Verzaubernd im Entzaubern
Es gibt im deutschen Sprachraum eine Handvoll Autoren, die sich mit dem Veröffentlichen solange Zeit lassen, dass ich mich hin und wieder bei der Überlegung ertappe, ob ich nicht doch endlich mal (m)eine kleine Edition gründen sollte, um die Texte dieser nicht wahrgenommenen Autoren einem größeren Leserkreis vorzustellen? Dominik Dombrowski ist einer von ihnen. Nun ist sein erstes Buch da und man kann ihn dazu nur beglückwünschen.
„Mit Dominik Dombrowski überzeugte ein Dichter die Jury, dessen Texte eine Magie der Kompromisslosigkeit erzeugen. Die ungeheure Wucht seiner Gedichte besteht in der wirklichkeitsnahen Wahl der Themen und ihrer erzählenden Sprache. Wenn er beispielsweise von den geheimnisvollen Männern vor dem Getränkemarkt spricht, legt sich eine Art melancholische Realität über die Zeilen. Mitfühlend, zwischen Schauen und Mitempfinden in allen Gefühlslagen. Laut Mitteilung ist sein Blick niemals ein nüchterner.“, schrieb jüngst die Internetausgabe des Schwarzwälder Boten zu Dombrowskis Bewilligung des Hausach-Stipendiums, das der Dichter im Sommer antreten wird.
Diese geheimnisvollen Männer vor den Getränkemärkten / um Samstagabend
nicht die mit dem Auto / vorfahren / sondern die sich ihre Bierkästen still
aufs Fahrrad binden um dann zu verschwinden in die sternenklare Julinacht
hinaus hinein hinters offene / Fenster hinter den Glutpunkt / der Zigarette
Silhouetten gleich Gauguingötzen regungslos mit nichts als Jimi Hendrix (…)
Seit längerem habe ich mich schon in diese Texte „verguckt“: Dombrowski, als Autor immer noch ein Geheimtipp, schreibt Texte, die für mich einen hohen Wiedererkennungswert haben. Texte von Dombrowski leuchten in ihrer dunkelschwarzen Schönheit unverkennbar aus jeder Anthologie heraus. Während außerherum manchmal ein mehr oder minder graues Passepartout stehenbleibt – ohne große Unterscheidbarkeit in den poetischen „Mitteln“.
Dombrowskis Texte sind markant. Seine 9 längeren Gedichte im schmalen Packpapier-band haben Charakter, Charisma und Charme. Sie haben dazu eine unbeschreiblich anziehende Morbidität – auch wenn das zunächst sehr absurd klingt – die ich bei keinem anderen Dichter so jemals gelesen oder gehört habe. Seine Texte sind für mich immer schon sehr charming, haben zudem – wie man so sagt – starke atmosphärische Aufladung. Dombrowskis Gedichte imitieren kein Lebensgefühl, adaptieren keine Lebens-Atmosphäre. Dombrowskis Gedichte sind dieses Lebensgefühl. Aus dem Text Das Rauschen:
(…)
Du rückst deinen Sessel langsam ans Fenster / doch ist dort niemand kein Stern
Kein Vogel keine / Blume unterm Laternenlicht nur das weiße
Tuch noch unzerschnitten ein Tuch aus gefallenem
Schnee dabei hättest du sie gern hier / um ein Zeichen gebeten
Deine Unsichtbaren und gern hättest du noch ein wenig mehr
Zeit gehabt sie zu erwarten deine Toten
Oder einfach für immer dieses Andauern
Der Leere am Fenster
Mit dem Schneefall der Nacht
Im Titel des Bandes Finissage klingt sehr viel an. Es steckt ein Anflug von Abgesang darin, schwer zu sagen, worauf … ein Ende wird besungen, ein Letztes, in dem Sinne vielleicht, dass alle Enden vielleicht schöner sind als Anfänge? Oft behandeln Dombrowskis Texte Endpunkte, in Auflösung Begriffenes, Nachklänge. Darüber hinaus transportieren sie das Gefühl, zurückzublicken aus einer Perspektive, die alles schon hinter sich hat.
