiegeln ihr schweigen.die gebäude sehen den bäumen ähnlich, die mit
ihrer kalten haut die augen berühren. tausende stämmeliegen gestapelt auf dem platz hinter dem sägewerk
mit aufgeschnittenen jahresringen. nur das gründer kiefern, die das waldstück umranden, hält das licht
in der schwebe. die zeiger auf der bahnhofsuhrsind liegengeblieben. ein förderband, das an der lade
rampe steht, schaufelt die luft. der zug scheint immerhäufiger zu halten. die bäume gestikulieren nervös.
drahnsdorf, uckro, waldrehna und prösen werdendie orte gerufen. worte, die ihre anker gelichtet haben.
und die zeit ihnen hinterhertreibt. das wartehäuschenhaben sie mit geleerten papierkörben aus beton voll
gestellt. dreiarmige räder verdrehen dem wind die köpfe.mehr sind es geworden. auf der falschen seite des zuges
bin ich ausgestiegen, als würde es etwas ändern.
Stilistisch fällt auf, dass Altmann konsequent die Kleinschreibung verfolgt und lediglich zwei lyrische Formen verwendet: Gedichte mit sechs bis zehn zweizeiligen, ungereimten Strophen und kompakte Texte aus sieben bis achtzehn Zeilen. Die abgedruckten 63 Gedichte sind in sieben Abschnitte untergliedert, von denen der Teil „Gemälde mit Fischreiher“ bereits im Jahr 2008 als bibliophile Ausgabe erschienen ist. Der vorliegende Band aus einem jungen Verlag kommt zwar gediegen gebunden, mit Hirschen auf dem zweifarbigen Cover aber auch etwas bieder daher.
Die große Stärke der Gedichte von Andreas Altmann liegt in ihrer Klarheit. Seine lyrischen Texte sind luzid, deshalb liest man sie gern. Auch die Konzentration auf den Bereich der Natur wirkt sich durchaus positiv aus. Etwas nachteilig macht sich bemerkbar, dass die Wortfelder sehr überschaubar bleiben, Altmann nur wenige Wortneuschöpfungen verwendet und kaum überraschende sprachliche Wendungen. Besonders gelungen sind die Texte dort, wo sie das poetische Inventar erweitern und die persönlichen Reflexionen konkretisieren wie im Kapitel „Paare“.
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