Schema-F und ein bisschen Ausdauer
Dirk von Petersdorff ist ein Germanistikprofessor, der »schön« mit »Föhn« reimt. In seinem neuen Gedichtband »Sirenenpop« (C.H. Beck, 2014) liegt ein Beispiel für naives Reimen unter mechanischer Beobachtung von Hebungen und Senkungen vor.1
Die früheren Bücher des Trägers des Kleist-Preises, wie etwa »Wie es weitergeht« (1992) oder »Nimm den langen Weg nach Haus« (2010), schienen doch so vielversprechend. Nun aber denkt man: Wem ein Bewusstsein und ein Gefühl für formale Durchbildung von sprachlichem Material fehlt, der schreibe Texte, die zumindest aussehen wie Gedichte. Was ist los? Behauptet der Autor nicht ein ironisches Spiel mit Form zu treiben? Warum aber so verkrampft?
Zweifelsohne ist die Serie »Ein Jahr im Hof« die am stärksten anregende Lektüre, die der Band bietet. Darin vollzieht von Petersdorff eine Mantik des Ortes in vier Jahreszeiten. »Ein Jahr im Hof« funktioniert als Poesie deshalb so hervorragend, weil es per Sprache eine Serie von fragmentierten Wahrnehmungen zu einer Gefühlsprägung des Dortseins zusammenführt und sich dabei im Akt der Lektüre eine stimulierende Erfahrung vermittelt.
Im zweiten Teil möchte ich über Pop und Form nachdenken bzw. über die Produktivität dessen, was als Form in den Petersdorffischen Gedichten wahrgenommen worden ist. Ich lese den Band natürlich nur nach Maßgabe meiner Lesegewohnheiten, die notwenidg subjektiv sind, und stelle diese Notizen nur deshalb zur Verfügung, um die Debatte zu »Sirenenpops« zu mehren. Einige Kommentatoren stellten z.B. die »strenge« Beobachtung der Form heraus und schlossen daraus, dass Dirk von Petersdorff wohl ein Meister sei. Ich denke hingegen, eine solche Schlussfolgerung lässt sich mit dem vorliegenden Buch nicht belegen.
Multiperspektivisch Dichten: »Ein Jahr im Hof«
»Ein Jahr im Hof« bietet zwölf Eindrücke aus einem Hof. Offen bleibt, wo sich dieser Hof befinde, auch von welcher Art er sei, wird nicht vollständig ausbuchstabiert. Ebenfalls unbestimmt bleibt, wer diese Eindrücke festhält oder ob es nicht zwölf unterschiedliche Eindrücke sind, die uns präsentiert werden.
Die Stimme, die sich hier gibt, ist jedoch erfrischend fließend. Petersdorff arbeitet nicht mit dem arthritisch verbogenen Ton, den er in seiner Reimdichtung vorführt; vielmehr begegnen wir einer fluiden Sprache, die zwischen dem Ton der Reverie und des nüchternen Statements oszilliert: »Zweige der großen Kastanie ragen herein, Gewirr, zertretener Schnee, Füße, Schleifspuren, Kanten, // einer durchquert auf Krücken / den Hof, wie eine Krähe hüpfend […]«.
Kastanienbaum (beispielsweise betrachtet). Diese Zeilen sind aus dem ersten Text der Serie zitiert »Januar, Spuren im Schnee«. Die Kastanie wird noch in anderen Teilen der Serie ein Feature sein. Sie ragt herein, so dass man davon ausgehen kann, sie ragt an die Position, in den Ort, den Raum, das Zimmer, darin die Stimme in diesem Januar-Text sitzt.
Im Februar liest man dann: »und die Kastanie vom Nachbarhof / tropft kahl, nackt, […]«. Petersdorff erzeugt nun ein weitläufiges Feld an möglichen Interpretationen: Ist es dieselbe Kastanie wie im Januar? Oder ist es eine andere Stimme, die ihre Wahrnehmungen aus einer anderen Position mitteilt (also ein Art Rollengedicht)?
