Bilderwelten und Textunebenheiten
Gehirnsturm, ein kleines, feines Magazin für junge Literatur und Kunst aus Wien, liegt leicht in der Hand und man kann schon beim ersten Aufschlagen sehen, dass hier ein gleichberechtigtes Nebeneinander von Text und Grafik angestrebt wird. Die Grafiken sollen nicht nur dem Auge zur Entspannung dienen oder die literarischen Werke illustrieren oder konterkarieren, sie stellen eine eigene Werkschau dar. In großen Teilen sind die Beiträge in dieser vierten Ausgabe auch echte Hingucker, angefangen schon beim Cover. Vor allem herrscht eine große Diversität: Fotos, Collagen, Grafiken, sowie Arbeiten, die wie gezeichnet oder gemalt aussehen. Aber kommen wir mal zu den Texten.
Der Eingangstext von Damien Thomas, „Grundriss“, sammelt direkt ein paar Sympathiepunkte. In seiner herrlichen, verqueren Art, reiht er eine verspielt-illustre Beschreibung über seinen Gegenstand, ein Haus, an die nächste; der Taktstock dieser bodenlosen Musik ist ein ständiges Klopfen an der Hintertür. Es entsteht ein lebendiges Crescendo, eine absurde Heiterkeit kommt auf, die aber eine leichte Unruhe im Schlepptau hat, ein gewisses Maß an Suspense.
Mal abgesehen von den eingestreuten englischen Zitaten, kann ich nicht so viel mit dem Gedicht von Laura Untner anfangen. Ich verstehe, dass hier eine Sprache zur Beschreibung der Liebe gesucht wird, die nach der Erfüllung darin tastet und nach dem Scheitern, aber eine solche Brücke hinüber zum Eros lässt sich leicht schlagen, sollte aber auf ihre Begehbarkeit getestet werden. Schön sind die Zeilen, aber allzu leicht.
Oje, da beginnt jemand einen Text mit „Liebes Leben“, da fürchte ich ja schon eine Menge Klischees. Die kommen auch, überbordend, manchmal genial unterlegt und manchmal wie runterfallendes Geschirr. Aber der Text gibt nicht auf, Anna-Lena Obermoser gibt nicht auf, sie will versuchen der Vergänglichkeit nachzusetzen, ihre Finger in die Erde der Erinnerung zu graben, auch wenn da nichts anderes mehr wachsen kann als das was schon gewachsen ist. Es ist ein haltloser Text, voll agilem Pathos. Zum Schluss weiß ich gar nicht mehr, ob man ihm irgendeinen Vorwurf machen kann, denn er formt aus all dem Zusammengewehten ein so starkes Abbild der erlebten Vergangenheit – dieser Text bäumt sich wirklich auf gegen etwas, geht aufs Ganze, will sich nicht nur still in etwas Abgemessenes kleiden.
Es hat etwas Imposantes, wie Raoul Eisele in seinem Text „sorry, forgetting to shoot! aka celan [auch heute noch jelinek]“ einen ganzen Katalog an Bezügen, Doppeldeutigkeiten und Rundumschlägen hinblättert und dem Leser um die Ohren haut. Manchmal wirkt die Mischung überkonstruiert und das Eisele diesen tiradischen Text ausgerechnet mit einem Zitat aus Celans Todesfuge beginnt, stimmt kritische Geister sicher nicht versöhnlich; dieser Text lädt sich viel auf – im positiven, wie auch im bedenklichen Sinne. Was mir letztlich viel Respekt abnötigt, wenn ich auch nicht sicher bin, ob Gestalt und Form des Textes letztendlich gelungen sind.
Beklemmend und bis zum Ende in keinem Bedeutungsraum gänzlich zu verorten. Bei Julius Handls Dialog zweier Liebender(?) muss man höllisch aufpassen, nicht den Faden zu verlieren. Oder besser gesagt: ihn überhaupt zu finden. Man könnte jetzt meinen, ich würde dem Text damit eine erhöhte Kompliziertheit attestieren wollen – im Gegenteil, er ist lediglich spannend aufgebaut: nur zwei Stimmen, zwei Namen, die miteinander reden, die sich gegenseitig ein Geständnis machen, ein Problem aufwerfen, ein Gespräch mit ungewissem Anfang und ungewissem Ausgang führen. Ein Text, der vor allem von den Vorstellungsfluchten des Lesenden profitiert.
