Suchbewegungen
Einer der Hauptvorwürfe gegen den freien Vers ist, dass es sich bei den vorgeblichen Gedichten lediglich um umbrochene Sentenzen handele, mithin um einigermaßen beliebig strukturierte Prosa. Die mangelnde Komposition werde durch den Zeilenumbruch kompensiert, der freilich Bedeutsamkeit, wenn nicht Bedeutung simuliere – wenns zu mehr denn nicht langt.
Dieser Vorwurf geht zwar nicht ins Leere geht, sondern weist auf einen wunden Punkt des freien Verses - das heißt aber nicht, dass sich bei ihm nicht deutliche Qualitätsunterschiede erkennen lassen. Auch wenn die Offenheit der Form dies schwerer macht.
Denn wo vor allem Reim, Versmaß und Strophenform fehlen, die zwar nicht in jedem Fall einfach herzustellen sind, deren Regelgerechtheit allerdings vergleichsweise schnell festgestellt werden kann, fehlen klare Beurteilungskriterien. Allerdings bleiben Rhythmus, Wortwahl und Tonalität immer noch erhalten und können zur Beurteilung eines Textes herangezogen werden.
Daraus wie Daniela Seel die Konsequenz zu ziehen und Gedichte als knappe Textblöcke zu schreiben, die Bedeutung aus sich selbst heraus und nicht aus dem Zusammenspiel von Zeilenende und Satzlauf generiert, ist beachtenswert. Wobei die Schmucklosigkeit, die Prosaik solcher Texte (Verse zu schreiben verbietet sich) aufschlussreich mit dem Textlauf korrespondiert. Gerade weil Seel, deren Gedichtband „Was weißt Du schon von Prärie“ soeben im eigenen Kookbook-Verlag erschienen ist, (fast) auf alles verzichtet, was ein Gedicht ausmachen könnte, bleiben Texte zurück, die auf ihr Wesentliches reduziert worden sind.
Es sind knappe Satz- und Wortfolgen, deren Zusammenhang aus der Abfolge konstituiert wird. Titel fehlen, allerdings hat Seel in ihrem Band Folgen angelegt, die unter dem gemeinsamen Titel zusammengestellt sind: Territorien, Saga, Aurora, Niagara, Fibeln, Rost Pfiff, Was weißt Du schon von Prärie und Verbindung. Und dazu noch zwei Prosatexte, die sich am Metathema der lyrischen Zivilisationskritik abarbeiten, Ökonomie: „Das amortisiert sich nicht“, und an dem Anspruch an die Texte Seels.
Auch wenn Seel Verlegerin ist und all ihre schönen Bücher irgendwie bezahlen muss, sind diese beiden Texte als Selbstvergewisserung zu lesen und selbstverständlich gegen eine Ökonomisierung von Texten, vor allem von Lyrik gerichtet. Wer würde das schon wollen? So sehr sind wir doch eben nicht nur an Schiller geschult, sondern auch an die hedonistische Kultur des 20. Jahrhunderts gebunden. Aber Gedichte als Gegenstände zu denken, die sich nicht aufrechnen lassen, bedeutet - was? Angesichts der Häufigkeit, mit der der ökonomische, ja kaufmännische Wortbereich in den Texten auftaucht, drängt sich die Frage auf, ob ihr da nicht die Metaphern durchbrennen. Denn so willfährig Sprache auch sein mag, wenn sie gar zu beliebig verwendet wird – Hauptsache "was Ökonomisches" und Hauptsache negativ -, dann funktioniert sie auch in solchen Texten nicht.
Aber vielleicht will Seel auch etwas anderes: Sprache, schreibt sie, sei das Medium menschlicher Erkenntnis. Gedichte aber seien so sehr Sprache, dass mit ihnen Unvertrautes, Ungewohntes auftauche, weil mit jedem textlichen Gebilde die verschiedenen Beteiligten, Autor, Leser, Sprache, Kontexte neu kombiniert werde. Dass damit etwas Neues entstehen kann, ist begreiflich und macht diesen Ansatz ja eben sehr, sehr sympathisch. Immerhin spielen sogar die oft verfemten Konventionen hier eine achtenswerte Rolle. Sie dürfen dabei sein und sind eben nicht das Jenseits der Lyrik als Raum freien, ungebundenen Handelns. Und sie spricht auch auf jene Gelände an, die Sprache zur Verfügung stellt und die so etwas wie eine Lebenspraxis überhaupt ermöglichen. Sie öffnet sogar die Lyrik in Richtung Erzählung, bewundere sie doch an manchen Gedichten, wie sie erzählten, ohne zu erzählen.
Das klingt in manchen Ohren vielleicht alles nach einer willfährigen Selbstaufgabe eine Lyrik, die keinen selbstverständlichen Ort mehr in der Kultur hat, weil sie vor allem sich selbst nicht mehr selbstverständlich ist. Aber wenn dem so wäre, dann hätte Seel keinen Gedichtband gemacht. Man wird ihr Gefallen an dem Sprachgebilde, das sich Gedicht nennt, also ernst nehmen wollen und müssen. Warum auch nicht?
Aber die Texte selbst? Fliegen sie? Bauen sie die Spannungen und ungewohnten Verhältnisse auf, denen Seels Aufmerksamkeit gehört? Dass einem unter solchen Vorgaben ein Sinn nicht gerade ins Gesicht springt, ist nachvollziehbar. Muss ja aber auch nicht. Die Funktion eines Textes hängt nicht am Sinn, sondern daran, dass er gemacht ist (und da bleibt selbstverständlich immer das Problem, dass solche Texte nur einem kleinen Kreis vorbehalten sind – auch wenn das nicht notwendig so ist).
Gerade deshalb aber müssen sie auf anderen Ebenen funktionieren, im Takt, in der Tonalität, im Rhythmus oder in der Assoziation. Was das angeht, fehlt den Gedichten das, was bei ihren Vorläufern Sound genannt worden ist, bei Brecht, Benn, ja, auch beim verfemten Rilke, bei Bachmann und Celan. Das ist aber ihr Schaden nicht und hat auch mit Klasse nichts zu tun, denn Seel arbeitet in einem Feld, das sich weit von solchen Vorläufern abgesetzt hat. Sie meidet die Willfährigkeit solcher Tonlagen, auch wenn sie etwa im Abschnitt Verbindungen, Fang mit Rhythmisierungen arbeitet, gehetzt und vorwärtstreibend.
Ob es das ist, was sie will, kann dabei offen bleiben. Die Texte sind Versuche – und dass Versuche scheitern dürfen und sollen, liegt in ihrer Natur, auch in der Literatur. Jene Texte wenigstens, in denen sie zu sehr gleichlaufenden Tonfolgen nachgibt, gehören sicher zu denen, die schwächer erscheinen.
Mithin eine lohnende Lektüre? Das wird jeder mit sich selbst ausmachen müssen. (Diesseits heißt die Antwort ja, aber das muss niemanden interessieren.)
Fixpoetry 2015
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben