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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Nach der Apokalypse

In seinem Buch «Nachtsaison» schreibt sich der Berliner Lyriker und Grafiker Christoph Merkel durch eine dunkle Welt ins Licht der losgelösten Metaphern. Und findet die zwei wichtigsten Worte des Beginns allen Schreibens: Es ist.

Am Anfang steht immer die Frage nach der Ordnung und Anordnung von Linien und Zeichen, von Buchstaben und Zeilen auf dem weissen Papier. Das verbindet die Grafik und die Lyrik, jene beiden hauptsächlichen Äusserungsformen des 1935 in Berlin geborenen Christoph Meckel. Seltener schreibt Meckel Prosa, da scheint diese Frage vielleicht weniger dringlich, da ist sie jedoch nicht unbedeutender.

Darauf weisen zumindest die Fakten hin: Die 255 Seiten seines jüngsten Erzählbandes hat Meckel zu recht gleichen Teilen auf drei Kapitel verteilt: Im ersten finden sich sechs, im dritten sieben Erzählungen, das mittlere zweite besteht dagegen nur aus einer einzigen, der titelgebenden namens «Nachtsaison». Sie ist mehr als nur das formale Zentrum dieses Buches; sie ist dessen Scharnier.

Von Anfang an ist man in düster erhitzten Gefilden unterwegs. Mit der ersten Erzählung – «Ankunft in Montza» – betritt man die Meckelsche Endzeitlandschaft des Urbanen, diese Welt aus Häuserschluchten, Brandmauern, anonymen Bars, Strassen und Hotels; nirgends ist man sicher, selten halten die Schritte an, die Namen der Orte ähneln sich, die Gesichter sowieso. «Am Tisch abseits sass eine geschminkte Nixe, rieb mit feuchten Fingern Sirenenklänge auf den Rändern wassergefüllter Gläser. Eine alte Bettelgestalt am Boden zog und drückte eine Quetschkommode, verrutschte Tristesse ohne Melodie. (. . .) Er kannte die Szenerie aus unzähligen Nächten, sie war weltweit dieselbe.» Von diesem Er kennt man zwar die Nummer seines Hotelzimmers, seinen Namen aber erfährt man nicht.

Oft fehlen die Verben, sind Halbsätze ein- oder nachgeschoben. Die Menschen sind stets unterwegs, auf der Flucht oder auf der Suche. Ihre apokalyptische Umwelt scheint ihnen fremd oder besser: unheimlich. Ganz gleich, ob es sich um Stadt oder Natur handelt. «Ich bin der Frage, wo ich mich befinde, mit keiner Antwort näher gekommen», beginnt etwa die Erzählung «Perlesöd». Einer wird entführt, ein anderer überwacht, ein dritter hat einen Killer auf sich selbst angesetzt. Ein weiterer wird als Untoter vorgestellt – in dieser Person und diesem Begriff verdichtet sich die hoch sensibilisierte Lethargie, die auch Meckels andere Figuren ausmacht. Sein Dasein zwischen Existenz und Jenseits führt er auf eine Übermacht der Zeichen zurück: Er gehört zu den «Nummerierten» einer «entfärbten» Welt, in der alle «Bezeichnungen ausgeführt werden», sodass keine mehr etwas bedeutet. «Ich zog mich erstmal in den Wald zurück, aber was ist ein Wald (…) was sind denn Bäume (…) Was ist denn die Luft.»

Sprache löst sich von den Dingen

Auch die zentrale Erzählung «Nachtsaison» wurzelt im Nichts, wieder an jenem Unort namens Montza, der nicht legal zu überleben ist: «Er kannte die Stadt nicht, in der er lebte, sie war zu gross. Hier war er geboren, untergetaucht wie viele, schlug sich durch mt Tricks und Täuschung. (…) Seine Brüder, falls es Brüder waren, lebten wie er in der Stadt, unsichtbar, die Eltern waren tot, bevor er sie wahrnahm, seinen Namen, Toby, hatte er nicht von dort.»

Nicht nur die inzestuöse Liebe, von der erzählt wird, sondern auch der mythische Ton deuten voraus auf den dritten Teil des Bandes, in dem Meckel schliesslich die Autonomie des Dichters erprobt: «Es ist» lautet nicht zufällig der Titel von dessen erster Erzählung. Sie beginnt mit «Landschaften, die wir kennen» und verhandelt – im Rahmen einer melancholischen Erinnerung an eine Frau – die poetische Setzung als solche: Es ist. Diesem Anliegen gelten auch die folgenden Prosastücke, der Band wird schliesslich beschlossen mit einer Reise, bei der kein Körper sich bewegt, sondern allein ein Fenster aufgeht, «einmal geöffnet bleibt sichtbar bis zuletzt». Da scheinen sich Sätze selbst zu schreiben, da muss man den Worten nachgeben und nicht nach Realitäten fragen.

Dass eine solche Loslösung der Sprache von den Dingen die oft unabwendbare Gefahr des Kitsches und der Unverständlichkeit birgt, versteht sich von selbst. Dass Christoph Meckel einer ist, der lieber sucht anstatt zu finden, ebenfalls. Das mag für den Leser anstrengender sein als manch anderes – aufregender ist es in jedem Fall.

Christoph Meckel
Nachtsaison
Hanser
2008 · 256 Seiten · 19,90 Euro
ISBN:
978-3-446230491
Erstveröffentlicht: 
Berner Bund

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