Kein Grashalm regte sich, so still stand die Luft
Die Meisen von Uusimaa singen nicht mehr von Franz Friedrich macht vieles richtig, leidet aber rückblickend zusehends unter seiner arg verträumten Selbstbezogenheit.
Unter den Debüts des letzten Jahres ist es eines der ungewöhnlicheren: Franz Friedrich erzählt in Die Meisen von Uusimaa singen nicht mehr viele kleine, lose miteinander verbundene Geschichten, die sich vor einem poetisch inszenierten Hintergrund um Verlorenheit, Sehnsucht und Utopie drehen.
So wurde der Roman auch in allen großen Zeitungen einhellig gelobt: Von einem „Märchenton“ war da die Rede (Nico Bleutge für die Neue Zürcher Zeitung), das Buch wurde sogar als „romantisches Romanfragment“ verstanden (so Oliver Jungen in der FAZ), das „regelrecht glücklich macht“ (Christoph Schröder, Süddeutsche Zeitung).
Zeit, zu fragen, wie Die Meisen von Uusimaa singen nicht mehr den literarischen Haltbarkeitstest besteht. Was zeigt die erneute Lektüre?
Die Vögel, die das Singen aufgegeben haben: So eine Idee könnte tatsächlich aus einem Märchen stammen, einem Märchen, das auf einer weit entfernten Insel spielt, wo andere Naturgesetze herrschen. Eine solche Insel ist in Franz Friedrichs Buch das finnische Uusimaa – tatsächlich existiert in Wirklichkeit nur ein finnischer Landstrich dieses Namens – das mit seinen Vögeln, die vom einen Tag auf den anderen ihren Gesang einstellen, zum Anziehungsort für Forscher, Künstler und Naturfreunde wird.
Darunter befinden sich: Die Naturfilmerin Susanne Sendler; ein junger Filmstudent, der ihr nachreist; ein Pärchen, das einen verträumt-verliebten Sommer erlebt; die amerikanische Austauschstudentin Monika, die mitten in einer tiefen Sinnkrise in Berlin Anschluss an eine finnische Exilgemeinde findet.
Sehr einfühlsam ist Franz Friedrich beim Nachspüren der unterschiedlichen Stimmungslagen in den Teilhandlungen seines Romans: Da ist der naturwissenschaftlich-akribische Blick der Dokumentarfilmerin, dessen Authentizitätsfiktion bis in Fußnoten hinein durchgehalten wird, dagegen die optimistisch-abenteuerliche Haltung des jungen Filmstudenten und das völlig desillusionierte Weltbild von Monika, die seitenweise aus ihrem gescheiterten Dissertationsvorhaben über zukunftsweisende Städtebaumodelle in West- und Ostdeutschland zitiert.
Überhaupt Zukunft: Das ist das Thema von Franz Friedrich schlechthin. Nur ganz am Rand gibt er dem aufmerksamen Leser Hinweise auf die Einbettung mindestens eines der Erzählstränge in eine Zeit, die weit nach unserer liegt, von bewohnten Planeten und einem überstaatlich organisierten Europa ist die Rede, während die Vereinigten Staaten von Amerika auf den Status eines Entwicklungslands herabgesunken sind.
Science-Fiction also? Nicht ganz, dafür sind die eingestreuten Marker zu selten. Klar zu erkennen ist aber, dass hier nicht Gegenwart verhandelt wird, sondern die Idee von Zukünftigkeit – überhaupt die Möglichkeit, Zukünftiges zu denken. Das mag ein wenig spekulativ und verträumt zu sein, und doch sendet Franz Friedrich an dieser Stelle wichtige Impulse aus, die Nachhall finden könnten.
Was Die Meisen von Uusimaa von vielen Romanen des Jahres 2014 unterscheidet, ist die lose Aneinanderfädelung von Erzählsträngen, die ein mosaikartiges Gesamtbild ergeben. Gleichzeitig besteht darin aber auch ein gewisses Risiko: Manche Erzählfetzen geraten gar zu kurz; andere (wie etwa das Science-Fiction-Szenario) werden dagegen nur so kurz erwähnt, dass sich ein neugieriger Leser um eine genauere Erklärung betrogen fühlen könnte.
Aber wie steht es um das Gesamtbild des Romans? Ist die Hinwendung zur Utopie, der Franz Friedrich ganz ungeniert frönt, nicht auch ein einfach nur ein nettes Gedankenspiel, würde man sich – siehe Dorothee Elmiger, siehe Matthias Nawrat – bei aller Kunstfertigkeit nicht auch etwas mehr Verankerung in der Realität wünschen?
Denn so bleibt nach einer anfänglichen Begeisterung mit größerem Abstand zur Lektüre ein etwas schaler Beigeschmack zurück: Wie ein prickelnder Cocktail schüttet dieses Buch zahlreiche spannende Ideen und Ansätze aus, die aber nicht konsequent zu Ende gedacht und ausgeführt werden.
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