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Kritik

… kein Märchen?

Hamburg

Doron Rabinovici, Natan Sznaider und – gewissermaßen – Theodor Herzl sind die Autoren des neuen Bandes Herzl Relo​@​ded, der damit beginnt, daß durch die Zeiten hindurch Rabinovici eine e-Mail erhält: von teddyherzl​@​ neuland.com, i.e. von jenem Theodor Herzl, der mit dem Zionismus etwas ins Werk setzt, das heute noch wirkt, mit seinen Konzepten aber teils wenig zu tun hat, was, wie man rasch ahnt, Fluch und Segen zugleich ist. Nämlich Israel. Im sich entspinnenden Korrespondieren von Rabinovici, Herzl (dessen Texte im Wesentlichen raffinierte, moderierte Zitatencollagen sind) und dann sogleich auch Natan Sznaider, der anders als Rabinovici und einst der nun gegenwärtige Herzl seinen Lebensmittelpunkt in Israel hat, wird diesen Spannungen nachgegangen, daß es in der Tat „kein Märchen” blieb, was damals Herzl erdachte, daß aber das Märchenhafte nachwirkt.

Jener Herzl ist also nun Korrespondenzpartner – und zuallererst einer, dem etwas Unzeitgemäßes an seinen Schriften und Gedanken vorgehalten wird, ja, an seiner Existenz, das aber schon immer bestanden zu haben scheint: verstaubt und eu- oder utopisch zugleich. Er sei längst „zum Heiligen […] erstarrt”, selbst Moses sei eher Zeitgenosse dieses Israels, als es Herzl sein kann, trotz e-Mails.

Dabei ist einer der Fehler Herzls etwas, das ins Universale zielt: Wider eine „ethnifiziert(e)” Identität sowohl Israels als auch des Deutschen, seines Idioms, hat er im Deutschen eine „kosmopolitische Heimat der Juden”, die trog, aber auch berührte, daß heute weniger als Israel New York es sei, was Judentum als seine Utopie noch kenne. Vor den sehr pragmatischen Zügen einer dagegen sich entfaltenden „Theokratie” sind Herzl, Sznaider und Rabinovici sich einig, daß sie zuletzt weder göttlich sei, noch einen Staat schaffe, wie der „orthodoxe(r) Atheist” Rabinovici sagt, der gesprächsweise in Anlehnung an Ben Gurion einmal formulierte: „Gott ist so groß, dass es gar nicht wichtig ist, ob er existiert […]: Der Gott, an den ich nicht glaube, ist ein orthodox jüdischer Gott.” Darum immer wieder das Schielen aufs eigentlichere Israel New York, der eigentlichere Jude wäre zugleich „Prototyp des New Yorkers”, hätte einen Sinn für dessen „kulturelle Polygamie”, die als kulturelle freilich nicht sich zur Beliebigkeit bagatellisiert. Vielmehr ist sie das Ausverhandeln des Selbst und des Lebbaren, ein menschengemäßes und menschenwürdiges Mauscheln, das weiß, daß, was ursprünglich zu sein scheint, bloß als „Assimilation länger zurück(liege)”… Hier würde wunderbar die Allegorie von der Pizza passen, die Rabinovici einst erzählte…  Gespräch, Wissen ums Gemachtsein, daraus ergibt sich das Gespräch: mit der, nicht über die Gegenseite. Nur das so gewürdigte Gegenüber gestattet Friedensschlüsse. Auch darum aber solle man mit dem Feind sprechen: „Dreifach frage dich, was ist dein Anteil?”

Dies ist nur einer der Argumentationsstränge in diesem Buch, einem verblüffend lebendigen Herzl und den beiden, die an seiner Lebendigkeit großen Anteil haben, gelingt es, höchst lebendig die Probleme und Optionen Israels und allgemeiner dessen, was Politik heute sein könnte, zu umreißen. Dabei divergieren, das versteht sich, die Positionen erheblich, was Teil der Utopie sein mag, von der die Rede darin jedenfalls sein könnte.

Herzl, der in diesem Buch oft genug für tot oder obsolet erklärte Begründer des Zionismus, empfiehlt sich als Lektüre, die heute oft unterbleibt… Herzl wurde dem zunächst mit ihm ins Gericht gehenden Rabinovici „recht sympathisch”, so schreibt er, als ihn und Sznaider keine Mails mehr erreichen – die Rettung Herzls vor seinen Gegnern wie seinen Bewunderern ist sicherlich ein Anliegen, das diesen Band auch auszeichnet: „Welcher Politiker ist heute noch so ein Sir?” Natürlich ist das wiederum nicht nur Würdigung, sondern auch Anstoß wider jene, die scheinbar auf Herzl rekurrierend doch nur fragwürdige Nostalgien nutzen, während Herzl sein Schreiben durchaus nicht in unproblematischer Kontinuität zu politischer Praxis sah, „wie ich von den Romanideen zu den praktischen kam, ist mir jetzt schon ein Rätsel”, so Herzl…

So ist das Buch Literatur in dem Sinne, daß es einen Möglichkeitsraum aus einem Sprachspiel generiert und damit ein Weiterreden ermöglicht – oder zeigt, wie man es ermöglichen könnte … und daß man es ermöglichen müßte –; aber zugleich politisch in dem Sinne, daß das Literarische selbst eine lebendige Kontemplation über die Realität zu sein vermag: ein wunderbarer Crossover-Text, aus Geschichtswissenschaft, Soziologie und Fiktion, den man empfehlen möchte.

Doron Rabinovici · Natan Sznaider
Herzl reloaded - Kein Märchen
Suhrkamp
2016 · 207 Seiten · 19,95 Euro
ISBN:
978-3-633-54276-5

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