Die Welt verabschiedet sich in eine parallele
Es beginnt harmlos. Die Post wird ausgeliefert, Wetter und Beziehung sind mäßig bis schlecht, dann eine Reise an die Ostsee und weitere Alltagsbilder, Erinnerungen an Großmutter, Küchengespräche und lange Nachmittage in Papas Garage. Passiert hier eigentlich noch irgendwas Spannendes? Schon will man sich nach der Lektüre des kleinen Zyklus zu einer Thüringenreise (Landsitze, Waldspaziergänge und Kanonendonner) mit „Buttergebäck und Tütencremes“ in einen entspannten Nachmittag verabschieden. Doch dann ist man plötzlich hellwach. Der harmlose Einstieg scheint bedacht gewählt, wie eine Ruhe vor dem Sturm. Doch die Zeichen sind schon da. „Im Winter dann sind wir dran.“
Nach „Die Ordnung des Schnees“ von 2005 erschien vor kurzem der zweite Lyrikband des 1967 geborenen Autors im Horlemann Verlag. Je weiter man sich dort voranliest, desto mehr wird man einer Veränderung gewahr, die „Anzeichen einer Umkehr“ werden deutlicher. Abgaswolken, Atomkraftwerke, Klimapolitik im „Zeitalter des Hochglanzabzugs“: Es herrscht Endzeitstimmung in Münzners Welt, in unserer Welt, in der man schleunigst die Bremse ziehen sollte. Das Klima spielt verrückt, „der Mensch heizt schon die nächste Eiszeit ein und schweigt“ und wenn hier noch etwas tanzt, dann ein „gelbes Speedboat“ der Börsenspezialisten. Ansonsten ist bald Schicht, schon zieht sich das Licht zurück.
„Wo ist denn nur die Menschheit hin?“, fragt Münzner und bringt die Sedimente des Alltags ins R.utschen. An einem Sommertag, der keiner ist, löst sich die Welt aus der Verankerung. Ein Kind stürzt in ein Messer, das „Handy neben der Tasse lockt keine Aufträge, auch wenn der Mittelstand // verstärkt den Aufschwung spürt, so stand’s // im Wirtschaftsteil“. Immer abgasschwerer werden die Wolken, die Vorstadthäuser bleiben leer, Reiseträume gibt es nur noch ohne Kinder und überhaupt: „Die Welt verabschiedet sich // in eine parallele“. Früher gab es wohl so etwas wie Kontinuität, heute nur noch ein „mühsames Annähen der neuen Gegenwart“.
Auch im „Geschäftsbericht“, dem letzten Gedicht des Bandes, fällt die Prognose negativ aus und man wundert sich nicht. In Münzners Endzeitstimmungsband hat man nicht unbedingt erwartet, nach dem Tunnel der Sonne zu begegnen. Vorerst. Kommunikation, nicht digitale, sondern zwischenmenschliche, könnte laut Autor ein Ausweg sein. Ansonsten gilt: „Ein Tor ist, wer seine Träume nicht umbenennt“. Recht bleiern wird man als Leser zurückgelassen mit diesem höchst erfreulichen Stück Literatur. Seine blickoffenen Gedankenspiele verpackt der in Zürich aufgewachsene und nun in Hamburg lebende Schriftsteller sprachgenau und unaufdringlich, meist freundlich, mal lakonisch und ohne erhobenen Zeigefinger. Beinah im Plauderton und stets mit Bezug zu greifbaren, alltäglichen Dingen, vermag Münzner den Leser in seine Gedichte voller Fragen, Traurigkeit und Stillstand zu verstricken.
Wie es weitergehen soll? So genau wird das nicht erörtert, einen konkreten Ausweg aus der Trostlosigkeit bietet der Autor nicht an. Ist auch nicht nötig. Münzners Versuch, gewisse Zustände erst einmal zu umkreisen, zu verstehen und zu benennen, hat es schon in sich. Neben der Kommunikation scheint die Hinwendung zur Natur dem Autor ebenfalls ein Schlüssel für eine hellere Zukunft. Wenn draußen Falkenpärchen mit „langgezogenen Pfiffen“ Kontakt halten und das „ungeduldige Zerren des Windes am Jackenstoff als Gegenwartsbeweis“ dient.
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