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Kritik

roughbooks »lyrik als sprachmusik spinat«

Hamburg

Ein neues Buch aus dem Hause Engeler, der mit Hilfe von Literaturzeitschriften und Verlagen gegenwärtiger Prosa und Lyrik zu jenem Seitenkanon verhilft, welcher ihnen zusteht. Ein neues Buch also. Ein rougbook, um genauer zu sein. Gemeinsam mit Christian Steinbacher hat sich Florian Neuner, der sich seit längerem schon „neue Prosa“ auf die Fahne geschrieben hat und in seinen Idiomen zuletzt auch den Autor dieses Buches für sich und aufs Neue entdeckt hat, nun daran gemacht, eine – mehr oder minder – Werkschau des 1937 in Wetzhausen geborenen Linguistikprofessors und Dichters Chris Bezzel herauszugeben.

»bezzel
wie berta emil zeppelin zeppelin emil ludwig.
berta wie die dicke berta.
emil wie emil und die detektive.
zeppelin wie zeppelin.
zeppelin wie luftschiff.
emil wie emil ludwig.
ludwig wie ludwig van beethoven.«

Und mustergültig beginnt es mit dem Namen als Anrufung des Ichs, eine konstituierende Beschwörungsformel und Ausbuchstabierung der einzelnen, eigenen Bestandteile. Von A bis Z. Von B bis L, und zwischendrin versammeln sich, neben dem titelgebenden Gedichtzyklus isolde und tristan, Texte aus über drei Jahrzehnten, die das Lautmaterial ausdifferenzieren und so erst wieder zum Erklingen bringen möchten. Davor oder dahinter steht eine Welt aus Sprache, die nicht zeigen will, wie sie verknüpft ist, sondern vielmehr, was sie in Beziehung und somit in Gang setzt, nämlich sich selbst innerhalb und durch die Sprache, und gleichzeitig gerade das, »was alles nur die sprache möglich macht«. In frei flottierenden Assoziationsschüben mäandert »robinson bezzel« holpernd und stockend über Wortfelder, bewegt sich zwischen erzählendem Gedicht und bloßer, d.h. freier Verkettung lautlicher An- und Gleichklänge (wie etwa »pavillon papillon pavian als rot-arsch-seelchen«) hin und her, verweist nach vorne und zurück, und reiht, was sich nur irgendwie zu reimen scheint.

Ein Text jedoch sticht dabei heraus. Spiel mir das Lied vom Tod besingt mit Sätzen aus Hans Joachim Mosers musikgeschichte in hundert lebensbildern die verschiedenen sprachlichen Möglichkeiten des Todes selbst. 26 Komponisten, von Bach bis Wagner, entschlummern da, scheiden ab, gehen heim, schwinden dahin, hauchen ihre Seele aus, werden einfach abberufen oder es erfüllt sich ihr ende »unter blitz und donner eines schweren gewitters«. Hier verdeutlicht sich das Anliegen Bezzels, Sprachkonventionen zu überdenken und das gegebene Material jedes Mal wieder neu zu variieren, wodurch abweichende Sinnzusammenhänge geschaffen werden können und die Sprache selbst in Bewegung bleibt. Er genießt es dabei sichtlich, »sich selber phonetisch, syntaktisch, semantisch/ auszutricksen«, um innerhalb seiner – vermutlich durch seine Arbeit an Wittgenstein’schen Texten beeinflussten – Sprachwelt andere, weniger beanspruchte Wege aufzuzeigen, die jedoch nicht unbedingt immer Sinn ergeben müssen. Doch wohl gerade aufgrund dieses scheinbar naiven Spiels mit der Selbstüberlistung wirkt es teilweise wie ein »eintragen und vollschreiben und nichts korrigieren«. Alles kann Platz finden. Alles kann den Satz vorwärts bringen, die Syntax in Bewegung versetzen, kann sprießen und schwellen, und bleibt schlussendlich doch größtenteils – gar nicht so neue – »lyrik als sprachmusik spinat«.

Chris Bezzel · Florian Neuner (Hg.) · Christian Steinbacher (Hg.)
isolde und tristan
roughbooks
2012 · 88 Seiten · 8,50 Euro

Fixpoetry 2012
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