Zu Dombrowskis Dichtung gehört die Komponente des Hörens. Er ist mit seinem ruhigen, coolen Vortrag ein – wie man heute gerne sagt – „charismatischer Performer“, auch wenn er selbst vermutlich über diesen Ausdruck schallend lachen würde. Überhaupt lachen einem viele seiner Texte ins Gesicht; ein Lachen: doppelbödig und geheimnisvoll. Schon der Einstiegstext Pathétique ist ein eigen(tümlich)er Kosmos und gäbe Stoff für einen ganzen Roman her: durchweg postmodern spielt er augenzwinkernd mit einer immanenten Gesellschaftskritik um den ewig-monotonen „Gleichlauf“ der Dinge, dem Aufstieg und Fall – wovon eigentlich? Wird hier die Illusion aufs Korn genommen, „groß rauszukommen“? Karriere, Erfolg, Werden und Vergehen – sprich das unvergängliche „Heute berühmt und morgen schon vergessen“-Ding?
Es ist nicht mehr lang bis zum Morgen und ich muss noch geboren werden
und sterben bevor es wieder Nacht wird / bis dahin folge ich
einer Straße die es am Tag nicht mehr gibt (…)
Der Text karikiert zum Ende hin, mit einer Anspielung auf Émile Zola, den eintagsfliegenhaften Aufstieg und Fall mancher Diven, hier „Nanas“ genannt. Es hat desillusionierenden Hautgout und vielleicht eine Prise Weltschmerz, aber ist doch nicht klagend und ausgesprochen, sondern eher abgeklärt und konstatierend und darin sehr elegant, weil aus einem ungeübten Blickwinkel heraus. Dieser Blickwinkel ist, ich würde sagen, Dombrowksiesk. Es sind dichte, gehaltvolle und manchmal fast massive Gedichte. Was nur Indiz dafür ist, dass der Autor etwas zu sagen hat. Und das ist gar nicht so sehr die kraftvolle sprachvolle Wucht dieser meist längeren Gedichte – es ist ihr dunkler und dennoch glänzender Charme, als sei jedes Gedicht in dunklen Samtschatten eingewoben. Und erst durch den Akt des Zuhörens oder Lesens befreit werden kann aus diesem sie umwebenden Kokon. Die Texte sind, was das Leben angeht, mit allen Wassern gewaschen, „kalt“ analytisch und „warm“ anrührend zugleich. Wie das zugeht? Dombrowski macht es vor. Die Gedichte gehen mit einer gewissen Abgeklärtheit ihren Gegenständen gründlich auf den Grund, ohne sie dabei zu profanieren. Dombrowskis Texte gewinnen spannende Standpunkte hinsichtlich Dingen wie Glück, Erfolg, Kommerz. Sie sind, um mit Ludwig Hirsch zu sprechen, „Pillen gegen die Traurigkeit“, manchmal schwarzdunkel verzaubert und märchenhaft erstarrt, als läge diese Welt im dunklen Dornröschenschlaf. Entzauberung passiert da, wo über das rein Poetische hinaus dem Leser eine Erkenntnis aufscheint.
Dominik Dombrowski findet gelungene – das heißt in diesem Fall: angenehm verstörende Bilder vom Vergehen, von Vergänglichkeit, von Endlichkeit. Vielschichtig und tief. Alle Poesie hat bei Dombrowski wahrhaftige Kehrseiten. Sie zeigen und benennen die „Rückseiten der Herrlichkeit“ (ein Buchtitel Kurt Drawerts), haben stellenweise ihren ganz eigenen Sarkasmus, haben durchaus bonmothaft-boshafte Spitzen, aber sie haben darin immer auch ein sehr menschliches Verständnis für das „Allzumenschliche“, haben sogar Güte, wo andere Weltschmerzgedichte nur düster und flach sind oder aufgrund von „punkigen“ Schockeffekten im Rundumschlag alles nihilistisch und zynisch niedermachen. Mancher Text klingt wie der letzte Text aus einem imaginären Spätwerk oder sei schon zu Lebzeiten posthum erschienen. So bin ich tatsächlich kurz erschrocken, als ich auf der Startseite dieses Portals jüngst las: Dominik Dombrowski – posthum. Doch es war nur die Ankündigung des Gedichts posthum als Text des Tages.
