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Kritik

"Gedichte sind komische kleine Dinger"

Claudia Gablers Buch "Wohlstandshasen" macht Spass.
Hamburg

Claudia Gabler "arbeitet als Redakteurin und schreibt Lyrik, Prosa und Hörspiele", so erläutert mir der Klappentext zu ihrem Gedichtband "Wohlstandshasen", erschienen in der von Mathias Jeschke herausgegebenen Reihe LYRIKPAPYRI im Berliner Horlemann Verlag. Das entscheidende Wort in unserem Zusammenhang ist "Hörspiele". Denn in dem vorliegende Gedichtband wird das Spracharbeitszeug der LyrikerInnen nicht auf das Deutsch der Zeitungen, Romane, Nachrichtensprecher und schlechteren Krimidrehbücher angewandt, sondern auf das Deutsch, das tatsächliche Leute tatsächlich so verwenden - die Sprache, so, wie eben auch die besseren Hörspiele sie souverän beherrschen und manipulieren. Ich meine damit wohlgemerkt nicht, dass Gablers Band Dialektgedichte beinhalten würde - tut er nicht. Ich meine damit bloß, dass dieser Filter, den sich die meisten von uns im Laufe unserer Schulzeit aneignen - "Das sagt man zwar so, aber man kann es nicht so schreiben, das würde ungehobelt klingen. Oder eigenartig." - in diesem Buch weitgehend suspendiert ist.

Dieser Faktor macht den besonderen Charme von "Wohlstandshasen" aus; er gereicht manchen Gedichten zum Nachteil (weil dann z.B. platt und altbekannt klingt, was als besondere Volte funktionieren müsste), den meisten aber zum Vorteil: Nicht nur klingen sie geerdet und unprätentiös - man mag nicht sagen "authentisch" - selbst, wenn sie hohe Komplexitätsgrade erreichen, sie können auch aus einer besonders umfang- und variationsreichen Lexik schöpfen. Zumindest mir ist es ein Rätsel, wie Gabler es anstellt, dass Wörter wie "Funzel" oder "Kakadeienfrisuren" oder Sätze wie "Aber Tiere poppen nicht mehr." ihre Orte im Gefüge einnehmen und ihre Wirkungen entfalten, ohne als besonders exotische, gewählte Spezialeffekte zu erscheinen.

Der Titel "Wohlstandshasen" kündigt es schon an: Das Buch ist durchzogen von einem Gestus freundlichen Spotts, der sich meist nicht einmal - in der schrecklichen Diktion der Sozialpsychologen und Mediatoren gesagt - "unkonstruktiv" gibt. Auch, an wen sich dieser Spott meist richtet, ist im Titel gesagt: An uns Wohlstandshasen, wohl inklusive der Autorin bzw. des Textsubjekts selbst. Diese Texte haben also Adressaten, sie haben Agendas, aber sie entsprechen dabei nicht im Entferntesten dem Paradigma "Der Kulturheld kehrt heim von seinen Fahrten und bringt uns große Weisheiten mit". Wenn schon, dann eher: "Die Großtante des Kulturhelden möchte bei Gelegenheit daran erinnern, wer in der Zwischenzeit den Abwasch machen musste." Das heisst nun alles nicht, dass die Texte unernst oder - zwinkerzwinker - "ironisch" wären. Gut, die meisten sind - auch - lustig:

Der Versuch, einen Mythos zu attackieren, war gescheitert:
Wir trieben mit Booten durch die Toskana.
Wir tranken Spaghetti
und aßen Wein.

---

Wir sagten no names.
Wir pendelten zwischen Fisch und Fleisch.
Der Fisch schlug gegen die Salbeiblätter.
Splendido.

Oder:

This forest was like a zoo.
Hier trafen sich die Hasen, die sich mit Füchsen trafen
und zuletzt Bären, die Schneeraupen fickten.
Wir wollten die Winterstarre erforschen
und wurden dabei unendlich müde.
Schlafmangel folgte Wassermangel.
Wir bauten Höhlen aus Federn und Laub
und sagten: House / Haus.

---

gegen Mitternacht gingen alle in Torpor.
Wenn Feinde kamen,
wurden Fragmente von uns geweckt.
Unsere Nacktheit war unsere beste Waffe,
sie schlug einfach jeden Troll in die Flucht.
Zum Frühstück gab es Kuchen und Klee,
Saft aus der Rinde des Ahorns, but
no condoms.

Neben dem quasimündlichen, zum Vortrag mehr als zum Stilllesen tendierenden Duktus fällt aber noch etwas anderes auf: Die Prävalenz von so etwas wie Handlung, von (auch ggf. nur phantastisch) benennbaren Abläufen, die nicht bloß als Rahmen oder Hintergrund für ein sogenanntes Eigentliches-am-Gedicht Verwendung finden würden. Es geht um Sachverhalte, oder die Worte für Sachverhalte; es geht nicht um die Worte für die Worte für die Worte ... für Sachverhalte.

"Wohlstandshasen" führt eine eigenwillige Lösung für das alte Problem vor, wie man als Lyriker weder den Verstiegenheits- noch den Populismusvorwurf auf sich zieht. Es lässt sich aus bestimmten experimentalpuristischen und streng hermetischen Positionen heraus gegen Gablers Buch vielleicht einwenden, diese Lösung sei erkauft durch eine bruchloses Festhalten an der Abbildfunktion von Sprache und die billigenden Inkaufnahme des Umstands, dass vereinzelt auch banale Gefühlsgedichte ins Endprodukt rutschen - aber das letztere galt ja sogar noch für H. C. Artmann selig, und das erstere ist als Diskussionsgegenstand an die Germanistikseminare weiterzureichen, Untersuchungsziel: Die soziologische Situiertheit der Lyrik, oder: Formen des alltäglichen Umgangs mit Kunstsprache.

Kurzfassung: Der Gedichtband "Wohlstandshasen" räumt uns Lesern zu unserem Besten erst einmal jeden Anflug von ernster Feiertagsstimmung oder intellektuellem Klassendünkel runter, bevor er uns sehr gut unterhält. Nach seiner Lektüre möchte man Claudia Gabler dringend daraus vortragen hören.

Claudia Gabler · Mathias Jeschke (Hg.)
Wohlstandshasen
Horlemann Verlag
2015 · 80 Seiten · 14,90 Euro
ISBN:
978-3-89502-390-3

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