„Das war doch lustig”…
Als Daniel Kehlmann sich theoretisch mit Gespenstergeschichten befaßte1, ahnten manche, nun werde auch eine aus seiner Feder folgen. In der Tat – aber vielleicht auch ganz und gar nicht.
Du hättest gehen sollen ist jedenfalls eine Heimsuchung. Ein Mann, der’s so einigermaßen geschafft hat und dem nun die gebührende Verachtung für seine Drehbücher seitens der Frau zuteil wird, deren kleinbürgerlichen Lebenstraum er damit aber finanziert, fährt mit der Familie in ein Haus, Natur rundum, Sterne des Nachts, … aber irgendwie wandelt sich das alles auf einmal zu einem Alptraum, dem er nicht entgeht. Es ist zu spät, er hätte gehen sollen, ja wann… „Geh weg, solang”, plötzlich widerfährt ihm der Halbsatz, aber eigentlich ist da das Gehen schon fast konjunktivisch.
Dieser Alptraum funktioniert nun auf mehrlei elegant ineinander geschnittenen Ebenen, wobei sich Kehlmann lustvoll an der Literatur- und Filmgeschichte bedient: Das erratische Kind, das endlich so groß sei, daß es weniger Mühe macht, aber mit seiner penetranten Kinderlogik den Ich-Erzähler stört und fast verstört, jedenfalls aufstört, während seine Überlegenheit dadurch bedingt wäre, „daß er alle seine Kräfte, wie ein Hohlspiegel alle seine Strahlen, auf einen Punkt und Gegenstand koncentrirt; und hieran eben verhindert ihn die lermende Unterbrechung.” – Schwer, nicht an Schopenhauer zu denken, bei diesem Kind, zu dessen Denken der Erzähler keinen Zugang findet.
Dann ist da das Leben, an anderen klar gesehen, an sich sich selbst ahnt es der Ich-Erzähler bloß, wenn er mitleidlos die Verwandlung eines Menschen zum Kreuzworträtsel lösenden Finanzbeamten skizziert, derweil ihm die Partnerin sagt, daß angesichts seiner Drehbücher „Werk” und „Werk” – sie weiß es, anders als er hat sie studiert – zweierlei seien. Deutliche Indizien, daß sie ihn betrogen habe, während ihn die gemeinsame Existenz mindestens so anzuwidern scheint wie sie, die all das angeblich immerhin wollte, kommen hinzu:
… „ein Reihenhaus mit Garten, das sie für so wichtig hielt, weil ein Kind schließlich einen Garten haben müsse, und jetzt haben wir das Reihenhaus, und der Kredit ist noch nicht abbezahlt, und Esther spielt eigentlich nie im Garten, und wenn ich den zweiten Teil zu meinem erfolgreichsten Film nicht schreibe, was ist dann mit den Zinsen?”
Und er wäre doch übrigens vielleicht gerne Dichter, das Schreibszenario deutet es an… Vor allem vielleicht vor ihren Augen, vor jener Frau, deren intelligente Ausbrüche er liebt und fürchtet, vielleicht ist es auch sie, wenn in seinem Drehbuch ein Streit stattfindet und die Protagonistin „wie aus dem Nichts gesagt hat, dass Leute wie er dem Wort Dummheit erst Majestät verleihen.”
Aber das Haus, wohin man aus dem flüchtet, ist der Punkt, an dem ihm beschieden wird: „Du hättest gehen sollen. Jetzt ist es zu spät.” – Was er denkt, doch „mit einer Klarheit, als spräche ein anderer zu mir”.
Hier drückt sich all das schließlich physikalisch aus, Winkelmaße entgleiten, Selbstidentitäten verschwimmen, alles ist Portal, aber immer zurück, stets zur Seite das Kind, das nichts versteht, aber versteht, daß es etwas zu verstehen gebe, das belogene Kind, doch der Ich-Erzähler weiß nicht mehr, „zu welcher Notlüge” er zuletzt „gegriffen hatte” … was scheußlich und amüsant zugleich ist, ein wunderbarer Balanceakt wie hier so vieles. Verzweifelt der Ich-Erzähler zum zu unterhaltenden Kind gegen Ende dieser Schrecknisse: „Das war doch lustig!” Daß es jedenfalls nicht auf ein happy end zusteuert, läßt sich da längst erraten.
Kehlmanns Buch ist erstaunlich. Seine erzählerische Intelligenz ist zuverlässig, wenn er sich alles anbahnen läßt, die atemlosen Hauptsatzreihen, als der Drehbuchautor sich seines uneigentlichen Lebens bewußt wird, vor dessen Finanzierung ihm graut, weil sie prolongiert, was er verabscheut, sind grandios, das Kind, mit dem er nichts anfangen kann … noch die Art, wie aus einem friedlichen ein gleichgültiges Sternenmeer wird, eine wüste Dimensionalität, Parallelwelten, Universen, auf ihn getürmt: ein „Weltenberg”. Dieses Interieur des Ichs, dem das Ich nicht entgeht, ist bestechend gefaßt, es sei ja nicht das Haus, was ihn hielte: „Es ist der Ort selbst”, vielleicht gar der Ort Selbst.
Und weil da das Normale es ist, was ins Wahnsinnige führt, ist der Spuk das, was sich nicht fassen läßt, oder: das, was immer da ist, darum unsichtbar. Das, was da umgeht, ist also erstens vielleicht die Wiederholung des Spuks, wie man ihn aus der Literaturgeschichte kennt, aber zweitens stimmt dann trotzdem hier nicht, daß dieser „das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce” aufträte, wie von der Wiederholung in der Geschichte Marx sagte, die Farce überbietet vielmehr hier, was ursprünglich mit einem nicht Festzulegenden operierte. Die Fixierung ist der Spuk, das Buch wendet dies brillant.
Diese Verwinkelung ist riskant; wie die ersten Rezensionen zeigen, will nicht jeder Kritiker sie mitgehen. Die Lust Kehlmanns, etwa die Physik einzubeziehen, genauer: hier Haken auszuwerfen, die Lektüre aufzustören, dem Leser auch sonst Interpretationsangebote eher ironisch hinzuwerfen, mag damit zu tun haben:
„Es muss eine Erklärung geben. Wäre ich Physiker, wüsste ich sie wohl, und das Ganze würde mich nicht wundern.”
„Was bedeutet das? Nichts. Es braucht ja auch nichts zu bedeuten. In einem Roman dürfte man so etwas nicht machen, denn dort müsste es Sinn haben.”
So Kehlmann zum Bedeutenden in Kommt, Geister. Vielleicht verstößt Kehlmann an Stellen wie diesen gegen seine These, jedenfalls aber gegen die sonst so opake Konstruktion, die ihm gerade auf manchen Umwegen, die zunächst der Verengung nicht zu entsprechen scheinen, auch so raffiniert gelang. Hier und an ein paar ähnlichen Passagen aber verpufft der geschlagene Haken als Fingerübung, um den Leser etwas selbstzweckhaft vorzuführen. Das hätte Kehlmann nicht nötig, hier wird das Buch, so klug auch jene Passagen angelegt sind, plötzlich fast mittelmäßig.
Und doch bleibt ein starker Eindruck. Kehlmann, ein Experte in Mediokrität, dessen Texte diese manchmal mehr bedienen als herausfordern, leider, hat diesmal auf wenig Raum doch einen beachtlichen Blick ins Herz der Dunkelheit getan … das war doch lustig…
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