Die politische Notwendigkeit des Widerspruchs
Chantal Mouffe ist zweifelsohne eine begnadete Verfechterin von gegenhegemonialer Systemkritik von internationalem Rang und mit Weitblick. Ihre postmarxistischen Schritten aus den letzten dreißig Jahren sind Standardwerke („Das demokratische Paradox“, „Über das Politische“) ohne Weichspüler und, ganz anders als ein Slavoj Zizek zum Beispiel, kommt sie auch ohne Hegel auf der einen und James Bond auf der anderen Seite gut aus und ist dabei immer noch verdaulich lesbar. Sie heischt nicht um ein Publikum, aber sie scheut sich auch nicht vor großen Themen, wenn sie an die weitere Öffentlichkeit tritt.
Im Band „Agonistik. Die Welt politisch Denken.“ versammelt Mouffe Vorträge und Essays aus den letzten Jahren, die ihr Theorem von der „Agonistik“ und den daraus abgeleiteten politischen Handlungsvorschlägen erläutern und erklären. Die Texte, die hier zusammenkommen, weil nicht als kohärenter Band von Beginn an geschrieben, haben ihre Redundanzen und Wiederholungen, dabei gelingt es dem Band durch das Loopen von Ideen an Überzeugungskraft zu gewinnen. Das Konzept der Agonistik führte Mouffe bereits in ihren vorherigen Veröffentlichungen ein und die Wege zu ihrem derzeitigen Denken beschreitete sie bereits in Publikationen, die sie mit ihrem (verstorbenen) Ehemann Ernesto Laclau herausgab. Jetzt wendet sie es auf die EU, internationale Beziehungen, die Kunst und andere Felder an und konjugiert verschiedene Bereiche der politischen Praxis durch.
Mouffe steht wie keine andere seit knapp 30 Jahren für eine Form des Denkens, die durch ihre analytische Schärfe ein Inspirationspunkt für poststrukturalistisches und postmodernes Argumentieren geworden ist. Der vorliegende Band ist damit also im Westen vielleicht per se nichts neues, aber dennoch ein konzentrierter und aktueller Beitrag, der das Denken einer begnadeten Philosophin bündelt.
Ihre These ist, dass radikale Politik nur funktionieren kann, wenn man zulässt, dass Antagonismen bestehen bleiben. Jede Art von endgültigem Konsens empfindet sie als Todesstoß für Demokratien, die in ihrer Öffentlichkeit und anderen Diskursräumen ständige Antagonismen aushalten müssen. Der ständige Kampf um Deutungshoheit gerät Konsequenz zu einer „echten Konfrontation, die jedoch auf der Grundlage von beiden Seiten akzeptierter demokratischer Verfahren ausgetragen wird“.
Sie schreibt damit gegen das Messianische des Marxismus an und verprellt das Zwangsrationale des Liberalismus. Das System, dass die Philosophin uns vorschlägt, ist eine Demokratie, die sich vom Liberalismus löst, denn beide sind, so Mouffe, zwei historisch gewachsene Konzepte, die man gar nicht zum Harmonieren bringen kann. Das Ende der Pax americana, das Ende des Kapitalismus, die Aufwertung von Gefühlen als politische Instrumente und künstlerische Praxen des Widerstands - es ist nicht wenig, was uns hier auf links vorgestrickt wird.
Mouffes Leistung liegt darin, hier in einem schmalen Essayband ein Theorem durchzukonjugieren, das sie über Jahre hin entwickelt hat. Es zeugt von großer gedanklicher Durchdringung ein so komplexes Thema nachvollziehbar in 5 Essays auszuargumentieren. Mouffe ist auf einer Mission und sie kennt ihr Ziel: eine radikale Demokratie, die sich durchgehend neu erfindet, die durch antagonistische Kombattanten und durch Regeln gebundene Diskurse stabil wird, weil sie keinen Status quo sedimentiert, sondern immer wieder aushandelt. Eine mutige Demokratie ist es, von der Mouffe spricht, eine die man sich sofort herbeiwünscht und deren Entfernung von der Realität ein schlechtes Bild auf die gegenwärtige politische Situation wirft, in der es keine Alternativen zu geben hat.
Neben den Abhandlungen über interne Diskussionen der linken Theoriebildung, die die Autorin lebhaft und spannend nacherzählt, ohne ihnen die Schärfe zu nehmen, ist es vor allem das letzte Kapitel, das im Kulturbereich akute Handlungsvorschläge und detailreiche Analysen bereithält.
Der Kunst, oder wie sie es nennt dem „kulturellen Terrain“, kommt für Chantal Mouffe eine ganz besondere Rolle zu. Sie benennt die Produktion von Affekten als ein immer wichtigeres Instrument im Kapitalismus und „da es für den Prozess der kapitalistischen Verwertung von entscheidender Bedeutung ist, sollte dieses Terrain ein zentraler Ort für Interventionen durch gegenhegemoniale Praktiken sein."
Bereits 2007 forderte die belgische Politikwissenschaftlerin ähnliches in einem Artikel im Journal „Art & Research“, wo sie schreibt:
„According to the agonistic approach, critical art is art that foments dissensus, that makes visible what the dominant consensus tends to obscure and obliterate. It is constituted by a manifold of artistic practices aiming at giving a voice to all those who are silenced within the framework of the existing hegemony. “
Dort stellt sie aber auch klar, dass künstlerische Interventionen zwar ein wichtiges Mittel der Artikulierung sind, eine APO gewissermaßen, der aber eine interparlamentarische und konsequent innerinstitutionelle Intervention entsprechen muss: „It would be a serious mistake to believe that artistic activism could, on its own, bring about the end of neo-liberal hegemony.“
Nur im Gleichklang verschiedener anti-hegemonialer Praktiken, die den opiatigen Konsens auflösen So kann Kunst Helfen das Ende neoliberaler Hegemonien einzuläuten, die nur funktionieren, weil Ungleichgewichte und trotz der Illusion von Meinungsfreiheit, noch immer wirkende Dispositive der Verstummung und Zensur existieren.
Auf dem Weg von der Frage nach der Bedeutung von agonistischer Politik dem Entwurf einer multipolaren Welt, einem Blick auf Europa, auf radikale Politik und schließlich mit ihren Ausführungen zum radikalen Potential von Kunst, macht die Autorin dieser gedankenschweren und rhetorikstarken Essays einen intellektuellen Rundumschlag. Sie bietet uns eine Perspektive auf die Welt, die zum Denken anregt und Hoffnung gibt, in einer Zeit, in der fruchtbare Systemkritik endlich nicht mehr leere Hülse, sondern greifbare Realität zu werden scheint.
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