Für die Wagnistreue zum Scheitern
Es sind keine neue Fragen, die in der Gesprächsreihe des Literaturhauses Stuttgart „Literatur und ihre Vermittler“ gestellt wurden, vielleicht gibt es auch gar keine Fragen, die noch nicht an die Literatur gestellt wurden, aber das wirklich Erstaunliche, das, was mich immer wieder überrascht, ist, dass es dennoch immer wieder neue Antworten gibt. Antworten, die überraschen, Antworten, die neue Perspektiven eröffnen.
Erwin Krottenthaler und José F.A. Oliver haben zehn Essays von vier Schriftstellerinnen und sechs Schriftstellern zusammengestellt, die aus der oben genannten Gesprächsreihe hervorgegangen sind. Und das Schöne ist, dass diese Essays wiederum in ein Gespräch miteinander treten. Zwar manifestieren sich in den einzelnen Essays in erster Linie die Eigenarten der Autoren, teilweise schon in der Fragestellung selbst, spätestens jedoch in der Art und Weise, wie sich die Autoren den Fragen stellen, aber was wären Gespräche ohne Eigensinn?
Jeder, der Beiträger hat naturgemäß eine sehr spezifische Sicht auf das, was Literatur leistet. So stellt Ilija Trojanow das Politische, namentlich den Machtaspekt, in den Vordergrund: „Es gibt ernst zu nehmende rationale Gründe für eine Verunsicherung. Eine andere Frage ist natürlich, wer diese Verunsicherung in welche Richtung lenkt. Das ist das Establishment, der Status quo, die herrschenden Interessen. Sie versuchen abzulenken von den eigenen Unzulänglichkeiten. Das haben die Machthaber ja schon immer gemacht.“
Von diesem Zitat ausgehend, erzählt Trojanow vom Scheitern. „Wovon handelt alle Literatur, wenn nicht vom Scheitern?“, fragt er und der Leser seines Essays hat schon vor dem Schlusssatz „Das Scheitern als immanenten Bestandteil aller Kreativität zu akzeptieren heißt auch, die Dogmen des Zeitgeistes in Frage zu stellen, die Vergänglichkeit des eigenen Urteils anzuerkennen,“ begriffen, dass das Scheitern (also das Schreiben von Literatur) ein nicht nur wirksamer sondern darüber hinaus wunderbarer Widerstand ist.
Auch für Georg Klein ist Literatur Widerstand. Oder doch wenigstens etwas, das sich der üblichen Definition von Leistung und Arbeit verweigert, schon indem die Literatur ihrem „eigenständigen Zeitfluss“ folgt, sowohl beim Schreiben, als auch beim Lesen.
Harald Hartung hinterfragt die Art und Weise wie Literaturkritik geübt wird. Seine Diagnose zur gegenwärtigen Literaturkritik ist eindeutig: Literaturkritik, die einmal den Anspruch der „kritischen Aufklärung“ verfolgte, ist zu einem Marketinginstrument verkommen. „Das Problem ist die Kapitulation der Kritik vor dem Begriff der Qualität“, schreibt Hartung.
Yoko Tawada wehrt sich gegen die Etikettierung der „Herkunft“, und verdeutlicht somit die Rolle, die Sprache spielt, wenn es um die Identifizierung (und immer auch Bewertung) des Sprechers durch die, die zuhören, geht. Hier entscheidet sich die Frage nach der Zugehörigkeit. Was der Leser, Kritiker und Zuhörer will, sind klare Grenzen. Entfallen die, entsteht Unsicherheit.
Jaroslav Rudis geht der Bedeutung von Bildern für das Schreiben nach. Dabei bezieht er sich ganz konkret auf Fotos, die die eigene Familiengeschichte dokumentieren, sowie auf Bilder aus westlichen Katalogen, die im Tschechien vor 1989 die Fantasie anregten, mehr als Neid aufkommen zu lassen, oder den tatsächlichen Mangel spürbarer zu machen.
„Auch das Schreiben ist vielleicht so etwas wie Fotografieren. Am Anfang des Schreibens sollte allerdings das Lesen stehen. Und literarische Vor-Bilder“, schreibt Rudis, wenn diese Entwicklung stattfindet, werden aus den Blicken Bilder. „Ich empfinde mich als Protokollant. Und Weiterspinner. Aber mag sein, dass ich einfach nur ein ganz gewöhnlicher Dieb bin, der halbwegs in der Lage ist, seine Umgebung wahrzunehmen, hinzuschauen und zuzuhören.“
Im besten Fall, und der ist in dieser Sammlung erfreulich häufig, kommunizieren die Essays miteinander. Während Yoko Tawada die fehlende Deckungsgleichheit zwischen Sprache und Gefühlen feststellte, betrachtet Ulrike Draesner das Phänomen in ihrem Essay aus einer anderen Perspektive: „Sprache, die differenziert, bringt uns Gefühle bei. Was ausgedrückt ist, kann nachempfunden werden, selbst erlebt.“
Draesner liest das Märchen von Rumpelstilzchen als poetologischen Text, der den Traum jedes Schreibenden illustriert, das „richtige Wort“ zu finden, dasjenige, das den Kern trifft (und dann eben doch eine Deckungsgleichheit mit dem Gefühl herstellen könnte).
Die Ausführungen Janne Tellers korrespondieren wiederum mit denen von Jaroslav Rudis, was die Rolle des Beobachtens angeht, während Rudis das „äußere“ Beobachten beschreibt, geht Teller auf die Notwendigkeit eines „inneren“ Beobachtens ein.
Die Geschichte, die Janne Teller schließlich von ihrem Pierre Anthon, dem Protagonisten ihres umstrittenen Romans „Nichts“, erzählt, führt mich zu der vorsichtigen These, ob es nicht vielleicht immer diese Fragen sind, auf die wir keine passenden Antworten haben, die Literatur entstehen lassen, die der eigentliche, der Urgrund, dafür sind, warum wir uns Geschichten erzählen.
Der letzte Essay schließlich stellt so etwas wie eine Synthese her, die Umsetzung von Wort in Bild, von Literatur in etwas Körperliches. „Eine Inszenierung hat die Aufgabe, [¡K] sich den mutigen Sätzen eines Textes zu stellen. Somit beginnt das inszenatorische Gespür beim Lesen: Es sind die starken Behauptungen eines Textes, die eine Inszenierung herausfordern“, schreibt Thomas Richhardt.
Die Sätze, die großen Sätze, werden als Ursprung angesehen, als Ausgangspunkt, von dem aus etwas in Bewegung gerät. Die Begründungen seiner Thesen, verdankt Richhardt wiederum Beobachtungen, die ihn zu der Erkenntnis führen: „Es ist nicht zu verhindern, dass wir uns mit unseren mutigen Sätzen in Gefahr bringen.“ Das ist, was er mit dem Begriff der „Wagnistreue“ bezeichnet, womit der Kreis zum Scheitern, von dem Trojanow schrieb, geschlossen wäre.
Literatur ist Bewegung, die das Wagnis nicht scheut, könnte man abschließend eine Definition aus der Essenz dieser Essays wagen.
Auf jeden Fall ist diese Sammlung eine höchst anregende und aufschlussreiche Möglichkeit, Einblicke in die souveränen Hoheitsgebiete der beteiligten Autoren zu gewinnen.
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