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Kritik

Der Kopf ist für das Denken rund

Danilo Pockrandt debütiert mit Gedichten für Kleine und Große
Hamburg

„Der Brillenbär hat gute Augen, / die ihm auch ohne Brille taugen, / nur zeichnet die Natur ihm schlicht / zwei weiße Kreise ins Gesicht.“ So oder so ähnlich stellt man es sich vor, wenn man sich fragt, wie es um den Brillenbär (den es ja tatsächlich gibt) bestellt ist. Und so ist Danilo Pockrandts erstes Buch mit dem salomonischen Titel „Der Kopf ist für das Denken rund“ bevölkert von einer Reihe bestechend eigentümlicher Wesen, von denen die meisten ihre symbolische, metaphorische Entsprechung in der Tier-, Ding-, Menschenwelt haben: eine Zahnbürste, die aufräumt, überambitionierte Katzen, vorwitzige Vögel en masse oder ein versoffener, auf „Leichenbräu“ fixierter Weberknecht.

Größere Ausnahme: das Orly, dem im aufwendig und schön gestalteten Bändchen so einiges zugemutet wird. Aber vielleicht – und wer weiß, wofür es gut ist – hat man es einfach noch nicht gefunden. Oder das (festhalten!) Pixel, das sich darüber grämt, dass keiner den Hauch seiner Genialität erkennen mag und das dennoch („es malt, sich selbst beseelt zu sehn“) ein glückliches Pixlein wird. An den Bären-, Huhn-, Sternmull-, Elefantenkarawanen-Gedichten des Hallensers, der hier seine künstlerische Dreifachgabe treffend in eins führt, jedenfalls dürften Klein und Groß von 5 bis 105 ihre Freude finden.
So hat der Absolvent der buchkünstlerischen Klasse der halleschen Kunsthochschule hier dem Brillenbären auf eine Weise Zucker gegeben, dass es eine Lust ist, im Band zu blättern: Nicht nur die Texte, alle Illustrationen wie die Gesamtgestaltung von „Der Kopf ist für das Denken rund“ stammen aus seiner Hand. Zugleich wird das Buch durchschwirrt von einer kleinen, mit das Herze und den Solarplexus rührenden Augen besetzten Stubenfliege, die durch die Pockrandt’sche Welt kommt, sich im „Schaurigen Geisterlied“ vor dem gekochten Ohrensessel gruselt, den Schwalben beim Träumen zusieht, den Frosch im Hals und die Appetitlichkeit von Heringen bedenkt. Die sind nämlich dank (wer’s auf dem Teller mag!) Darmakrobatik als ordinäre „Gewitter-Furzer“ verschrien.

Das Staunen ist dabei der Ausgangspunkt, der die Welt und die aus ihr zu ziehenden Schlüsse erst sichtbar macht, sei es, dass dieser Schluss ein idealistischer oder eben auch mal ein pragmatischer ist. Skurril und weise sind diese Gedichte zu nennen und eine erste schöne Quintessenz dieser zu guter Hoffnung Anlass gebenden Art, Kinderbücher zu machen: in denen sich Scherz und Ernsthaftigkeit die Waage halten. Und so kommt die Antwort des Dings, wüst angeredet, als Ver- und Entzauberung zugleich daher:

Vor Wut, dass Worte Krallen haben
und achtsam Gutes in sich tragen,
heb ich was Kleines hoch und sag,
was ich hier nicht verschweigen mag:
„Du bist ein Ding, vor allen Dingen
kannst du nicht sprechen oder singen!“
„So lang ich nicht verzaubert bin,
hast du wohl recht“, sagt da das Ding.

Dass der junge Dichter auch anders kann, beweisen seine weithin verstreuten, freieren, die ‚ernsthaften‘ Gedichte. So hat er anlässlich seines Sonneck-Stipendiums in der Naumburger Toskana einen Zyklus bestechender, geradezu haikuartig auf den Punkt gesetzter Naturlyrik geschaffen, ohne sich von den Kindertexten verabschieden zu müssen. Die Unterscheidung in ‚hohe‘ und ‚Kinderliteratur‘ ist ja überdies nur eine für das Klientel Pfennigfuchser, die im germanistischen Mittelseminar nicht aufgepasst haben.

Im Verbund mit seinem Bruder hat Pockrandt überdies mit sehr feinen, virtuos zwischen Fotografie und Malerei changierenden Kalendern auf sich aufmerksam gemacht; seine Arbeit wurde mit einem der renommierten Wiepersdorf-Aufenthalte geehrt, dort entstand ein Großteil der in „Der Kopf ist für das Denken rund“ versammelten Texte und Illustrationen. Der Spatz, der auf Seite 36 Blätter rupfend den Herbst imitiert, lebt meines Wissens in einem der Kugel-Bäume vor dem Wiepersdorfer Stipendiatentrakt.

Resultate seiner auch vermittelnden Arbeit finden sich in einem von ihm edierten Band mit Texten schreibender Schüler, während seiner Schulschreiberzeit in Laucha entstanden: „Das Land von Klingen fern“, ebenfalls im Hasenverlag erschienen. Dieses und sein Debüt dürften zum momentan Schönsten gehören, was das KInderbuchgenre zu bieten hat. Wer jenseits des Betriebs-Schwarms Augen hat, zu lesen, der wird wissen und genießen. Und: auch die Sache mit dem Brillenbären geht in bester Ringelnatz-Tradition aus:

„Die Brille ist ins Fell gefärbt / und wird von Bär zu Bär vererbt, / sie wächst ihm einfach im Gesicht, / den Brillenbären stört das nicht.“

So mag es sein – und noch ein bisschen bleiben!

Danilo Pockrandt
Der Kopf ist für das Denken rund
Gedichte für Groß und Klein
Hasenverlag
2014 · 56 Seiten · 14,80 Euro
ISBN:
978-3-939468-91-2

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