Anzeige
Heimat verhandeln V&R böhlau
x
Heimat verhandeln V&R böhlau
Kritik

eine Armada ausgeflippter Flops

Florian Voß’ trabt durch die (Vor-)Hölle
Hamburg

Florian Voß mag morbide Themen und schwermütige Stimmungen, das kennen seine Leser aus den Büchern „Bitterstoffe“ oder „Schattenbildwerfer“. Expressivität und Vergänglichkeit waren zwei wesentliche Pole seiner Dichtung. nun legt er noch einen drauf mit dem Gedichtband „In Flip-Flops nach Armageddon“.

Flipflops und Armageddon – erwartet uns nun Schrecken oder schrecklich Komisches? tatsächlich jagt einem dieser Band von der ersten Seite an heiß-kalte Schauer über den Rücken. meint er das ernst? „brummt der Schadeschädel abendrot und mir traumbombte gestern Nacht sich der Weg in den Tiefgaragenschutt frei.“

Voß will hoch hinaus und geht dafür tief hinab: Dante selbst führt, wie einst Vergil den großen Dichter, durch ein Szenario der Vorhölle oder Apokalypse, die hauptsächlich in Berlin-Kreuzberg/Neukölln angesiedelt ist (mit Ausflügen nach Kassel und Schöneweide). doch damit nicht genug, Metaphern jagen sich, kraftstrotzende Ausdrücke (die Wörter Gammastrahlung, Ziegenstiefel, Knaster, Mugge, Heliumwind, Bunker, Bomben, Wolfsquinte etc. finden sich allein auf der ersten Seite) überhäufen den Leser, der sich in einem Panorama wiederfindet, das wohl an mittelalterliche Höllenbilder gemahnen soll.

sein titelgebender Zyklus ist in der Tat ausgeflippt: eins der schrillsten Lyrikkapitel der letzten Jahre. dabei handelt es sich um eine recht beherrschte Durchgeknalltheit, um nicht zu sagen fast gemütliche. mit den Worten aus einem seiner älteren Werke: eine Odyssee im Ohrensessel. der mit Sündern, Hitler, Lenin und Totensäcken, sowie Engeln, Käfern und Teufelsautos gespickte Limbus ist auch in der Form eher konventionell. bis auf pathetisierende, meist an die Bibelsprache angelehnten Formeln und einige Reime, haben wir es mit einer deskriptiven Erzählhaltung zu tun. so schlurft Voß behäbig an all den Aussätzigen und krebsgeschwürigen Engeln vorbei, in Flipflops eben. das Kaputte, scheint er uns sagen zu wollen, ist nur da draußen. gerade diese Beobachtungshaltung, die implizite Behauptung, dass es sich nicht um traumatische Albvisionen, hieronymus’sche Versuchungen, um Kämpfe mit inneren Dämonen handelt, sondern um ein Sittengemälde, gibt dem Ganzen einen eigentümlich verschleppten Tonfall.

Krieg, Krankheiten, Verfall und Bedrohungen begegnen uns täglich. das Bombardement an hypertrophen sprachlichen Auswüchsen bei Voß lässt sich mit dem Verweis auf das Elend der Welt aber nicht einfrieden. und so wunderbar dabei einige Fundstücke seiner Sprachsuche sind, so wenig kunstvoll sind diese oft platziert. die meisten Zündstoffe krepieren, bevor sie zu leuchten anfangen, durchaus ironische Apokalypse-Flops.

Voß hat seine Wurzeln unter anderem in einer typisch Kreuzberger Bohemientradition (der 80-er 90er Jahre vor allem), deren Kunstverständnis sich sehr eigenwillig zwischen Dilettantismus und Radikalität bewegt. manches dieser Underground-Kunst ist authentisch, anderes böse, dreckig, vieles auf konventionelle Weise unkonventionell oder einfach trash. die Subversion solcher Kunst oder Literatur zieht gerade daraus ihren Reiz, dass sie sich auslebt ohne Rücksicht auf akademische Ästhetikansprüche, die bewusst inadäquate oder hypertrophe Wahl der Mittel ist beabsichtigt. mindestens letzteres ist jedenfalls bei Voß der Fall: scheppernd trägt er den Sperrmüll der Apokalypsen- und Höllengeschichte zusammen, hat ein sattes Vergnügen am Überzeichnen.

