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Kritik

Unser Turnus der Spagat

Hamburg

40% Paradies. Das erste Buch des offenen Berliner Lyrikkollektivs G13. Eine gemeinsame Anthologie! Oder doch nur ein Mäppchen poetischer Visitenkarten? Das wäre doch wirklich zu schade. Nach dem ersten Blick in die Texte der jungen, größtenteils Ende der 1980er Jahre geborenen Dichter lässt jedoch nichts darauf schließen, hier sei ein „Kollektiv“ am Werk gewesen – ein Kollektiv, das unter allen anderen Umständen jetzt auf der Bühne stehen, wahlweise auf Barhockern sitzen würde, weißes Hemd, ein loser Schlips, und liest und performt. Aber es gibt Momente, die erzählen, hier haben nicht irgendwelche Leute zueinander gefunden. Die erzählen: Hier ist ein Kollektiv am Werk! Hier wird Kollektivität zu einer poetologischen Grundkonstanten.

Es ist das Ich im Wir und das Wir im Ich, das sich allmählich am Boden der Anthologie absetzt – und immer wieder aufgewirbelt wird. Ein ständiges Oszillieren. Die zum Teil chaotische Bewegung, die dadurch entsteht, in einem Gedicht von Paula Glamann liest sie sich wie der längst überfällig gewordene Abgesang auf die Figur des ‚einsamen Poeten’: „hier wird auf Plätzen gesprochen, denen nichts gemein ist / außer Sprudel gegen Setzkästen und Karusselle / der Flohzirkus weggespült, unser Turnus der Spagat / wir sind in guter Gesellschaft“. Eine „Gesellschaft“, in der die „Baustellen“, wie es in geradezu programmatischer Weise heißt, nicht mehr „brüchig“ sind, „Dichtungen“ sich aus eigenem Antrieb „enttagen“, jeder Möglichkeit, eines sogenannten „Stilbruches“ überführt zu werden, „chancenlos entrissen“. Allein: „das was zusammenhält hallt / an allen Enden hämmern / dieses Biegen, dieser Knick braucht / niemanden mehr gerade zu denken“.

In guter Gesellschaft befindet sich auch „Christian vom Berg“, das lyrische Ich aus dem gleichnamigen Gedicht von Can Pestanli. Wie aus dem Nichts, naiv, aber schön, schwappt da eine Liebesbekundung über den Buchrand, was eben passiert, wenn man plötzlich das Nachsehen hat gegenüber einem großindustriellen Schweinezüchter aus Wien: „Sophie ich will dich / halten wie immer am Morgen, immer gibts erst seit dir“. Überhaupt, Can Pestanli beweist, was es heißt, mit seinen Gedichten in den Spagat zu gehen und ihn zu halten. Denn unter Umständen kann ein Gedicht auf diese Weise in einer lächerlichen, ja geradezu grotesken Situation („d.h. du hast meine Mutter gebumst und sie spielte Pferd, die Stute“) zum Lebensretter werden, in doppelter Hinsicht: „Als ersten Schritt will ich dich hiermit (es soll so aussehen wie nebenbei) / statt mit der Axt mit diesem Gedicht entmannen / Mach’s gut, manchmal, würdest du sagen, ist die Liebe mal so oder so / ich würde sagen, manchmal ist die Liebe ein Arschloch“. Touché!

Natürlich geht es auch hochgradig individuell zu. Das ist kein Widerspruch. Alle Gedichte sind G13. Nur der Umkehrschluss ist falsch. Und so steigt nach dem vielen Blättern, dem Hin und Herlesen, aufregend Neues aus dem Laboratorium Lyrik, und kommt an die Luft und hat alles vergessen: „am morgen: zwei abwesende anrufe / wir oder ich steigen in die kapseln / runter runter, die seeschlacht“ heißt es in dem Gedicht „die werften der welt sind traurig“ von Linus Westheuser. Westheuser gehört zu denjenigen aus der Gruppe G13, die mit ihren Gedichten auf einen Textkorpus verweisen, der nicht nur mengenmäßig größer ist als das, was in die Anthologie Eingang gefunden hat. Eine Bewegung, angezeigt im Kleinen, die womöglich aber über einen ganzen Gedichtband trägt: „unser mund lagert schürfrechte ein / tausend ausgehöhlte blüten“.

Auch Maria Natt gehört zu diesen aus dem Gesamtkonvolut herausragenden Stimmen. Klar und verdichtet, von unnötiger Schlacke und angestrengtem Lyrizismus befreit, taucht sie mit einem Mal auf, unangekündigt, auffallend aufgeräumt, ganz so „als hätten die Stoffe einen neuen Bezug“: „und wenn die straßen von dir alle sind / und wochentage an planke lehnen / wie gäste die sich verhalten / steigen kraniche aus lichtkegeln / zurück in trabantenstädte wo sie wohnen / immer und immer wohnen“. Da möchte man sein Ohr doch „behutsam“ aus einem Buch bergen, wie es in einem Gedicht heißt von der ebenfalls bestechenden Tabea Xenia Magyar. Und zwar genau aus diesem. Um es dann wieder zwischen die anderen Seiten zu legen, an den Puls dieser Anthologie.

G 13 (Hg.)
40% Paradies
luxbooks
2012 · 154 Seiten · 24,00 Euro
ISBN:
978-3-939557708

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