Aus dem Text Schneekönig:
(…) das ist hinterhältig weil plötzlich erste
Lieben wieder auftauchen oder ein weißes Schiff nach Hongkong fährt
seit Jahrzehnten / tote Haustiere wieder eintrudeln / am Ende der Party
auf der Bahre /Wasserleichen aus dem Pool /längst ertrunkener Kindheit
besser wäre es / wenn all die verdammten Sätze wie Schiffe strandeten
sich vor seinen letzten Zigarettenzug würfen genau hier (…)
Dombrowskis Texte umspielen gelegentlich Zynismen, doch es ist eher der gutgelaunte, lebensfrohe Kynismus Sloterdijks, kein lebensverneinender, bösartiger Zynismus. Denn in Dombrowskis Gedichten gibt es das Schöne, oder es gibt wenigstens einen „unkaputtbaren“ Rest des Schönen (als ein kleines Rasenstück Freude zwischen einem verfallenden Rest versteinerten Lebens?) – zwischen all dem Rock’n’Roll, den Fragmenten von gescheiterten Lebensentwürfen, den Agonien, den albinotischen Fledermäuschen und einem immer „irgendwie“ posthumen Blick auf „das Ganze“ (z. B. auf die Falschheit der Welt?) Dabei sind diese Texte sehr weit weg von einem moralischen Anprangern; es wird nichts vorgeführt; sie schauen einfach nur nicht weg. Was mitunter aussieht wie ein Anflug von Weltekel ist eigentlich genau dessen Umkehrung. Aus dem Gedicht Offroad:
Manchmal kommen Leute dann erzählst du von den schönen / Nächten hinter den Tankstellen
wenn du deinen Rausch hattest dort ließ sich / eine heilige Stille nieder
und ein Schicksal erwarten / ob sich im Morgengrauen etwa Portale öffnen würden direkt in eine indische Totenstadt hinein (…)
Dombrowskis Texte haben das interessante Stilmittel, dort mit Schrägstrichen zu arbeiten, wo normalerweise Zeilenbrüche wären. Hierdurch bekommen die Texte eine collagenhafte Note. Es kommt ein Hauch von Bewusstseinsstrom und Cut-Up in die Texte. Dem ungeachtet haben sie zusätzlich wohlplatzierte Zeilenbrüche, oft als überraschende Enjambements ausgeformt. Es sind sehr kompakte Gedichte. Sie sind narrativ und haben meistens einen Mini-Plot. Rhythmisch mehrfach überschrieben gibt es ein „darunter“ und ein „darüber“. Diese Gedichte haben Schichten, ähnlich den späteren Werken des Malers Gerhard Richter, der immer noch eine neue Schicht über seine Bilder zieht. Hier liegt immens viel im Unausgesprochenen; der Subtext ist umso eloquenter. Gelegentlich haben sie auch ihr kleines, unverhohlenes Pathos und stehen dazu, wo viele heutige Gedichte sich in einer stetigen Pathosvermeidung eine Form des Nichtpathos aneignen, woraus jedoch bisweilen in der Umkehrung ein ebenfalls „hoher Ton“ aufsteigt.
Oft spüre ich bei Dombrowskis Gedichten ein Lebensgefühl, dass ich als Jugendlicher hatte, was vielleicht daran liegt, dass der Autor und ich ähnlich alt sind. Dass hier eine ungebrochene, geradezu explosive Lebensenergie sich austobt, die im Grunde positiver ist als der sie umgebende Rest, auch wenn man es beim Lesen wohl zunächst andersherum wahrnimmt. Sie beschreiben in ihren „Dunkelstellen“ keinen drittrangigen Abglanz. Sondern es ist genau die Schönheit dieser Texte, dass sie aus all dem „abgefrühstückten“ Rest (auch Vanitas genannt ...), und aus den von ihnen aufgezeigten Abseitigkeiten und „dekadenten“ Lebenswelten dennoch eine herbe, schwarzsamtige Schönheit abstrahlen, eine traumartige David-Lynch-Romantik; eine, die sich ihrer selbst bewusst ist und über sich selbst lachen kann. In diesem Lachen ist auch Tiefe: Dombrowskis Gedichte sind bei all dem, was durch Umkehrungen positiv wird, niemals positiv im Sinne der eisigen Fröhlichkeit festgetackerter Mundwinkel, haben aber ihr ganz eigenes Positives aus einer Art Überlegenheit heraus, der ungebrochenen Lebensenergie, die dahinter schlummert. Sie sind augenzwinkernd und haben einen überlegenen Humor. Sie sind längst zu sich gekommen, sind „erwachsene“ Texte (ebenso wie es in der Bildenden Kunst „erwachsene“ Bilder gibt), die sich gefunden haben, in Tonfall, Haltung, Standpunkt. Diese Gedichte haben einen Standpunkt, auch wenn sie nicht starr und ideologisch sind. Spät mit einem Gedichtband zu reüssieren hat – neben unübersehbaren Nachteilen des „ewigen Nichtwahrgenommenwerdens“ – den großen Vorteil, dass ein Dichter, der noch keinen Band „draußen“ hat, sich automatisch mehr anstrengen wird, seine Stimme immer noch mehr zu finden.