Drei Texte weiter lesen wir in »Mai, Modelle zerspringen«: »Zweige, Stöckchen der großen Kastanie / im Hof verstreut, Muster.« Im November heißt es dann: »Montag, als es plötzlich aufriss, / stand ein altes Paar in der Kastanie, / weiße Haare, herüberlachend, / noch einmal auf einen Baum klettern, / Zähne blecken, tiefrote Blätter / als Wimpelflattern / um sie herum.«
Petersdorff erweitert seinen Assoziationshof mit jedem Vorkommnis innerhalb des Bezirks. Die Kastanie ist als Gegenstand der Wahrnehmung ein Bezug zur Welt: Sie ist Lebensbaum, Nabel jener Welt, aber als Kastanie zunächst auch nur als botanisches Ereignis ins Gedicht gegeben. Weder verklärt Petersdorff die Dinge im Hof, noch mystifiziert er sie; er braucht keine artifizielle Begriffs-Marker der Metaphysik (also typische Metaphern der Transzendenz), denn die Artifizialität des Gedichtes als Gemachtes, als Poesie, als Kunstwerk genügt schon, um die Dinge aus ihrer Tiefe heraus sprechen zu lassen—oder schweigen zu lassen wie unbedeutende Geheimnisse.
Wichtig dabei ist, dass uns jedes Vorkommnis im Hof zurückverweist an die relative Position der Stimme, die sie ins Gedichtfeld setzt, also in einem gewissen Sinne auch zurück verweist an den Leser. Indem ich mich frage, wo und wie die Stimme des Gedichts zu den Dingen steht, welchen Bezug sie zu- bzw. aufeinander haben, bedenke ich einen Weltbezug schlechthin.
Dass Petersdorff daher das lyrische Ich zurücknimmt in seinem Zyklus ist nicht nur eine textstrategische Raffinesse, sondern eine ideologische Konsequenz, die die Genese des Subjekts aus einer autonomen Begegnung und Herstellung von Relationen sieht. Das heißt: Das lyrische Ich geht aus der interpretativen Lektüre hervor.
Das Kalenderjahr, das in zwölf Snapshots offeriert wird, ist ein kontingenter Kosmos. Petersdorff beansprucht keine ewigen Wahrheiten, noch verklärt er diesen Ort. Das Avancierte dieser Ästhetik ist nicht ihr enormer Zoom und ihr Zeitlupenblick bzw. ein vordergründiges Interesse an Alltäglichem, sondern ihr Sog: »dessen stumme Wesenheit zur Quelle jenes, wortlosen, schrankenlosen Entzückens werden kann,« wie es bei Hofmannsthal heißt.
Man denkt an die seltsame Forderung des Chandos-Briefs, darin der Kontakt der Sprache zur Wirklichkeit bzw. das Fehlen dieser Beziehung bei dem fiktiven Autor, den Hofmannsthal jenen Brief schreiben lässt, zur völligen Lähmung seiner literarischen Ambitionen führt.
»Entzücken« - nicht jenes, das Wordsworth schaudern ließ, als er die zitternde Spiegelungen des Monds in den Ringen im See sieht, die Tropfen erzeugten, welche vom Paddel eines einsamen Bootsmanns triefen. Petersdorf ist mit diesem Zyklus im 21. Jahrhundert angekommen.
Im Hof seiner Erfahrung ist die alleinerziehende Mutter, deren Ex irgendwo anders im Häuserhof wohnt, wobei es bei den beiden kompliziert ist, weil sie – was man aus den Schnipseln des Gedichts sammelt – gelegentlich noch vögeln. Der Sex mit dem Ex ist hier kein Kalauer, sondern unkommentierte Konkreta. Es gibt Antiatomaufkleber. Es ist das Nebeneinander heterogener Wirklichkeitsdimensionen, deren Kontexte nicht je für sich konstruiert und nachverfolgt werden können, was den Zyklus zu seinem eigenen Kontext macht mit vielen offenen Enden; nämlich die Komposition von Phänomenen als ästhetische Lektüre-Erfahrung, wie Hofmannsthal schrieb: »wenn ich dieses Nußbaums [oder dieser Kastanie] ansichtig werde, mit scheuem seitlichen Blick daran vorübergehe, weil ich das Nachgefühl des Wundervollen, das dort um den Stamm weht, nicht verscheuchen will, nicht vertreiben die mehr als irdischen Schauer, die um das Buschwerk in jener Nähe immer noch nachwogen.«
Überlagerungen. Es finden sich im Hof Gegenstände der Wahrnehmung, die nicht direkt zugänglich sind, sondern von anderen Dingen überlagert werden: »auf dem Zweifel liegt, Schnee / auf der Plane über dem Motorrad, / Susanne trampt durch Indien, / Joshua wird wieder Vater«. Ist es Motorrad, worauf die Zweifel liegen? Ist es die Plane? Der Schnee?