Sebastian Raho bedient sich in seinem Gedicht eines kindlichen Bildes für den großen Verlust: ein heruntergefallener Eislutscher, mit all seinen noch präsenten Verheißungen, visueller wie auch kulinarischer Natur, die aber bereits entrückt sind, so nah noch in der Wahrnehmung, so weit weg von jeglichem möglichen Gebrauch, steht im Zentrum. Ein gebräuchliches Gedicht, das etwas zu glatt wirkt und ohne Überraschungen seine schlichte Botschaft entfaltet. Trotzdem: eingefangen wird ein Gefühl, das jeder kennt. Das zählt.
Anders bei dem Gedicht von Bright Angel. Das Thema (Gewalt gegen Kinder) ist wichtig, die Ausführung eindeutig mangelhaft, plump, ohne Wirkung. Und dass der Text etwas verschämt an den Rand einer zweiseitigen Grafik gedruckt wurde, mindert diesen Eindruck nicht gerade. Dann lieber gar nicht mit reinnehmen!
Auch mit dem Gedicht „Weltverständnis“ von Udo D. Schimanofsky kann ich mich nur schwer anfreunden. Ich habe nichts gegen gereimte Gedichte, aber wünsche mir doch, dass sich der oder die Schreibende nicht einfach darauf verlässt, dass der Reim schon Sinn stiften und einfache, oft in Gedichten bereiste Gegensatzpaare beim Lesenden schon zünden werden.
Adrian Echerers Text ist etwas unhandlich, macht aber aus seiner offenherzigen Verschrobenheit keinen Hehl. Das ist entwaffnend, wenn es auch die sprachlichen Qualitäten und die überviel mit Sinnlichkeit und vermeintlicher Weisheit bestreute Atmosphäre nicht unbedingt in ein besseres Licht rückt. Der Text zerfasert an allen Ecken und Enden. Es gibt einige wunderbare Sätze darin. Aber der Zug zur Tiefe wird zu sehr gesucht und hindert den Text daran, eine gewisse Konsistenz zu erreichen, die (an)greifbar ist.
Ein weiterer gelungener Dialog nach dem von Julius Handl, weniger suggestiv, dafür in seiner Kürze und seinem Aufbau eine schöne runde Sache: Sarah Dragovics Text „Krümel“ ist nicht unbedingt eine aufregende Erscheinung, erzählt aber auf wenig Raum eine Geschichte, die ihre Wirkung nicht verfehlt.
Florian Kubiks Gedicht riecht zwar ein bisschen sehr nach Herzschmerz, aber beweist immerhin einen Formwillen und glänzt mit ein-zwei starken Bildern.
Der beste Text des Heftes stammt von dem Autoren und Poetry-Slamer Elias Hirschl – „Was sehen Sie?“, eine kongeniale Farce ohne Netz und doppelten Boden, mit viel beiläufigem Witz, die aus einen einfachen Szenario heraus eine irre Dynamik entwickelt. Nicht unbedingt hohe Literatur, aber nahezu perfekt inszeniert, unterhaltsam, klasse.
Auch manches Gedicht lebt vor allem von seiner Dynamik – Marlene Reiters „Wasch dich“ ist ein solches. Es besticht vor allem durch seinen gut gezimmerten Ablauf, die Serpentinen, die Klänge. Wie frivol oder kritisch es gemeint ist, zu welcher der beiden Seiten es tendiert, entzieht sich mir, aber in dieser Ambivalenz kann man es gut mit dem Text aushalten.
Meine Finger greifen nach deinen und du drückst meine Hand fester.
Du drückst Wärme in mich hinein.
Aber das passt nicht zusammen, denn meine Angst ist kalt und du kannst sie mir nicht nehmen.
Dein Lächeln ist eine Laterne und jemand schreitet langsam damit auf meinen Kopf zu.
Wieder ein Text, der sich ein bisschen zu sehr in Sinnlichkeit tränkt. Aber man will ja ran an das Leben, auch in Texten, ich versteh das ja. Und Julius Pristauz (aka Onkel Gucci) gelingt hier und da noch ein illuminierendes Bild, eine hautenge Beschreibung. Die Intensivität wird hier nicht nur angerufen, sie wird auch gezeigt, vermittelt. Von daher: schöner Text – ein bisschen weniger blumig, mehr Vertrauen in die Mitwirkung des Lesenden, beim nächsten Mal! (Das klingt scheiß-oberlehrerlike, i know …)
Anna Maschiks reiche Sprache (die manchmal vielleicht etwas zu verliebt ist in ihre „wie“-Vergleiche) erinnert an die Dichtungen Robert Walsers: überbordend, aber darin nicht ungelenk, sondern sehr filigran, in der Sprache aufgehend und nicht mit ihr heischend. „Frida“, eine Erzählung irgendwo zwischen reinem Sprachgenuss und Märchentatar. Nahezu unwiderstehlich.
