Das Innerste
Französische Lyrik, zeitgenössische französische Lyrik spielt derzeit im deutschen Sprachraum keine sehr große Rolle. Immer wieder schieben wir hier die Texte der verstorbenen Giganten hin und her und nicken wissend bei Namen wie Mallarmé und Baudelaire. Ein wenig geht die Wahrnehmung noch über die klassische Moderne hinaus, wir wissen das eine oder andere vom Surrealismus, aber dann wird der Wortfluss schon kleiner, wird zum tröpfelnden Bach. Umso wichtiger also sind Bücher wie dieses. Als roughbook 31 erschienen: Die Seele. Von Christian Prigent.
dann schliefen wir im gras
zur welt aber kamen die dinge
die landschaft im erwachen
stank der grund war gas das
ist die seele sagt sie mir
mach da mal kein rosen-
heckmeck draus schlaf ein.
So heißt eine Passage auf Seite 85, also ungefähr in der Mitte des Buches, die anklingen lässt, was mich am Text besonders interessiert.
Ein langes Gedicht, oder ein Zyklus, so genau kann ich das für mich im vorliegenden Fall nicht entscheiden. Jedenfalls dreht es sich auch ca. 180 Seiten um ein Thema, das spätestens seit Descartes im gelehrten abendländischen Diskurs verankert ist, und zwar auf eine sehr rationalistische Weise. Die Seele wurde gesucht. Descartes wies ihren Sitz einer Drüse zu, deren Sinn er sich sonst nicht erklären konnte. Ihr Gewicht wurde bestimmt, indem man den Körper eines Sterbenden kurz vor dem Eintritt des Todes wog und mit dem Gewicht des Leichnams verglich. Dem romantisch deutschen Wesen musste und muss ein solcher Zugang barbarisch erscheinen und welche Barbarei deutsch Romantik barg, ist bekannt. Ich würde bei einem original deutschen Text, der Die Seele heißt, auch eher Kitsch oder bestenfalls Ironie vermuten. Wieviel mehr hingegen ist dieser Text von Prigent.
Um Missverständnissen vorzubeugen, es handelt sich hier nicht um ein naturwissenschaftliches Lehrgedicht, vielmehr liegt mit Prigents Text eine Art lyrische Diskursanalyse vor. Der Begriff Seele wird im Kontext seiner eingeführten sprachlichen Struktur und Verwendung und auch dagegen untersucht. Dabei spielt die Eigengesetzlichkeit der Sprache, die sich im Rhythmus und Reim fügt, sich dabei immer wieder der Semantik verweigert, eine zentrale Rolle. Das Unfassliche des Begriffes Seele schlägt sich mithin in sprachlichen Volten nieder. Und was in meinem Text hier vielleicht etwas trocken anklingt, wird in Die Seele auf höchst humorvolle Weise zelebriert.
das gleiche gilt für zweigeteilten vers
nachwachsende molche stellen sich
die frage ist das der kopf oder
schwanz wo sich die seele
verkopft da bockt sie auf mit allen sinnen
Da ich kein Französisch verstehe, kann ich nur über den übersetzten Text schreiben, Angefertigt haben die Übersetzung das Duo Auélie Maurin und Christian Filips. Und die beiden haben mir einen großen Gefallen getan. Denn der Text wird mir auf diese Weise sehr nahe gebracht:
es lächelt die seele und sagt:
der papenfuß ist keine
blume laß ab
von munkeln
dem furunkel
das furore macht
Vielleicht setzen die beiden dem Originalhumor noch einen Übersetzungshumor hinzu, aber das soll mir nur recht sein, denn es macht Spaß. Und vielleicht hat es was mit dem zu tun, was das französische Wort Esprit bezeichnet. Ich fühle mich jedenfalls auf vergnügliche Weise an den Text Von den Aufgaben des Übersetzers erinnert, in dem Walter Benjamin fordert, Übersetzung solle die Sprachen kommunizieren lassen. Im Buch tun sie es anscheinend, auch wenn ich nur die deutsche Übersetzung verstehe und mir das Französisch auf der linken Seite eher wie eine Hieroglyphenschrift vorkommt.
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