So alleine sind wir
Nach ihrem vielbesprochenen und -gelobten Romandebüt "Kindheitswald" im Jahr 2014 hat die aus Klagenfurt stammende und nun in Salzburg lebende Autorin Elke Laznia ihren ersten Gedichtband vorgelegt. Die Bonner Rezensentin Michaela Schmitz merkte damals in ihrer Besprechung an, der "Kindheitswald" gleiche einer Art Frondienst an der Sprache. "salzgehalt" setzt nun diesen Frondienst nicht nur konsequent fort, sondern lässt die Sprache, wie es der Titel schon impliziert, gleichsam kristallisieren: Die "dichtungen" unterstützen diesen Prozess auch formal. Besonders in der ersten Hälfte des Bandes begegnen wir beim Lesen kürzeren, immer wieder streng in Versgruppen geordneten Texten, mal zu drei, mal zu vier oder fünf reimlosen Zeilen zusammengefasst, die Groß- und Kleinschreibung beachtend, jedoch konsequent ohne Satzzeichen. Doch der Titel weckt auch inhaltlich Assoziationen zu Tränen, und tatsächlich ist das Buch nicht zuletzt analog zu ihrem Debütroman vor allem ein Schreiben über den Schmerz:
"wir salzen einander die Tage hinter / den Rücken haben wir nichts zu beklagen / kennen keine Worte keine Lieder (nichts) / wir sammeln Augenhöhen legen Papier / auf verwundete Stellen die wir nicht / begreifen"
Es geht in "salzgehalt" offenkundig um scheiternde und gescheiterte Kommunikation, um Beziehungen, mit denen das lyrische Ich nicht leben und nicht sterben kann. Die Verwandtschaft zum "Kindheitswald" mit all seinen Motiven vom alkoholisierten und abwesenden Vater, von der traurigen alleinerziehenden Mutter ist nicht zu übersehen, und es mag sein, dass Elke Laznia sich an diesem Sujet auch aus persönlichen Gründen heraus noch nicht genügend abgearbeitet hatte. Dennoch ist es natürlich müßig, über die Nähe vom lyrischen zum Autorinnen-Ich zu spekulieren. Im Grunde ist es in "salzgehalt" vor allem die Sprache, um die es geht:
"geh die Lawine zurück / bis zur Wurzel die ist ein Kern"
Diese Sprache ist aber bei aller Klarheit, mit der sie der Leserschaft das Dilemma der Vergeblichkeit von Kommunikation benennt, eben nur in der literarischen Verarbeitung erfolgreich, für den alltäglichen zwischenmenschlichen Kontakt bleibt sie die zweite Haut, die nicht abstreifbar scheint und die - auch - selbstverschuldet ist:
"wir ziehen heillos auf den Leib / geschneiderte Missverständnisse an / suchen Menschen die uns ausbaden oder / die ersetzen was uns andere nicht sind"
So arbeitet sich Elke Laznia in ihren Gedichten vor bis zum Tiefpunkt der Sprachlosigkeit, dem kürzesten Text des ersten Teils, in dem selbst die technische Umsetzung von Kommunikation nur noch von außen erfolgen könnte und der auf dem Rest der Seite viel Raum lässt:
"da und dort ein Klang ein Stimmband / zögernd gespannt von dir zu mir / wer rührt es an dass es schwingt"
Doch die Beziehungen bleiben auch in der Sprachlosigkeit bestehen und werden in ihrer Vorläufigkeit hingenommen; zu diesem Verhalten scheint es dem lyrischen Ich keine echten Alternativen zu geben, und das letzte der kürzeren Einzelgedichte kommt zu dem lakonischen Fazit:
"niste mich nicht ein unter deinem Dach / baue mir kein Nest auf deiner Zunge / bin nicht Fisch nicht Fleisch / nur Haut und Knochen mir reicht / ein Schlafplatz unter der Hand"
Der zweite Teil des Buches besteht aus einigen längeren, in regelmäßigen Langzeilen und Zeilengruppen verfassten Texten, die dadurch näher an die Prosa rücken als die Gedichte im ersten Teil. Es bleibt aber zunächst bei der konsequenten Vermeidung von Satzzeichen, und auch der Sprachduktus ändert sich kaum, eine frei rhythmisierende Mischung aus lapidaren Statements und pointierter Metaphorik, die die Leserschaft auf einem Strom aus Sprache immer weiterträgt.
"Mutter ist ein / mageres Nachtgespenst und über Vater gibt es nichts / Gutes zu sagen wir hätten Leute suchen müssen die / über ihn zu reden wüssten aber hier wohnt niemand / kann keiner antworten ich muss erfinden unser Vater / ist aus Luft und Glas"
Dieser Strom wird dabei jedoch nur scheinbar epischer, die Botschaften bleiben in ihren Details mitunter rätselhaft, und es ergibt sich an keiner Stelle so etwas wie ein nachvollziehbarer äußerer "Handlungsablauf". Vergangenheit und Gegenwart, Wahrnehmung und Reflexion gehen vielmehr eine überaus kunstvoll gestaltete ineinander geschlungene Textur ein, die sich manchmal in einem einzigen Bild kristallisiert, das Zeiten und Zeichen, Schluss und Anfang, Bedrohung und vermeintliche Leichtigkeit in eins zu fassen imstande ist:
"zitternde Zygote Aug in Aug / mit dem Ringelspiel des Fremden"
Die letzten fünf Texte nähern sich dann äußerlich endgültig der Prosa an, was durch Blocksatz und Satzzeichen markiert wird. Der Grundton von Schmerz und Bitterkeit verändert sich auch hier nicht, wohl aber die Geschwindigkeit, die deutlich zuzunehmen scheint, besonders im vorletzten Text "Medikationen", der durch seine atemlose Unruhe auffällt - mit Sätzen, die sich über eine ganze Seite erstrecken - und auf sehr eindringliche Weise Krankheit als Flucht und Schmerz und Alkoholaffinität als Verdrängungsindikatoren thematisiert.
In der letzten Textgruppe "dein und mein. nie unser." verlangsamt Elke Laznia die Geschwindigkeit schließlich wieder, bringt noch einmal ihr Grundthema auf den Punkt: Ich und Du sind Blätter im Wind, ein Motiv, das die eingestreuten dunkel-monochromen Zeichnungen Ludwig Hartingers mit ihrem an der Perforation vom Block gerissenen Papier auch optisch aufnehmen. "Wir" scheint eines der häufigsten Worte in diesem schmalen Buch, doch dieses "wir" ist nicht möglich, die ineinander geflochtenen Finger beim Nebeneinander-Hergehen müssen sich lösen, das Ich und das Du bleiben auf sich selbst gestellt und doch unvollständig:
"ich / habe keine arme Seele ohne dich. so allein bin ich."
Dieser letzte Satz des Buches ist nicht etwa larmoyant, er ist für das Ich eine zwar schmerzliche, aber schlichte Tatsache, mit der es zu leben gelernt hat. Der Schmerz und die Gewissheit, keine Brücke zum Du zu finden, bleiben offene Wunde, unheilbar, und dennoch sind sie nicht das Ende der eigenen Existenz.
Fixpoetry 2017
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben