Zumutung
Maren Keller möchte ein zeitgenössisches Gedicht auswendig lernen – heute auf Spiegel online - und befragt Daniela Seel:
„Seel redet viel von der profanen Welt, in der wir leben. In dieser Welt, sagt Seel, seien die ganz großen Fragen des Lebens gar nicht mehr zugelassen. Höchstens noch über den Umweg der Ironie, weswegen es Poetry Slams gäbe. Oder über den Umweg des Kitschs, weswegen es Vampirfilme gibt. "Da weiß man, es ist Genre, und muss es deshalb nicht wirklich an mich ranlassen", sagt Seel. Bei Gedichten aber, sagt Seel, sei man entgegen aller Gewohnheit, diese nicht an sich heranzulassen, mit diesen großen Fragen ganz ungefiltert konfrontiert. Was ist Schönheit? Was ist bedeutsam? Was ist ein gutes Leben? Seel sagt: "Das ist die Zumutung von Bedeutungsschwere."
Seels ganzes Leben hat mit Gedichten zu tun, aber es fällt ihr nicht leicht, ein einzelnes davon zum Auswendiglernen zu empfehlen. Das habe, sagt sie, mit einer zunehmenden Komplexität von Gedichtzyklen zu tun. Gedichtbände hätten immer öfter essayistische Formen. Gedichte seien immer öfter buchlang. Poesie heute widersetze sich der Anthologisierung.“
Ich finde das Wort Zumutung in diesem Zusammenhang besonders schön – es hat eine überlassende Geste – man gibt etwas weg, das den anderen auffordert Mut zu erproben: ich mute dem anderen zu (fast im Sinne von prosten). Was zur Voraussetzung auch Traute hat; ein Gedicht muß sich ja trauen. FM
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