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Kritik

Die Männer sind alle Verbrecher

Dacia Maraini sammelt in „Geraubte Liebe“ Beispiele brutaler Männer aus Italien
Hamburg

Die Italiener, die schönen, die begehrten, die temperamentvollen, nein nicht die Weine, sondern Männer sind in Wirklichkeit: dumpf, brutal, herzlos, sie demütigen, sie vergewaltigen, erniedrigen, schänden Frauen und Mädchen. Das ist in einem Satz die Aussage des Buches „Geraubte Liebe“ von Dacia Maraini. Die 79jährige Italienerin ist bekennende Feministin und laut Klappentext eine der „wichtigsten Stimmen“ ihres Heimatlandes. Das 2015 im Verlag Silke Weniger in der edition fünf erstmals im Deutschen erschiene Buch ist der Spitzentitel der Reihe, die sich vergessener und schnell vom Markt verschwindender Bücher annimmt und die sich „weiblicher Traditionslinien“ verpflichtet fühlt.

Eigentlich sollte ein Mann diese Rezension schreiben. Obwohl, die lobenden Stimmen auf der Website des Verlages stammen von Männern. Ich bin ein wenig hilflos. Ich habe mich durch die acht Geschichten auf gut 180 Seiten gequält. Immer wieder warf ich das Buch zur Seite und fragte mich, wieso man, nein, es ist ja eine Frau mit solcher Ausführlichkeit so aussichtslose tragische Geschichten von Frauen, die sich offensichtlich nicht zu wehren vermögen mit solch schon fast lustvoller minutiöser Genauigkeit fast empathielos erzählt. Beabsichtigt ist natürlich das Gegenteil. Fangen wir also an: „Marina ist die Treppe hinuntergefallen“. Eine 18-jährige Ehefrau kommt mit blauen Flecken und gebrochenem Arm in die Notfallaufnahme. Der Arzt glaubt ihr nicht, als sie erzählt, sie sei die Treppe herunter gefallen. In seinen Unterlagen sieht er, die viel jünger aussehende Frau war bereits schon einmal bei ihm mit zwei gebrochenen Rippen und Würgemalen am Hals. Der Arzt zeigt den Ehemann an. Eine Sozialarbeiterin sucht den Ehemann auf und findet einen freundlichen und zurückhaltenden Mann, der behauptet, seine Frau leide an Epilepsie und falle eben ständig hin. Am Schluss der 13-seitigen Geschichte sagt der Mann zu Marina, dass er sie liebe. „Er meint es ehrlich. Marina weiß das. Auch wenn die Liebe ihn nicht daran hindern wird, sie ab und zu zu schlagen.“ Ein letztes Mal will sie ihm glauben. „Und sie gibt sich den Küssen ihres jungen, hübschen und ach so zärtlichen Ehemannes hin.“

Das ist ein psychologisches Phänomen, dass es Frauen und nicht nur Frauen gibt, die ihre Peiniger lieben, entschuldigen. Maraini versäumt auch nicht in der Geschichte darauf hinzuweisen, dass Marinas Mutter und Vater bei einem Unfall ums Leben kamen und sie bei einer strengen Großmutter aufwuchs. Und sie auf diese „schlagende“ Liebe angewiesen ist. Oft schon wird wie in Marinas Geschichte die Katastrophe bereits im Titel angedeutet: „Der hilfsbereite Vergewaltiger“, „Chronik einer Gruppenvergewaltigung“, „Die heimliche Braut“ auf Seite 107, da hat man sich schon so an das Setting Marainis gewöhnt, dass man ahnt, hier geht es um Missbrauch. Den Stoff zu den Geschichten fand die Italienerin in Polizeiberichten in der Zeitung und sie gibt sie einesteils sehr nüchtern, aber andernteils auch sehr detailreich wieder. Das ist nicht neu: das Leben ist grausamer als Literatur. Aber Literatur ist kein Polizeibericht. Und natürlich bleibt es nicht bei der sachlichen Wiedergabe der Fakten, sonst würde das Hingeben an den „ach so zärtlichen Ehemann“ in Marinas Geschichte nicht so zynisch klingen. Da sag ich nur: Entweder oder. Entweder bleibt die Erzählerin bei den nüchternen Fakten oder sie erzählt aus subjektiver Sicht, wie sie es in einigen Geschichten tut. In der „Nacht der Eifersucht“ erzählt die Figur Angela aus der Ich-Perspektive, das ist schon wesentlich überzeugender. Wie sie sich verliebt hat und ihr Geliebter nach und nach vor Eifersucht die Kontrolle verliert. Immerhin weiß sie sich zu helfen und ruft rechtzeitig, bevor er sie mit einem Messer umbringen kann, einen Freund zu sich. Schwer zu ertragen ist die aus verschiedener Sicht erzählte Gruppenvergewaltigung und doch stimmt hier der literarische Ansatz. Jeder der Beteiligten erzählt etwas anderes. Alle sind natürlich unschuldig, außer der toten Vergewaltigten. Hier ist sogar die Zeitungsnotiz vorangestellt. Auch bei „Anna und ihr Moro“ gibt es eine subjektive Sicht, hier hören wir als Leser einem Vater zu, der seiner Tochter nicht helfen kann, der viel zu spät die tödliche Konsequenz der Beziehung seiner Tochter erkennt, auch unerträglich.

Aber ganz schlimm wird es, wenn die Autorin ihre Position als auktoriale Erzählerin verlässt und die missbrauchte Stieftochter in „Die heimliche Braut“ mit einem „verdorbenen Körper“ beschreibt. Sie beraubt das Mädchen damit seiner tatsächlichen Unschuld, sie stellt sich in der Sichtweise an die Seite des Vergewaltigers.

Ich bin ratlos und wütend. Das Credo dieses Buches: Die Männer sind alle Verbrecher, ausschließlich schwanzgesteuert, es gibt keine Charaktere, nur geile Böcke, die zwar Klavier spielen, aber die neue nur Frau heiraten, um die minderjährigen Töchter zu missbrauchen. Die Frauen sind allesamt dumm, schwach und ebenfalls charakterlos. Vielleicht wäre es interessanter gewesen nur eine Polizeimeldung herauszugreifen, um dann wirklich eine Geschichte zu erzählen. Man kann nicht erwarten, dass Geschichten über Vergewaltigungen literarischen Genuss bereiten. Aber eine differenziertere, plastischere Figurenzeichnung vermittelt Mehrwert für den Leser, das haben viele Klassiker der Weltliteratur vermocht, auch wenn sie gedemütigt wie Effi Briest, gelangweilt wie Madame Bovary, (übrigens auch auf Grundlage eines Zeitungsberichts) oder blauäugig sich dem Nichtsnutz an die Brust werfen wie die Tatjana Eugen Onegins. Vermutlich darf man das nicht, diese Frauenfiguren der Weltliteratur anzuführen, um zu zeigen, dass Dacia Maraini es nicht vermag ihre emanzipatorische Mission in Literatur umzusetzen. Doch es reicht nicht, Zeitungsartikel auf Zeitungsartikel in scheinbar nüchterne Geschichten umzurühren. Anzuklagen und sich als Anwältin der Geschändeten auszugeben. Nein, mir reicht das nicht.

Dacia Maraini
Geraubte Liebe
Deutsche Erstausgabe
edition fünf
2015 · 192 Seiten · 19,90 Euro
ISBN:
978-3-942374-69-9

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