Das von der Plane und dem Schnee überlagerte Fahrzeug jedoch holt aber noch etwas hervor, das von Gegenständlichem überlagert ist: Die Erinnerung, dass Susanne (wer immer das auch sein mag) trampt, dass Joshua wieder Vater wird. So sehr Plane und Schnee das Motorrad überlagen, so sehr lagern im Motorrad Assoziationen an Menschen und Geschicke, die unbestimmt bleiben.
So ist alles in dem Hof trotz seiner arbiträren Gegenwart miteinander verbunden durch die Komposition des Dichters, dort finden heterogene und zeitversetzte Wirklichkeitsschnipsel plötzlich eine assoziative Kohärenz. Gleichwohl ist der Hof nicht hermetisch abgeriegelt, sondern die Wurzel eines Weltzugangs, da jegliches Objekt und viele Begebenheiten, die sich in dieser kleinen Gemarkung der Welt zutragen, auf Dinge, Orte und Handlungen bezugnehmen, die außerhalb des Hofs, auch außerhalb des Jahres stattfinden: beispielsweise heißt es in der Februar-Sequenz »Frühling und Winter gleichzeitig, / nach einigen Flocken die Zunge herausstrecken, / die rissigen Lippen spüren, / nachher zum Tangokurs«.
Denken wir an Gedichte wie Michael Krügers »Mein Schreibtisch in Allmannshausen« oder Dieter M. Gräfs »Bastard, daheim. Feld bei Maudach« analog zu »Ein Jahr im Hof«, wird die poetische Investition eines Mikrokosmos mit Subjektivität deutlich. Der Dichter schreibt sich in die Umwelt eines Tischs, eines Felds, eines Hofs ein und konstituiert seinen Ort als eine öffentlich zugänglich gemachte Wirklichkeit.
Diese Strategie ist anders gelagert als jene enzyklopädischen grand narratives, die wir von anderen poetischen Konzepten kennen, etwa William Carlos Williams buchstarkes Poem »Paterson, New Jersey« oder Hart Cranes »The Bridge«, welches eine Art Summe der Nation zu sein versucht.
Bei Petersdorff finden wir kein Universum in einer Nussschale, sondern eine Nussschale als Universum. Sein Zyklus ist saturiert mit Konkreta. Alles, was wir im Hof gewärtigen, ist da, ohne dass wir seine umfassende Geschichte, Bedeutung, seinen Sinn kennen würden.
Die Abwesenheit der erschöpfenden Kontexte, auch der Unmöglichkeit durch einen Narrativ jegliches Vorkommnis an einem Ort zu kontextualisieren, macht das Gedicht selbst zum Bezugsrahmen dessen, was darin an Welt eingefangen wird, so dass das Gedicht selbst zum Kontext für notwendig nur als Fragment wahrnehmbare Weltbezüge wird: »Was macht dieser einsame Italiener / mit Slippern im Hof, hinter der Sonnenbrille, / mit der er Gedanken lesen kann, / oder ›nur Phantasie‹?«
(Sirenen)Pop als Form
Ein typischer Gestus des intellektuellen Kimas der 1980er und 1990er-Jahre scheint mir, eine zur Schau gestellte Nivellierung von der angeblichen Differenz zwischen ›Unterhaltungsliteratur‹ und ›Hochliteratur‹.
Für Nachgeborene mag diese Unterscheidung erstens lächerlich und zweitens belanglos scheinen; eine Unterscheidung, die nur als dazu diente, wissenschaftliche Tätigkeitsfelder abzugrenzen von Dingen, die von Belang sind für die Wirklichkeit. In diesem Zusammenhang entsteht – in Deutschland natürlich verspätet – eine Debatte um populäre Phänomene.
Wie hat eine populäre Denkung eine Auswirkung auf die formale Durchbildung von Texten? Die Formfrage begleitet den Pop seit seinen Anfängen; so oft Pop die verschiedentlichsten Massenphänomene aufsaugt und ästhetisiert, überführt er sie in die Domäne des Artifiziellen.
Pop ist eine Art kapitalistischer Hedonismus; er nutzt Popularität der Phänomene (ihre Alltäglichkeit) und Sinnlichkeit, ihre Fähigkeit attraktive Sinnträger zu sein, um Absatz und Wiedererkennbarkeit (Form) zu erzeugen. Andy Warhol beispielsweise verwendet ein formales Prinzip wiederholt ohne Unterschied z.B. auf einen Autounfall oder auch auf das Westwerk des Kölner Doms an. Die Form ist hierbei künstlerisch nicht sehr raffiniert; was sie aber trotzdem produktiv im Kunstwerk macht, ist das Zusammenspiel von Sujet, Form und Präsentation.
