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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Wäre, hätte, würde

Hamburg

„Wäre ich Physiker, das Ganze würde mich nicht wundern”, läßt Kehlmann seinen Erzähler im Spuk Du hättest gehen sollen sagen. Und das ist die Pointe und Crux des Werkes, daß nämlich Kehlmann selbst nie ganz weiß, ob er so klug ist, wie er sein müßte. Alles wird so lange gedreht, bis es beherrscht zu sein scheint – oder gar ist, was das verläßlich Langweilige an diesen Texten ist, worin der Konjunktiv I stets sitzt, aber der Leser selten aufspringt.

Noch die Reflexionen, die der Erzählung vorangingen oder sie im Schreibprozeß eher begleiteten, prägt das: Kommt, Geister, sagt Kehlmann, aber er wird sie nicht nachher nicht wieder los, was die klassische Lösung wäre, sie erscheinen erst gar nicht, was immerhin beweist, daß sie unbeweisbar sind, aber die Ahnung, dem sei so, verpuffen läßt.

Immerhin weiß Kehlmann um diese Falle, vielleicht ist sie sein geheimes Thema, seit Beerholms Vorstellung, als man noch meinte, der Zauberer wisse nicht, ob er nun seine Vorstellung erleide oder sie gebe. Inzwischen aber weiß Kehlmann, er wird nicht los, was ihn zu jener Souveränität zwingt, ein wenig ähnelt er darum Peter Alexander, den er vielleicht darum mit etwas Mitleid und viel Verachtung schildert. Ob Kehlmann das weiß, der sich gerne als einer gibt, der sich für Goethe 2.0 hält?

In Kommt, Geister jedenfalls gibt er eine freudianische angehauchte Interpretation der Nachkriegs-BRD, Nachkriegs-Europas; und zeigt, es gebe dieses Nach gar nicht, weil man nicht einmal dann mit dem abschließen hätte können, was geschah, wenn man sich bemüht hätte, und zwar nicht ums Abschließen, sondern ums Verstehen, ums tatsächliche Aufarbeiten. So aber: Peter Alexander, die Nemesis des deutschen Nicht-mehr Humors an Deutschland und jenen, die sich die Schmonzetten sonst ansehen.

Jener werde zur Folter, wenn man ihn sich genau und/oder ausführlich ansieht. Und warum auch immer, Kehlmann unterzog sich dieser Folter. Jener Komiker, bei dem dann Argentinier und ein Adi in die allzu konfliktfreie Komödie schwappen, konnte nie sein, was er gewesen wäre, wenn er nicht all sein Bestreben auf Kontrolle des Erscheinens gelegt hätte, nur einmal, so Kehlmann übertreibend, habe Peter Alexander wirklich Jazz gespielt.

Der „tugendfromme Autor”, so Kehlmann, könne aber doch genau diese Tugend herausfordern, seinen Fluch ins Buch bannen … Wo er lauert, immer und immer. Als Chance und Risiko des Autors, als fürchtete Kehlmann, er könnte zuwenig riskieren, womöglich zurecht, doch sei er ja er, entgegen der bloßen Konvention, die Autor und ich scheide, sei man vielleicht gerade da, wo man es angeblich nicht sei, der, der spricht. Natürlich, denn so wird aus Kehlmann nicht Alexander.

Die Sorgen machen Kehlmann interessant, sein heiliger Zorn über den international längst als maßgeblich erkannten Sebald, der im deutschen Sprachraum bis heute so etwas wie ein Geheimtip ist, ebenfalls. Und das Faszinosum des Bösen, dem er souverän nicht beikommen kann, dem er aber auch nicht die Chance geben will, in einem Text kenntlich zu werden, der unbeherrscht wäre, experimentell, verantwortungslos. Neurotisch? – Dann aber auf eine interessante Weise. Seine Beschreibung Saurons aus dem Herrn der Ringe jedenfalls ist bemerkenswert:

„(E)r will bloß herrschen und quälen. Daher hat er auch nichts von Goethes stilprägender Teufelsfigur, dem geistreichen Mephisto, mit dem man im Grunde gern befreundet wäre, wenn es einen nicht leider die Seele kosten würde. Es scheint Sauron nur als wirkende Kraft zu geben, nicht als […] Person”…

Sein Gefolge? Substanzlos, wenn jener grundlose Wille fehlt, sie nichts mehr haben, womit sie eben, wie und warum auch immer, zu resonieren vermochten.

Heimsuchungen, beschworen, aber unkontrolliert – eigentlich geht es darum, und zwar auch in Du hättest gehen sollen, schwer zu sagen, welcher Text hier welchen kommentiere oder illustriere, weil den Kommentare das unterläuft, was das Kunstwerk vereitelnd zu einer Fingerübung zu machen droht, einer Illustration. Shakespeares „Figuren wirken dort, wo wir ihre Gründe am wenigsten verstehen, am meisten wie reale Menschen”, so ein Gemeinplatz von Kehlmann, der nicht nur hier simplifiziert, aber was ihn als Autor angeht, ist das das Defizit, das seine Texte manchmal prägt.

Fingerübung, Lockerungsübung.

„Was bedeutet das? Nichts. Es braucht ja auch nichts zu bedeuten. In einem Roman dürfte man so etwas nicht machen, denn dort müsste es Sinn haben.”

Stimmt. Stimmt vielleicht nicht, wenn die interpretive communities (Stanley Fish) entscheiden, ob etwas Sinn habe. Stimmt keinesfalls, wenn Kehlmann soviel könnte und es nicht einfach geschehen läßt. Nach diesem oft klugen Band wünscht man ihm, er könne nicht länger bloß, er entginge seinen wie gesagt sitzenden Konjunktiven, die er gebraucht, auf daß im Text nicht mehr möglich sei und werde, als er versteht.

Daniel Kehlmann
Kommt, Geister
Frankfurter Vorlesungen
Rowohlt
2016 · 176 Seiten · 9,99 Euro
ISBN:
978-3-499-27205-9

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