Eine Überdosis Understatement
Andreas Dorau hat gesprochen, Sven Regener hat aufgeschrieben. Ein Schelmenroman sei es geworden, findet Regener, Dorau weiß das nicht so genau. Immerhin aber keine Biografie, meint er, denn die seien langweilig. Das Problem aber: »Ärger mit der Unsterblichkeit« ist das auch.
2:40 Minuten. Mehr brauchte es nicht, um einen Teenager unverhofft zum Star zu machen. Andreas Doraus »Fred vom Jupiter« wurde zu einem der großen Hits der Neuen Deutschen Welle, wie sie Jürgen Teipel in seiner Oral History Verschwende deine Jugend portraitiert hat. Der Komponist war damals 16 Jahre alt, seine Backgroundsängerinnen 11 bis 14 und das Ganze Teil eines Schulprojekts. Fast wäre der Song mit samt schallendem Refrain nie veröffentlicht wurden. Nicht, weil irgendjemand das Stück nicht gemocht hätte, sondern weil Doraus Lehrer der Meinung war, es gehöre der Schule. Der nimmt den Gesang aber schnurstracks an anderer Stelle neu auf und Kurt Dahlke (alias Pyrolator) bringt es auf dem Düsseldorfer Label Ata Tak heraus. »Fred vom Jupiter« erscheint kurz nach dem zerstörerischen Debütalbum »Kollaps« des West-Berliner Kollektivs Einstürzende Neubauten und entwickelt sich zum Hit.
2:40 Minuten braucht es im Durchschnitt, um die portionierten Anekdötchen zu lesen, die Andreas Dorau seinem Musikerkollegen Sven Regener über ein paar Zigaretten diktiert hat, für die er womöglich dann doch mehr als 2:40 Minuten brauchte. Der schrieb sie, so lose sie aus Dorau heraussprudelten, auf und jetzt liegen sie in gebundener Form vor. Ärger mit der Unsterblichkeit heißt diese Sammlung, so wie ein Album Doraus, das 1992 ebenfalls bei Ata Tak erschien. »Sven bezeichnet das Ganze auch als eine Art Schelmenroman, aber dazu kann ich nicht viel sagen, er hat von Literatur mehr Ahnung als ich«, äußerte sich Dorau gegenüber Sven Sakowitz von der taz. Immerhin aber weiß er, dass es keine Biografie sei, denn Biografien seien »langweilig«. »Kurze, knackige Geschichten« seien zu lesen, meint er selbst. Die sind jedoch leider im Großen und Ganzen ziemlich langweilig.
Der junge Dorau wird in einer der spannendsten Zeiten der deutschen Musikgeschichte zum verstört-verstörenden Jugendstar. Punk ist langweilig geworden, die Attitüde wird jedoch für neue Abenteuer urbar gemacht: Alle greifen zum nächstbesten Instrument und legen los. Sein bester Gitarrenlehrer, so erinnert sich auch Dorau, war Holger Hiller. Der nämlich zeigte ihm die Möglichkeiten elektronischer Instrumente auf. In den Epizentren der Neuen Deutschen Welle – Düsseldorf, Berlin und Hamburg, wo auch Dorau seine Karriere begann – formierte sich entweder eine neue Ernsthaftigkeit, wie sie unter anderem die Einstürzenden Neubauten in ihrer nihilistischsten Ausprägung verkörperten, oder das genaue Gegenteil davon. »Filme in Deutschland dürfen witzig sein, aber nicht unernst! «, endet Doraus Erinnerungen an seinen Abschlussfilm an der Hochschule für Fernsehen und Film in München, wo es ihn zum Studium hingezogen hatte. Das lässt sich so auch über Musik sagen. Dorau und andere gehen mit heiligem Unernst dagegen vor.
Diesen Unernst hat Dorau immer noch nicht abgelegt, er verkauft ihn (und damit: sich) weiterhin bestens. Weil er aber seine sehr, sehr unernsten Memoiren dem sehr, sehr ernsten Sven Regener diktiert hat, ist das Resultat nicht mehr als ein fades Understatement, das in Überdosis daherkommt. In Ärger mit der Unsterblichkeit verdichtet sich Doraus vorgeschobene Naivität bis zur Unerträglichkeit und seine Bescheidenheit wird bis zur absoluten Großkotzigkeit aufgebläht. Schauspieler mag er nicht, findet »den Gedanken, meinen Lebensunterhalt mit Musik zu verdienen, (…) irgendwie abstoßend« und sonst immerhin ein paar Dinge gut. Hunde zum Beispiel, denn »Tiere ziehen eben irgendwie immer. « Zumindest, wenn er ihnen nicht real begegnet, sondern sie in seinen Songs, Opern oder Filmen herbeifantasiert – und auch das nur, solange er nicht lebendige Fische auf Theaterbühnen auskippt. Wie befreiend der Unernst Doraus manchmal auch kommen mag, hin und wieder ist er eben einfach nur debil.
Dorau, der sich als »progressiver, elektronischer Musiker« bezeichnet, reiht angebliche Zufälle und Provisorien aneinander. Der Soundtrack zu Manta – der Film? Ein bisschen Rumgesample auf engem Raum, mehr nicht. Der unerwartete Frankreich-Erfolg von »Girls In Love«? Lag wohl daran, dass die hiesige Clubbevölkerung aus dem Remixer-Pseudonym Wolfgang Voigts – Grungerman – einen grand germain gemacht haben und Dorau wie genau so einer aussieht. Und so weiter, und so fort. Witzig ist das schon irgendwie, gerade wegen seiner Attitüde, die bei Dorau stets das Konzept zu ersetzen scheint, doch keinesfalls nicht auf Dauer und über die Länge eines gesamten Buches hinweg. Die besseren, weil ebenso verkorksten Erinnerungen lieferte da doch Wolfgang Müller ab, der seinem genialen Dilettantismus auf voller Länge konsequent treu blieb.
Doraus Format ist das kurze, pointierte, nicht aber die Langstrecke. Die 2:40 Minuten von »Fred vom Jupiter« sind wesentlich ergiebiger als die gesamten 192 Seiten von Ärger mit der Unsterblichkeit. Und das, obwohl Dorau den Song selbst als »zweifelhaften Hit, einen Ausrutscher« bezeichnet. Auweia.
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