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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Unerwartete Stille

Hamburg

Als „Asphalt-Rimbaud“ wurde Björn Kuhligk einst bezeichnet, sein „leicht rotziger, nie halbherziger“ Ton gepriesen, seiner Poesie wurde „street credibility“ attestiert. Keine Frage, dass all diese Prädikate durchaus zutreffend sind, aber sie stellen doch nur die halbe Wahrheit dar. In Kuhligks jetzt erschienenem fünften Gedichtband Die Stille zwischen null und eins wird dies deutlicher denn je.

Auf den ersten Blick würde man bei dem Berliner Autor von einem Stilwechsel sprechen.  Kuhligks partielle Abwendung vom Urbanen hin zum Ländlichen ist zunächst überraschend. Doch eine gewisse Sehnsucht nach Stille kündigte sich in fast allen vorherigen Gedichtbänden an; der Blick für das Abseitige und Verborgene sowieso. Am deutlichsten ist das aus heutiger Sicht an dem 2002 veröffentlichen Band Am Ende kommen Touristen abzulesen. Dessen Einband ziert das Gemälde Elegy for a dead Admiral des britischen Malers Jack Vettriano. Ein Bild, das die Poesie Kuhligks treffend zusammenfasst. Wie Standbilder aus Noir-Filmen wirken die präzise geschilderten Szenen. Die Spannungsfelder, die von den auf- und abtauchenden Subjekten ausgehen, bleiben dabei meist im Ungefähren und lassen nur erahnen wie es weitergeht, wenn die Filmrolle abgespult wird. Kongenial setzt Kuhligk diese Minimalpoetik in seinem gleichnamigen Gedicht zu Vettrinaos Bild um.

Elegy for a dead Admiral.
Jack Vettriano

An der Erde bricht sich das Wasser
das früher durch seine Flotte
bewegt wurde, darüber Wolken
die zwei Nelken auf dem Tisch, die drei
Männer, sie stechen den Himmel
sie sitzt auf einem der Stühle
der Wind geht durch ihr Haar, sie hört
die Violinen, das Bitten
des Kellners, den Wein zu probieren

In Kuhligks neuem Gedichtband wird dieses Beobachten der stillen Situationen zum roten Faden, der die einzelnen Texte mal mehr und mal weniger stark miteinander verknüpft. Die bereits erwähnte Fokusverschiebung von der Stadt aufs Land hat daran zweifellos großen Anteil. Das heißt allerdings nicht, dass Kuhligk dem Trend der Provinzverklärung à la „Landlust“  und anderer lifestyle-Magazine anheimgefallen ist.

Zwar findet sich unter den neuen Gedichten eine Reihe von misstrauisch stimmenden Titeln, wie etwa Hallig Hooge im November, Frühlingserwachen oder Spiekerooger Mitternacht, liest man jedoch die darunter zum Vorschein kommenden Verse, ist man schnell beruhigt. Hier wird keine Idylle heraufbeschworen, kein Pathos ungebrochen stehen gelassen, werden keine hässlichen Details verschwiegen. Kuhligk weiß zu gut, auf welchem Terrain er sich bewegt, wenn bereits in einem der ersten Gedichte Und keine Apfelbäume die Warnung steht: „von einem deutschen Acker / darf nie wieder ein Wie-Vergleich / ausgehen“. Die Ironie von Sponti-Sprüchen klingt hier genauso an wie die immer noch geltenden Verse Brechts An die Nachgeborenen.

Dennoch zeigt sich in Gedichten wie Nachdem wir den Baum schlugen, dass eine stille natürliche Schönheit, eine geschärfte Beobachtung des Ländlichen immer noch möglich ist.

Nun ist die Erde zu taub, um Zäune
zu ziehen, wäre sie aufgeworfen
dampfte sie, die Herde im Freilandgehege
wir gehen durch den Neuschneegarten
die Fährte, die wir hinterlassen, ist
schmal wie die stumpfe Seite einer Axt

Wem das allerdings zu viel Einkehr und zu wenig Action ist, der muss sich nicht gleich von Kuhligks neuem Band abwenden. Im vielleicht stärksten Gedicht von Die Stille zwischen null und eins, scheint der Autor wieder „ganz der Alte“ zu sein. Die Siedlung macht sich auf den Weg zum Teufel, Tätowierer und zur Theke. Gewohnt rotzig, gewohnt asphaltig, gewohnt Kuhligk: ein poetischer Trip durch das wilde Herz der Republik, in dem die Schlagzahl deutlich höher ist als im Großteil der restlichen Gedichten des Bandes.

Wir waren zwei der fünf Hochhäuser
eine bedürftige Männerkonzentration
wir plärrten: wo war ich in der Nacht
von Freitag auf Montag, liebe, saufende
Kinder, und dann: mein Herz schlägt
'schwarz, rot, Bier, wir fuhren und
fuhren, der Tätowierer, der sich
für den Heiligen Vater hielt, hatte
die Einsamkeit des Stuhls, wir fuhren
und fuhren und wurden kurz vor
der dänischen Grenzen gestoppt, Teufel
wie waren wir dahin geraten, wir zogen
die Hüte und formierten uns
zu einer Hufeisen-Theke

Björn Kuhligk
Die Stille zwischen null und eins
Hanser
2013 · 80 Seiten · 14,90 Euro
ISBN:
978-3-446241473

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