Das angebliche Pop-Prinzip, welches Petersdorff für sich reklamiert, bleibt leider eine bloße titelgebende Vokabel, wie ein Blick auf das Gedicht »Sirenenpop« zeigt. »Ja sicher gab es sie, die Nymphen, / Bikinisilber an den Bächen, / ein Huschen, Flirren, Annabell, / und kühles Glucksen war ihr Sprechen. // Auch Kirke haben wir gekannt, / von ihrer Ausziehcouch umrandet, / Ägäishitze in Hannover, / an jedem Freitag dort gestrandet«.
Die antikisierenden Elemente verharren in ihrer Eigenschaft als bloße Lexeme: »Nymphen« z.B wird kaum produktiv genutzt, wirkt wie ein bloßes Ornament; ebenso sind »Kirke« und »Ägäishitze« eingefügt in diese alte Leute Jugend-Erinnerung (»haben wir gekannt«) total sinnfrei.
Man wird ein gewolltes Remix von »Des Knaben Wunderhorn«, ohne Wunder allerdings, nicht aufbessern, indem man sich verkrampft bemüht Coolness dem Einband und Titel nach herzustellen, um dann Turnschuhgedichte in Schemen eingeschlafener Kavalierslyrik zu stecken.
Das Gedicht befindet sich übrigens in der Sektion »Lieder« des Gedichtbandes, die umständlich verschachtelte Kakophonien präsentiert und dazu noch für einen reifen Mann ziemlich peinliche Gedankengänge verdichten, wie in »Vor dem Einschlafen denkt sie«, welches wohl einen Hausfrauen- & Gattinnen-Monolog als Rollengedicht gibt:
»Der Mann ist Urzeit und Moderne,
ist Rückenansicht, Motorsäge—
erfolgreich, will ich, in der Ferne,
wenn er nur redend bei mir läge.Rasiert und dabei unrasiert
ergibt die einfühlsame Härte,
ein Zittern – irgendwann zu viert? —
Gedanken treib ich mit der Gerte,nur will ich keineswegs forcieren,
genügt es, dass er mich begehrt?
Ich muss ihn nebenbei studieren:
Er reinigt routiniert den Herd.Denn Liebe, wie, ist ein Entschluss,
beeendet Warten-Denken-Schauen-
nur bald, ein ganz normaler Kuss,
da überkommt mich das Vertrauen,in dieser stillen, kleinen Wohnung,
›mein rechter Arm ist warm und schwer‹,
sprech ich mir vor und denk: Belohnung,
er fliegt nach Hongkong, flög er her.«
Analog hierzu lassen sich die Dezimen lesen, die das erste aus fünf Kapitel des Buchs bilden. Sie sind denkbar simpel gebaut, zwei kreuzgereimte Quartette, die mit einem Couplet abgeschlossen werden. Hier ein Beispiel:
»Von Jena
hoch zur Ebene, ins große Wehn
der Gräser, Heben, Sinken, immerzu,
die Russenpanzerrampe ließ man stehen,
›und diese Orchidee heißt Frauenschuh‹«.
Aus Truppenübungsplatz jetzt Biotop,
die helle Gräserinnenseite, Wind—
auch niemals wissen, was uns zog und schob,
so wie Erkennungstakte, Song beginnt,
zum Tanzflur schnell im losen, weißen Hemd,
im Sog, wir Gräser, die vom Wind gekämmt.«
Häufig, aber nicht immer baut, wie hier, von Petersdorff das erste Quartett als syntaktische Einheit, während das zweite Quartett im Zeilensprung offen ins Couplet überfließt. Auch zu beobachten ist der Umgang mit dem Gedichttitel, den der Autor hier ins Gedicht integriert, um sämtliche Verse pentameterisch zu gestalten: In manchen antiken Episteln sowie in den Enzykliken der Päpste sind ja die ersten drei Worte des Textes nicht nur tongebend, sondern auch titelgebend. Dies ist allerdings eine Konvention, die der Autor des »Sirenenpops« nicht beansprucht.
Um die Versökonomie zu straffen und auf Artikel und Präpositionen verzichten zu können, bringt von Petersdorff zahlreiche wuchtige Komposita ins Spiel, gelegentlich zum Schaden der Texte: Worte wie »Russenpanzerrampe«, »Gräserinnenseite«, »Mäusebussardpaar«, »Himmelblauapartment« oder »Ahornsamenzupfen«. Manchmal unterstützen diese Monstervokabeln, wie sie der Stolz der deutschen Sprache sind, den ironischen Grundton der Gedichte—oft aber auch nicht.