Mit dem Text „Es“ von Bernadette Flucher kann ich nicht sehr viel anfangen. Mit ungenauen Bezeichnungen zu arbeiten ist eine Sache, den Lesenden komplett in der Luft hängen zu lassen eine andere.
Zugegebenermaßen sehr charmant: Wie Agi Breunig alle Menschen auf der Welt zur selben Zeit Luft holen lässt. Die Beschreibungen Einzelner, die Aufzählungen, ergeben ein schönes Mosaik, eine nette Idee. Allerdings nicht unbedingt einen interessanten Text.
Die Unebenheiten sind es, die Rahel Klara Kislingers namenlosen Text, der ein Sprechen und gleichsam eine Analyse ist, über sich selbst hinausheben. Eigentlich erscheinen Sujet und Verlauf viel zu brav, da wirft sich jemand auf eine imaginäre Mauer mit Endorphinen, zu uneindeutig geht alles vonstatten, aber sprachlich geschieht immerhin so viel, dass man den Text nicht verdrossen, sondern leicht geweitet verlässt.
Was man schwer verwinden kann, ist das Ende. Der englische Text von Karoline Strauch, der den einfachen Titel „Jump“ trägt, ist großartig in seinem verengendem Narrativ, er öffnet plötzlich eine Sphäre in Bewusstseinswelt eines ganz gewöhnlichen Augenblicks – simpel und doch stark. Ich versteh, dass der Autorin das Ende möglicherweise zwingend erschien und nicht all dies ausgewälzt werden kann ohne den richtigen Schluss. Aber dennoch kann ich mich schwer mit dem Ende abfinden, vor allem weil der Text mich als Leser immer stärker in seine Problematik drängt und mich dann am Ende eigentlich nicht so davonkommen lassen darf. Obwohl, vielleicht tut er das gerade nicht, aber für mich fühlt es sich so an.
Mal abgesehen davon, dass Thesi Breunigs Weltraumromanzenstück schon daran scheitert, dass Leute, die im All ihre Helme entfernen, nicht bloß ersticken würden, ihr Blut würde außerdem zu kochen anfangen und schwere Krämpfe würden einsetzen – es ist einfach unwirklich, fern jeglicher Anknüpfungspunkte. Das ist sicher ein miesepetriger Kritikansatz, aber selbst wenn ich die Schönheit des Arrangements berücksichtige und mir meine eigene Neigung zur Theatralik in Erinnerung rufe, schafft es dieser Text nicht mich irgendwie zu berühren.
Fazit
Nicht leugnen kann man, dass das Zusammenspiel der Grafiken und Texte (und die ungeklärte Frage inwieweit sie aufeinander abgestimmt wurden und aufeinander wirken sollen) „Gehirnsturm“ zu einem reizvollen Gesamtkunstwerk machen, einem Gesamtkunstwerk mit viel Potential. Allerdings schaffen es die Grafiken in dieser Ausgabe öfter eine faszinierende Eigenwilligkeit zu beweisen als die Texte. Noch Luft nach oben, aber auch hier entfesselt so mancher Text schon einen guten Brainstorm.
An der Ausgabe Beteiligte:
Beiträge Text: Bright Angel, Agi Breunig, Thesi Breunig, Sarah Dragovic, Adrian Echerer, Raoul Eisele, Bernadette Flucher, Julius Pristauz aka Onkel Gucci, Julius Handl, Elias Hirschl, Rahel Klara Kislinger, Florian Kubik, Anna Maschik, Anna-Lena Obermoser, Sebastian Raho, Marlene Reiter, Udo D. Schimanofsky, Karoline Strauch, Damien Thomas, Laura Untner
Beiträge Bild: Lukas E. Beinstein, Flora Franke, Hannah Franke, N.D.C.M. Fröhlich, Hannah Gehmacher, Simon Goritschnig, Jonathan Ka von Seiten, Kirasene, Florian Köstenberger, Bárbara Moura, Sophia Oberrauch, Paul Riedmüller, Andrea Scharf, Udo D. Schimanofsky, Chris Stillo
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