Von sorgenvollem Grau zu bunter Melodie und ein Baum, der nichts mehr hergeben will
Antje Damm: Der Besuch
Es klopft. Noch nie hat es an ihrer Tür geklopft. „Auf keinen Fall würde Elise aufmachen.“ Sie hat ja schon Angst vor Spinnen. Vor Bäumen. Erst recht vor Menschen. Vor dem Leben an sich: Deshalb sperrt sie es aus und geht nie aus dem Haus. Aber es klopft und klopft und klopft…
Trist ist es bei Elise. Aschenfarbig. Der Schrank, der Tisch, die Bilder – die ganze Wohnung ist trübselig und grau. Wie sie. Es ist ein sorgenvolles Grau, das aus ihrem tiefsten Inneren kommt. Nach außen schwappt und in die kleinsten Ritzen sickert, so übervoll ist sie davon. Nicht mal ihre Pflanzen haben noch Lust aufs Grünsein. Und jetzt steht plötzlich so ein Knirps vor ihrer Tür – sie hat all ihren Mut zusammengenommen und doch aufgemacht: rote Baseballkappe, zitronengelbes Shirt, rote Hose. Barfuß, stupsnasig, sommersprossig: „Wo ist mein Flieger?“ Das war dieses blaue Etwas, das Elise sofort verbrannt hat. Durchs offene Fenster ist es hereingeflogen, als sie mal wieder geputzt hat, was ihre Lieblingsbeschäftigung ist. In der Nacht ist ihr der Papierflieger dann um die Ohren gesaust – alptraummäßig.
Jetzt muss er auch noch aufs Klo. Dringend. Und überall, wo der Pimpf langstapft, wird es bunt. Kommt Farbe in Elises Leben: die Treppe leuchtet plötzlich kirschrot, Sonnenstrahlen spielen farbig an den Wänden, und das Foto von Elise im Ballkleid blitzt und funkelt. Ein Märchenbuch möchte Emil vorgelesen bekommen, dann will er spielen, „und als er Hunger bekam, schmierte Elise ihm ein Butterbrot“: rotwangig und glücklich in ihrer heiterfarbigen Wohnung.
Ein blauer Papierflieger - dieses kleine unscheinbare Ding bringt den Stein ins Rollen. Und Emil. Zum Glück war er hartnäckig, hebt Elises farblose Welt aus den Angeln und lässt lebenslustige Fröhlichkeit blühen. Absichtslos, nur weil er ist, wie er ist. Und Elise: Zum Glück lässt sie sich auf die Forschungsreise ein und verwandelt sich an diesem Nachmittag zu einem bunten Menschen. Herzerfrischend ist die Geschichte, die Antje Damm in ihrem Bilderbuch „Der Besuch“ erzählt. Sie rührt an, verzaubert - man möchte das Kleinod kaum wieder aus den Händen legen. Alles stimmt: Der Text, der keinen Schnörkel zu viel hat, vermählt sich kongenial mit den außergewöhnlichen Illustrationen. Damm hat eine Art Puppenstube aus Karton gebaut, Elise und Emil ausgeschnitten und lässt sie dort, wie auf einer kleinen Bühne interagieren. Sie hat alles koloriert, die Szenen unterschiedlich beleuchtet, dann fotografiert. Es ist also viel mehr als ein Bilderbuch: Es ist ein kleines, zauberhaftes Theaterstück in Buchformat - eine einzige bunte Melodie, die fließt und schwingt und klingt.
Oliver Jeffers: Steckt
Ein schöner, feuerroter Drachen. Nur kann er jetzt keine Schleifen mehr in den blauen Himmel malen, er hat sich nämlich verfangen im Geäst eines großen Baums. Da kann Floyd noch so ziehen und zerren – „der Drachen steckte fest.“ Also zieht er seinen grünen Schuh aus, schmeißt ihn nach dem Drachen. Pech - der bleibt auch stecken. „Floyd warf seinen anderen Schuh nach seinem Lieblingsschuh… und – kaum zu glauben – auch der blieb stecken.“ Wie gut, dass gerade Mitch in der Nähe saß – und – schwupp: „Katzen bleiben ja ständig auf Bäumen stecken, aber das ging langsam zu weit.“ Eine Leiter ist die Lösung! Allerdings sollte man sie nicht hochwerfen, schon gar nicht in einen Baum, der nichts mehr hergeben will…
Das ist nun wirklich nicht mehr lustig: Der kleine Rotschopf tobt vor Wut und schleudert alles, was ihm in die Quere kommt in den Baum: eine Ente, ein Fahrrad, die Küchenspüle, die Haustür, den Milchmann…. Ein Ding größer als das andere pfeffert er nach oben, wie im Rausch: nach dem Orang-Utan einen LKW, einen Leuchtturm, „einen neugierigen Wal, der zur falschen Zeit am falschen Ort war.“ Selbst die Feuerwehrmänner, die ihm nur helfen wollten, landen schnurstracks im Baum. Samt Feuerwehrauto. „Und dort oben blieben sie auch. Festgekeilt zwischen dem Nashorn und dem Schiff.“
Skurril, schräg und schrill: „Steckt“ von Oliver Jeffers ist nicht nur eigensinnig und originell mit seinen gewitzten Schleifen und Wendungen, seinen phantastischen Unmöglichkeiten und dem Schluss, der doch kein echtes Ende ist. Auch der Text - knapp, pointiert, rhythmisch - ist ein amüsantes Vergnügen, die Illustrationen sind wundervoll: Floyd mit abstehenden Halbmondohren und spindeldürren Strichmännchenbeinen – der ganze kleine Kerl bewegt sich, als wäre er aus Gummi. Der Baum ein kritzeliges Wollknäuel mit furchigem Stamm und das pfiffige Farbenspiel: Mal ist alles in rot getaucht samt Hintergrund, dann ist alles blau auf zartrosa, nur der Drachen leuchtet rot. Mal ist Floyd in Aktion ganz grün, mal orange oder hellblau. Und seine Mimik ist zum Schreien: Mit wenigen angedeuteden Strichen - seine Augenbrauen sind ein Balken, der je nach Gemütslage stocksteif oder geschwungen ist, gekrakelte Zorneswolken, die düster über seinem Kopf schweben, werden selbst die kleinsten seiner Stimmungsänderungen sichtbar. Es ist ein köstliches Bilderbuch, und statt mit Floyd mitzufühlen, ertappt man sich dabei, dass man sich bei jedem weiteren Ding, das im Baum steckenbleibt, diebisch freut.
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