Auf der Versebene finden sich alliterative Cluster und manchmal ansprechende Vokalabfolgen – zum Beispiel im Gedicht »In der WG-Zeit«: »so wippend unterm Wehen hohe Eichen« oder »zu deuten waren wieder viele Zeichen«. Besonders der zuerst zitierte Vers zeigt, was klanglich gut komponierte Verse bewirken können, wo doch die semantische Bewegung des Wippens auch klanglich durch Vokale mit Vorderlautung und Hinterlautung, dann Sch’wa, dann wieder Vorder- und Hinterlautung (i-u-e-o-i) imitiert wird. Diese Bewegung konterkariert dann die regemäßigen Galeerentrommeln der Jamben, so dass wir bei aller Monotonie des Metrums doch zu einer Art schwingendem Klang kommen.
Die Form ist frei gewählt. Sie hat keinen erkennbaren motivischen Bezug (wie etwa das Sonnet im Barock oder auch Hymne, Choral und Lament in der geistlichen Lieddichtung), was freilich in der Tradition der Postmoderne keine Überraschung sein dürfte. Höchstens die Reime führen gelegentlich zwei Worte zusammen, die die Grundspannung des Gedichts aufzeigen: etwa im Gedicht »Nike Air«, welches das Air Pad der Turnschuhsohle kontrastiert mit der agonalen Rhetorik des sportlichen Wettkampfs, dort schließt das Couplet dann mit dem Reimpaar »kämpfen« / »dämpfen«.
Freilich ließe sich nun einwenden, dass die Reime keinerlei noetische/logische Kohärenz aufweisen müssten; man könnte sich einfach an dem Klingspiel erfreuen, das die Häufung der Gleichklänge hervorbringt. Ich denke aber, dass, angesichts der Gedichte von Petersdorff, man sagen muss, dass gerade das Korsett der jambischen Pentameter und der Endreime seine Gedichte in unlesbare Kakophonien verwandelt. Überall spürt man, dass der Autor sich arthritisch verbiegt, um doch ans Ziel einer Schemaerfüllung zu gelangen.
Besonders gravierend ist dieser Makel im zweiten Kapitel »Paare«, welches Gedichte aus jeweils sieben Zweizeilern im Paarreim darbietet. Die Idee Beziehungsgedichte, die von Paaren handeln auch in Paarreimen auszuführen, ist ganz nett, wenn auch arglos heteronormativ gedacht. Doch klingen die Gedichte so unbeholfen, dass diese Unbeholfenheit auch nicht als ironische Mimesis der Paarbeziehung gelesen werden kann.
Aus dem gesamten Kapitel, denke ich, ist nur ein einziges geglückt—»Pergamonmuseum«.2 Die oben erwähnte Kakophonie entsteht häufig durch die syntaktischen Umstellungen, die Petersdorff riskiert, um seine Verse zu zwingen, damit sie entweder metrisch oder reimisch aufgehen. Eigentlich ein Anfängerfehler. (»Noch kahl, schon warm, erst Ende Februar / da oben kreist ein Mäusebussardpaar, // und wird nicht besser, dies Gefühl zu schweben, / sein Himmelblauapartment aufgegeben […]«).
Vielleicht kann Dirk von Petersdorff aber irgendwann in der Zukunft mit einem Gedichtband an die Brillanz seiner früheren Arbeiten wieder anschließen, denn mit »Sirenenpop« erleidet er an den Töchtern Gaias Schiffbruch.
- 1. Lesenswerte Besprechungen zu diesem Gedichtband sind z.B. von Thorsten Schulte, Hellmuth Opitz und Rüdiger Görner verfasst worden.
- 2. Pergamonmuseum: »Aus Winternebel drei hereingeschneit / die Tempeltreppe Traumgelegenheit – // Ägäisinseln, Haare wehn ums Kinn, / und Umschau halt die Felsenkönigin, // die nackt ins Meer zum Zähneputzen ging, / wenn überm Kopf nah Sternenlaken hing. // Sie mögen sie und laufen ihr davon, / sein Sohn und er erreichen Babylon, // da vor den Mischungen aus Schlangen, Katzen / befühlen kurz den Stein der Löwentatzen, // dann demolierter Gott aus Urgebieten / mit seinem Schild: ›für nicht bekannte Riten‹, / besichtigt man so wie ein Zugereister, / treibt sich herum auf dem Gebiet der Geister.«
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