Zu klug und zu durchdacht und dann doch mitten im Weg
Wahrscheinlich gibt es in der Literaturwahrnehmung keine Generationengerechtigkeit. Man kann sich nicht auf den Zeitkern der Texte berufen, was welk ist, ist welk. Wahrscheinlich trifft das, was das Leben zuweilen so unangenehm macht, dieser irreversible aber ständig anhaltende Alterungsprozess auf lyrische Texte im besonderen Maße zu. Wen kümmert angesichts des Falls der nordafrikanischen Regimes, was Angehörige meiner Generation bei der Betrachtung des Berliner Mauerfalls gedacht haben? Ein anhaltendes Interesse findet sich noch bei den Angehörigen meiner Generation, der, wie es der Zufall so will, auch Dirk von Petersdorff angehört.
1966 geboren unterrichtet er heute an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, jenem ehemaligen Hort der Romantik, den auch Hegel durchlief.
Dass Kunst und so auch Literatur subjektive Geschichtsschreibung sei, bemerkt Benjamin irgendwo. Oder war es Adorno? Geschenkt. Sowohl das mit der Geschichtsschreibung, als auch der Urheber des Zitates. Wen kümmerts? „Die Zukunft beginnt// wie auf Raffaels Madonna:/Am unteren Bildrand lehnen/ die Engel – nächste Generation./ Sie müssen fast gähnen,/“(41)
Es bleibt also ein Wagnis, sich mit Vergänglichem zu beschäftigen und diesem Vergänglichen eine haltbare Form zu verpassen. Von Petersdorff scheint davon zu wissen, der zitierte Gedichtanfang legt das nahe.
Unter dem Titel „Nimm den langen Weg nach Haus“ legt der Verlag C.H.Beck nun eine Sammlung mit Petersdorffscher Lyrik vor, die aus bereits veröffentlichtem Material und neuen Texten besteht. Angesichts des eingangs erwähnten wirft das natürlich die Frage auf, ob es sich dabei um die haltbarsten Texte früherer Produktionen handelt, oder wenigstens um Texte, denen der Autor und der Verlag Haltbarkeit ansinnen, zumindest wünschen. Zuweilen scheint mir ein solches Vorhaben eitel, vor allem wenn sich die Texte so etwas wie ein tiefes Gedankentum zu borgen scheinen, wenn sie, wie vor allem im ersten Teil durch die individuelle Bildungsgeschichte des Autors spazieren und mit ausgestelltem Wissen nicht geizen. „wo der Berg ragt/ und die Sprache dünn wird,// wie an Mister Shelley zu studieren ist./...“ (40)
Aber auch das scheint der Autor zu wissen, und er gibt dieses Wissen seinen Texten mit, so dass man sich an ihnen wohl die Zahnkronen ausbeißen würde, sollte man sich auf einen akademischen Kampf einlassen. Ich lasse mich lieber nicht darauf ein. Diese Texte sind mir zu klug. Zu durchdacht. Der Autor scheint an jeder Stelle genau zu wissen, was er tut, und stellt sich so zuweilen vor die Gedichte.
Hin und wieder aber, in dem Sonetten-Zyklus „Die Vierzigjährigen“ vor allem, durchbrechen Petersdorffs Texte ihre selbst auferlegte akademische Distanz. Dann rücken sie mir auf die Pelle, und ich stelle mich ihnen gern. „Die Vierzigjährigen“ spielen an auf die Zeit kurz vor dem Verschwinden, jene grauen Jahre zwischen vierzig und sechzig, in denen man der Welt abhanden kommt. In diesem Zyklus schlägt Petersdorffs Souveränität in Eindringlichkeit um und lassen mich die Lektüre guten Gewissens empfehlen.
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