Dombrowskis Dichtungen sind bei allem, was schwarzsamtig aufscheint, auch hell und warm. Die Texte verschweigen nichts. Die zeigen die Welt, wie sie ist; sie zeigen die ganze Kompliziertheit, die Komplexität dessen, was „nicht stimmt“, wo unterm Strich das nicht aufgeht – wo andere Dichtungen sich oft beinahe gefallen im zeitgemäßen Aufzeigen gestörter Idyllen und darin kokett verharren. Eine Tugend machen aus der Welt-Disharmonie. In ihren geschmerzten Vorzeige-Aporien hängenbleiben. Sich sozusagen „musterhaft gebrochen“ geben. Das affirmativ-perfekte Aufzeigen des Unperfekten ist für mich regelmäßig ein formaler Widerspruch vieler zeitgenössischer Texte, weil ihnen dadurch nichts Unzeitgemäßes mehr anhaftet. Was aber doch an und für sich erst den subversiven Reiz eines neuen und ungewöhnlichen Textes ausmacht?
Die Rolling-Stones-Männer sind alle richtige Haudegen / die diesen züngelnden Wulstige-Lippen-
Button am Jackett tragen / sie fahren / am Wochenende mit den Lebensgefährtinnen gerne
Fahrrad sie gehen auf / die Jagd in den Antiquariaten / nach Stonesbiografien & passen ihre Tonträger
stets den zeitgemäßeren Geräten an (…)
Spätestens, als ich bei einer Lesung die Rolling-Stones-Männer gehört habe, war ich dem beeindruckenden Vortragsstil des Autors vollständig erlegen. Auf dem Papier verlieren die Texte nicht. Schwer zu sagen, warum: ich assoziiere mit diesen Texten immer wieder (Rock-) Songs, auch wenn es nicht ausgesprochen ist. Als seien sie in diese Gedichte „hinein“verwoben: Gedichte, die auch etwas Liedhaftes haben. Sie sind musikalisch, haben ein hochspezielles Flair, haben manchmal einen Glanz wehmütiger Melancholie, als hörte man – in der Art kaum hörbarer Sphärenmusik – „alten“ US-Rock’n’Roll: die ganze Linie von den Beach Boys zu den Ramones und die ganze Traurigkeit eines Ricky-Nelson-Songs wie Travelin‘ Man gleich mit, der so fröhlich über Waikiki singt. Dabei sehe ich die trostlose Ödnis eines leergefegten 70er-Jahre-Plazas im Hinterland von beispielsweise New Jersey, mit ihren an den Wochenenden menschenlos stillgelegten Shops und Einkaufscentern. Aus dem Text Motel:
(...) Jenseits des absterbenden
Songs schont jetzt eine Sternenflucht die ungesicherte Schrift / der Stecker
ist gezogen ohne herunterzufahren über den blauen Mond (…)
Fest steht, dass die Texte ihre starken Ambivalenzen in sich tragen. Sie hüllen einen in eine sehr atmosphärische Illusion, verzaubern und entzaubern gleichzeitig. Sie sind partyhaft-einsam. Sie enthüllen trotz der ansprechenden Oberfläche erst beim mehrfachen Lesen wirklich alles, was in ihnen an Fluidum steckt. Darin – völlig unzeitgemäß – gibt es auch den Rest eines Lebensgefühls, das heute wegrationalisiert wurde oder nur aus der Ferne nostalgisch anzitiert wird, wo hier auch „echt“ manch feinutopisch-fragiler Rest von Fluxusgedanke mitschwingt, ein Lebensgefühl von unbeugsamer Freiheit, oder, schärfer, von kompromisslosem Freiheitswillen. Während etliche Autoren gedanklich und literarisch ihre auslösenden Erlebnisse mit Poesie womöglich beim Lesen von Dichtung in den Beispielen deutscher Schulbücher finden, erfuhr Dombrowski seine literarischen Anfänge als Dichter bei der amerikanischen Beat Poetry, schrieb sich „rückwärts“ vor und fand somit, poetisch gesehen, in der umkehrten Linie zu sich selbst.
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