Rausch aus Lack und Pappe
Hubert Winkels bespricht heute in der ZEIT den Roman „Lichtfang“ von Lisa Kränzler, erschienen bei suhrkamp:
„Die Malerin Lilith hat ihre Kunst ganz auf die Lackbeschichtung von Papier und Pappe konzentriert, bis ein ungeheueres Ungeziefer daraus aufersteht, um sie auszusaugen. Ein Grauen, aber so real, dass Lilith jubiliert über ihre Schöpferkraft. So überspannt dies in der Raffung klingen mag: Wie Lisa Kränzler diesen magischen Akt der Kunst aus der Lebensverzweiflung herausdestilliert, ist meisterlich. Die blöden Eltern werden mit kurzen Kapiteln voller Erziehersprüchen abgekanzelt. Dafür werden zwei alte Männer wichtig. Der asoziale Schrottsammler Paule und Liliths dementer Großvater, ein Dichter. Dessen Auto und Schreibmaschine gehen an Lilith, die sich nun in des Großvaters poetische Idee vertieft, bis sie in ebendieser untergeht: "Nur was mich versengt, soll Sätze hinterlassen. Auf dass die Lettern aufflammen wie Streichhölzer und mein Text eine Brandspur sei."
Um solche Intensität geht es der Malerin Lilith, geht es der Poetin Lisa Kränzler. Um eine Intensität der Einbildung, die Reales gebiert, das der Normalität als Ungeheuer erscheint. In diesem Fall als "Nachtfalter Arctornis-l-nigrum", als "Schwarzes L". Tatsächlich trägt dieser auch in Europa heimische Spinner ein L auf beiden Flügeln: Lilith, Lisa. Auf dieser Ebene der Buchstäblichkeit und des Körpers, wie sich beide treffen, begatten und töten, ist der Roman unterwegs und erzählt trotzdem von Sex und Drogen und Geschwindigkeit heute. "Kafka auf Speed", würde man jubeln, wenn man wie Lilith mit 19 Jahren gerade den Rausch der Kunst und der Poesie entdeckte.“
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