wenn auf dem Maybach das Zeichen des Tiers blinkt, alles ringsum „aschfahl“, „staubgrau“ und „brauner Matsch“ ist, wenn das „Fass der Medusa“ geöffnet wird und „Sirup“ hinausträufelt, Dante in Schwimmhosen eines Kerls daherkommt und von der Hölle faselt, die Leber in Öl gesotten wird und die Putten dazu singen – dann ist das grandioser Volltrash.

umso überraschender dann das zweite Kapitel des Bandes. „Ghostbook“  ist in seiner herzergreifenden Schlichtheit und Beschreibung menschlicher Angst nachgerade schülerhaft unschuldig: „Oder plötzlich wieder der Gedanke// dass kein Moment andauert“. Erinnerungen an die Kindheit wechseln mit Fragen nach der Vergänglichkeit des Lebens ab („am Horizont die Kreuze aufgerichtet“). und wenn der Dichter dann bekennt, er spüre „Die plötzliche Sehnsucht nach Alter“ – weiß man nicht, ist er jetzt wirklich wieder ein Schulbub ( „Warten auf die Dateien der nackten Frauen“) oder ein Resignierter? erstaunlicherweise aber erkennt man in diesen Gedichten den Autor des „Armageddons“ wieder – und das ist vielleicht die schönste Verunsicherung des Bands. dabei muss man sich den Voß als guten, vielmehr gutmüdigen Menschen vorstellen: seine Zeilen aus dem Poesiealbum injizieren dem finstersten Thema, der Nähe des Todes wesentlich mehr Trost als das happy end eines sonntäglichen Tatorts. und man fragt sich, warum Lyrik eigentlich als unverkäuflich gilt.

sind im ersten Kapitel gerade die überzeugendsten Stellen die, an denen sich das tremolo überschlägt, Selbstironie und Travestie überhand gewinnen, so extrapolieren die übrigen Kapitel gerade eine entgegengesetzte Qualität. fast verdächtigt man Voß, dass er das „Armageddon“ nur geschrieben habe, damit dies schlichte Erforschen der Angst und Wehmut desto mehr besteche. und wenn die Bilder dort oft vor Überladenheit ungelenk wackeln, so bekommen sie nun den grauen Farbstich des Melancholischen, als könne sich der Dichter angesichts der Vergeblichkeit des Seins zu mehr Raffinesse nicht aufraffen.

der Zyklus „Nukleus/Nacht“ und das letzte Kapitel „Petruschka –Variationen“ schließen das Buch ab und versuchen vielleicht so eine Art Synthese aus metapherngeschwängerter Hölle und Kindheitserinnerungen, allerdings überkreuz. während „Nukleus“ in 8 Gedichten des Menschen todgeweihtes Leben, immer im Zwischenreich zwischen dunklem Himmel und schwarzer Bauchhöhle der Mutter, lakonisch-fahl ausleuchtet, wirft das Kapitel „Petrushka“ eher ein diabolisches Flackern auf eine Kindheitserinnerung, in der eine tanzende, gesichtslose Kinderpuppe als frühester Vorbote des Todes auftritt.

der Dichter Voß hat sich in diesem Band gefunden. seine Gedichte sind verschnürt zu vier kohärenten Kapiteln, die jede eine mögliche seiner Tonlagen widerspiegeln. die Sprache des Bandes ist üppig, allerdings ein bißchen schrebergärtnig arrangiert. neue Erkenntnisse wird man ebenso wenig finden wie diffizile Operationen am Wort, dafür vor allem gegen Ende sehr stimmige Atmosphären und Todesreflexionen. im Grunde, bei allen Ausflügen in den Irrwitz und die Expressivität, ist Florian Voß ein zu alt gewordener Barockdichter, der die Vanitasklage anstimmt, aber mit einer alten Gitarre vom Flohmarkt – und so, als säße man dabei in einer dieser Kreuzberger Bars mit rotem Brokat, verschnörkelten Spiegeln und ausgestopften Monstern.

Florian Voß
In Flip-Flops nach Armageddon
Verlagshaus J. Frank
2013 · 100 Seiten · 13,90 Euro
ISBN:
978-3-940249-78-4

Fixpoetry 2014
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge