Mut zur Wut
Die Wienerin Eva Menasse hat ihre Laufbahn als Journalistin beim Nachrichtenmagazin „Profil“ begonnen und sich dort erste Anerkennung verdient. In „Bürohunde und Zickenkriege“ erinnert sie an diese Anfänge und mannigfaltige Redaktionserfahrungen, die im vernichtenden Spruch eines namentlich nicht genannten Kollegen gipfeln, der heute zum Schmunzeln reizt: „Frau Menasse, halten Sie sich für eine Schriftstellerin?“
Nach zwei erfolgreichen Romanen und einem Erzählband meldet sich die seit längerem in Berlin Lebende nun wieder zu Wort und legt in ihrem neuesten Buch Gesammeltes aus den letzten Jahren vor, unterschiedlichste Texte, mal ernst, mal amüsant, die verstreut zwischen 2006 und 2014 erschienen sind, und die die Autorin mit zwei Erzählungen abrundet. Die Punze „Essays“ für dieses heterogene Konvolut allerdings scheint der Not entsprungen, eine klare Kennzeichnung für das Ladenregal zu schaffen. Was ist ein Essay?, konkreter: Was ist gerade noch ein Essay?, diese Frage drängt sich beim Lesen immer wieder auf.
Menasse ordnet ihre Textauswahl drei Kapiteln zu: Politisch-Feuilletonistisches, Literarisches und Autobiographisches. Wobei die Grenzen fließend sind, denn überall glänzt das Engagement einer eloquenten Schriftstellerin durch, die aus eigenen Begegnungen, Erkenntnissen und Widerfahrungen schöpft, diese leicht lesbar zu Papier bringt, sich persönlich einbringt, sich aussetzt und dadurch angreifbar macht.
Den Anfang macht Menasses Dankrede im Rahmen der Verleihung des Heinrich-Böll-Preises, eine Würdigung des großen Schriftstellers, der sich immer wieder auch politisch äußerte. Eine Laudatio auf Imre Kertész findet sich in diesem Buch genauso wie differenzierende Überlegungen zu Günter Grass, der, wie auch Martin Walser, Alice Munro oder Richard Yates, eine Art Säulenheiliger für die Autorin ist, dessen politisches Engagement sie anerkennt, ja bewundert, ohne allerdings die Augen vor Fehlleistungen des Schriftstellers zu verschließen. Und mit zwei Reden, einer Laudatio und einer Grabrede, würdigt Menasse den Sprach- und Übertreibungskünstler Georg Kreisler, den, als Jugendlicher dem Nazi-Terror knapp entronnen, zeitlebens eine grimmige Unbehaustheit prägte, die der Motor seiner kreativen Empfindlichkeit wurde.
Selten stellt sich beim Lesen die Frage, weshalb ein Artikel dadurch nobilitiert wird, dass er noch einmal das Licht der Öffentlichkeit erblickt durch Aufnahme in diese Sammlung, etwa ein kurzer Text über das Israel-Gedicht von Günter Grass, von dem man sich wünschte, dass er mehr sei, als ein pflichtschuldiges Aufzeigen: Bitte, ich bin auch dagegen!
Und es wäre nicht Menasse, würden wir nicht wieder an ihren Betrachtungen der Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Deutschen und Österreichern teilhaben können. Wobei es nie „die Deutschen“, nie „die Österreicher“ sind, sondern bloß wirkliche oder herbeigeschriebene Unähnlichkeiten zwischen Berlinern und Wienern sind, einer sehr eng definierten Spezies, denn schon die Bayern haben oft mehr gemeinsam mit Tirolern oder Wienern als mit den Deutschen des Nordens. Diese Pauschalierungen sind manchmal witzig, in Summe aber redundant und man möchte entgegnen: Wir haben es bereits begriffen. Auch kleine Unrichtigkeiten schleichen sich ein. Ein Wiener, der laut Menasse statt eines „r“ in „Schorle“ nur eine Art „a“, also „Schoale“ herausbringt, würde daher niemals „pickert“ sagen, sondern „pickat“. Eine Zuschreibung wie „Wien ist pickert“ ist jedoch nicht nur das, sondern platt.
Ergreifend zu lesen hingegen sind die beiden Texte, in denen die Schriftstellerin zur Debatte um die Präimplantationsdiagnostik (PID) und Sibylle Lewitscharoffs missglückte Dresdner Rede Stellung nimmt. Menasse spricht als Frau und Betroffene über genetisch bedingte Fehl- und Totgeburten und die Hilfen der Reproduktionsmedizin für „Kinderwunschpatienten“, wägt das Verbot der PID gegen die Erlaubnis zur Spätabtreibung bei kindlicher Behinderung ab und resümiert:
Vielleicht ist das der letzte Bereich, wo unsere ach so fortschrittliche, aufgeklärte Gesellschaft, die ansonsten jeden Autounfall als traumatisierungsträchtig erkennt, noch zutiefst männlich geprägt und hundertprozentig frauenfeindlich ist.
Menasses Beitrag ist ein fulminantes Plädoyer für Aufklärung und ein Appell an die Teilnahme am öffentlichen Sprechen und Zuhören, weil dieses Thema, wie viele andere ihres Buchs, für jede Gesellschaft zu wichtig sei, um es nur Politikern, Religionen und ausgewiesenen Fachleuten zu überlassen.
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