Kafka und kein Ende.
Manchmal fragt man sich wirklich, was Franz Kafka wohl zu alldem sagen würde; zu den unzählbaren Regalmetern an Veröffentlichungen über ihn und sein Werk. Zur Vermarktung seiner Person in der Stadt Prag und darüber hinaus. Zu den zahlreichen Illustrationen seiner Bücher, die Kafka zu Lebzeiten mehr oder minder ablehnte, auf jeden Fall aber stets skeptisch betrachtete. Dass sich Kafkas Werke ist ebenfalls nicht von der Hand zu weisen. Seit dem der Comicmarkt auch hierzulande boomt, haben nahezu alle deutschen Comicverlage Graphic Novel-Adaptionen von Klassikern der Weltliteratur in ihr Programm aufgenommen. Speziell der Knesebeck Verlag hat es sich zur Aufgabe gemacht, Kafkas Werke als Comics zu veröffentlichen. Die inhaltliche Qualität der Bände schwankt jedoch stark.
Im Zuge dieser kleinen Welle scheint es nur folgerichtig den Sachcomicklassiker Kafka für Anfänger aus dem Jahr 1993 neu aufzulegen. Ihre Macher sind David Zane Mairowitz (Text) und die Comiclegende Robert Crumb (Illustrationen), der auch hierzulande vor allem als Schöpfer von Fritz the Cat bekannt sein dürfte. Der Band, der in seiner Neuausgabe im Reprodukt Verlag nur noch unter dem Titel Kafka erscheint, versucht dem Leser die Eckpunkte im Leben und Schreiben des Prager Autors zu vermitteln. Dabei wird das Leben Kafkas nicht vorrangig chronologisch, sondern vielmehr in thematischen Schwerpunkten nacherzählt; beginnend mit der prager-jüdischen Mythenwelt bis hin zu seinem Tod als unfreiwilliger Hungerkünstler. Kafka litt sieben Jahre lang an Lungentuberkulose, die in den letzten Wochen seines Lebens auf den Kehlkopf übergriff und ihn so am Sprechen und Essen hinderte. Die Ineinssetzung des Todes mit der Erzählung vom fastenden Schausteller, der nicht die Speise finden kann, die ihm schmeckt, wirkt da doch etwas zynisch.
Es ist eine generelle Schwäche dieses Comics, dass Mairowitz einen gewissen Sicherheitsabstand zwischen Leben und Werk des Schriftstellers nur selten einhält. Viel zu oft wird der Erstzugang zu den Bildwelten Kafkas über dessen Biografie hergestellt. Daraus wird zwangsläufig das populäre Bild des mysteriösen Neurotikers mit ausgeprägtem Vaterkomplex bedient, das zwanzig Jahre literaturwissenschaftliche Forschung längst korrigiert haben. Mairowitz missachtet diese Entwicklungen in der Neuausgabe, wird jedoch nicht müde die Vereinnahmung und Fehldeutungen Kafkas anzuprangern. Selbstredend bekommen dabei auch die fachsimpelnden Akademiker ihr Fett weg, was ein wenig paradox wirkt.
Ebenfalls ärgerlich ist Mairowitz‘ etwas schludriger Umgang mit Kafka-Anekdoten, die er zwar kennt, aber im Buch unglücklich platziert. So wird zum Beispiel mit Hilfe der Illustrationen von Robert Crumb das Ende des Romans Der Proceß sehr eindringlich nacherzählt. Allerdings führt Mairowitz hiernach aus, Kafka habe beim Vorlesen aus dem Manuskript vor Freunden „unbeherrscht“ gelacht. Zwar ist diese Episode durch Max Brodt verbürgt, doch war es der absurde Anfang, Josef K.s Verhaftung aus dem Bett heraus, die Kafka laut lachen ließ. Zu Recht, denn der absurde Humor des Pragers wird aufgrund der überinterpretierten Düsternis in Kafkas Werken oft gänzlich außer Acht gelassen. (Nicht aber bei Mairowitz und Crumb, das muss fairerweise erwähnt werden.)
Warum ist die korrekte Position dieser beiläufigen Anekdote aber so wichtig? Ganz einfach. Durch ihren Einsatz am Ende des Proceß-Kapitels wirkt es so, als sei Kafka ein Psychopath gewesen, der nichts amüsanter fand, als die Hinrichtung eines Unschuldigen (so wird Josef K. hier dargestellt, was fragwürdig ist, aber an dieser Stelle zu weit führen würde), der wie ein Hund verbluten muss. Eine solche Darstellung ist nicht nur unglücklich, sondern schlichtweg absurd. Dabei gibt es eine ganze Fülle von Anekdoten aus Kafkas Leben, die exemplarisch angeführt werden können, um ein lebhaftes Bild ihm als Bruder, Freund und Literat zu erhalten. Darauf verzichtet Mairowitz jedoch zugunsten der ziemlich ausgelatschten Darstellung als Opfer des Vaters und der Frauen.
All diese inhaltlichen Schwächen sind jedoch aus zweifacher Warte zu verschmerzen. Zum einen wird es nach wie vor Kafka-Leser geben, welche die etwas eindimensionale Deutung seines Werkes von der Biografie her (und hier vor allem mit dem Vater im Mittelpunkt) bevorzugen. Zum anderen besteht ein nicht zu verkennender Mehrwert dieses Buches in den Zeichnungen von Robert Crumb, der vor allem Kafkas Werke, aber auch zahlreiche Episoden aus seinem Leben, man möchte sagen: kongenial, in Szene setzt. Besonders hervorzuheben ist das bereits erwähnte Hungerkünstler-Kapitel, in dem durch starke Schraffur bei gleichzeitig harter Kontur die zwielichtige Jahrmarktsatmosphäre hervorragend transportiert wird. Aber auch der Rest des Comics überzeugt in seinen Bildern, deren Vorlagen nicht selten aus den Briefen oder Tagebüchern Kafkas stammen und eine lebhafte Vorstellung von den Bildern im Kopf des Autors geben.
Alles in allem wird der Comic von David Zane Mairowitz und Robert Crumb Kafka-Kennern wenig Neues und einiges Ärgerliches bieten. Kafka-Einsteiger hingegen könnte diese, ursprünglich als Einführung gedachte, Darstellung durchaus auch verschrecken statt anziehen. Wie auch immer man aber zum Text von Mairowitz stehen mag, auf die Illustrationen Crumbs wird man sich nicht nur als Comicliebhaber einigen können.
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