Gedichte voller Geheimnisse
Stellen, Setzen, Legen, Federn lassen lauten die Kapitel des neuen Lyrikbandes Narkotische Gewässer von Eberhard Häfner. Dazu ist auf der Rückseite des Buches zu lesen.
Häfners Gedichte kommen nie zum Stehen, und auch ein Ziel haben sie nicht nötig. Denn am Ende bleibt ein Geheimnis, das die Gedichte vielleicht selbst nicht kennen, das sie aber ständig in einer Bewegung hält, deren Sog man sich nicht entziehen kann.
Und in einer Besprechung des SWR 2 heißt es, Häfners Gedichte
locken mit Sinn, lassen diesen gleich wieder entwischen.
Nähert man sich den Gedichten des 75 Jahre alten Autors also ohne konkrete Sinnsuche, entdeckt man Texte, die nicht nur thematisch breit gestreut sind, sondern lustvoll mit Sprache spielen und dadurch ihre eigene Realität schaffen.
Da wären zum einen die Überschriften, in denen er bekannte Sätze aufgreift, um sie manchmal leicht zu variieren. Wobei ich bei manchen Titeln denke, dass man schon ein gewisses Alter haben muss, um den Kontext zu verstehen.
Wir kreuzten vor Madagaskar
Ich denke, also bin ich woanders
Bolle / ganz köstlich amüsiert
In einer kleinen Konditorei
Häufig variiert Häfner Sätze aus Märchen. Mehrmals werden der Wolf und das Lamm herangezogen. Märchen besiedeln die Leerstellen lautet der Titel eines Gedichts, in dem die Gänseliesel in zwei Strophen aufgeteilt ist.
mit einem Pferd gesprochen
sein Kopf und Gänse standen SpalierLiesel mein Hut, hab ich gerufen
er ist fraktal, ausgefranst seine Krempe
ist eine Kopie von mir
Immer wieder vermischt Häfner Begriffe aus unterschiedlichsten Bereichen, wie beispielsweise in dem Gedicht
Fernsehen gegen Kurzsichtigkeit
es dampft eine Schaumpfeife
über dem Meer Rauchzeichen, weit draußen
ein Tanker aus neuen Beständen
sein Altöl verklappt in tausend und einer Nacht
fliegt ein Teppich über die Fettnäpfchen
ich stehe und sehe fernmein Bildschirm macht süchtig
wenn ich Alkohol trinke, süchtig nach Blaulicht
es flimmern Nachrichten, am Horizont
quer zum Ereignis ein Gleichnis
wir kennen es schonweit draußen die Stare
mir graut, was ich sehe, im Grünen
die Stare zu Krähen, gezeichnet vom Nebel
westlich sind fast alle katholisch‘
weiter östlich orthodox
am Himmel die Jungfrauen der Muslimevon einer Wolke getragen sehe ich ferner
die Reviere parzelliert, sehe
Die Verunreinigung der Meere wird mit Motiven aus Märchen, Fernsehkrimis, Krankheit und Religion zusammengebracht und trotz dieser Vielzahl an Bereichen wirkt das Gedicht wie eine Einheit.
Dieses Gefühl von Einheitlichkeit trotz scheinbar unzusammenhängender Themen liegt in manchen Gedichten unter anderem daran, dass die Strophen durch einzelne Wörter miteinander verbunden sind. So beginnt das Gedicht Pestilenz mit den poetischen Zeilen
wenn Äste der Obstbäume / nach den Sternen greifen, um im gleichen Vers eher prosaisch fortzufahren: denken wir / an den Obstler, beschwipst vom Slibowitz
Dann zwitschern die Pflaumen, in der zweiten Strophe wird aus dem Früchtchen nach dem Entbinden ein Frühchen, das in einer weiteren Strophe seine Stielaugen aufreißt.
Noch deutlicher wird das in dem Gedicht Meine Base ist nicht alkalisch. Es beginnt mit dem Satz ich werde den Blick schärfen, spricht in der zweiten Strophe von Hautfalten an den Augen, in der dritten von Glaskörper (trüb) und dann wird wieder mit dem (grünen? grauen?) Star gespielt, wenn es heißt
was auf der Netzhaut wimmelt
die Stare einen Schlafplatz suchenwie Rußflocken am Sehnerv andocken
voreilig zeigt sich Winter, für einen Schwarzseher
werden Gebühren zu Bildern
ein Salz in der Lackmusprobe gefunden.
Hier glaube ich in den letzten Zeilen sogar eine Erklärung für die Überschrift gefunden zu haben, was mir bei anderen Gedichten nicht immer gelingt. Und so werde ich –trotz Warnungen dennoch heimlich auf der Suche nach inhaltlichen Zusammenhängen - manchmal sogar fündig.
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