Machtvolle Fantasien
Im Reich der Fiktion ist alles möglich. Die Literatur ist Projektionsfläche für alternative Realitäten, Geschichten, die uns mit Gefühlen und Situationen konfrontieren, die uns entweder ansprechen weil sie bekannt oder vollkommen fremd sind. Fantastische Literatur schöpft diesen Aspekt bis ins letzte aus und verliert damit gemeinhin die Anerkennung als Kunstform. Auch das E-Book ist gerade Zankapfel, man spricht ihm gerne den Kunstanspruch ab und behandelt es so, wie die Fotografie einst im Vergleich zur Malerei. Die Zukunft wird entscheiden, was mit dieser neuen elektronischen Publikationsform alles passieren kann, aber der Verlag „Das Beben“ rehabilitiert nebenbei mal schnell die Novelle und elektronische Kurzprosa auf den Markt. Gleich zwei der aktuellen Veröffentlichungen beschäftigen sich mit Mythen und Weltuntergang, eine gute Gelegenheit beide einmal kurz zu besprechen:
In „Alles Kaputtschlagen“ begegnen wir dem Bekannten und dem Fremden gleichermaßen. Die kleine „Schöpfungsgeschichte“, so der Untertitel (eher eine Geschichte des Endes der Schöpfung) spielt maßgeblich im gegenwärtigen Berlin und bedient sich einer Gemengelage von Archetypen, deren prekär-prätentiöser Alltag von Kneipeneröffnungen und post-modernen Arbeitsverhältnissen bestimmt wird. Mit zynischer Beobachtungsgabe erzählt uns ein allwissender, manchmal alles besser wissender, Erzähler vom sexreichen Alltag der Endzwanziger Joana, Miriam, Mike und Richard. Die Beziehung zwischen den vieren ist geprägt vom üblichen Mischmasch aus Ex-Freund/in, bester Freund, neue Freundin, usw. Fußnoten, die man im E-Book bequem antippen kann und so ohne Blättern auch wieder bequem zurück in den Fließtext führen (hier ist er, einer der Vorteile von elektronischen gegenüber gedruckten Büchern, liebe E-Book-Debatte), sind weniger nützliche Ergänzungen, als Meta-Kommentare, die der Erzähler leise ins Ohr flüstert. Biographien von Nebencharakteren zusammengefasst in Eckdaten wie „Jochen W., 41, Abteilungsleiter“ oder weiterführendes zum Sexleben von Hauptcharakteren oder auch ein Rundumschlag zu Neuköllner Kneipen, kürzer und prägnanter als jeder qype-Kommentar.
Entlang der Frage „Was passiert wenn man ein paar verdrufften Hipstern die Rettung der Welt anvertraut?“ entspinnt die Novelle einen Kosmos aus aktuellen urbanen Befindlichkeiten und mit popkulturell aufgeladenen Witzigkeiten. Der verstorbene Mike trägt seiner highen Ex-Freundin zu, dass sie und ihre Freunde die Welt retten müssen, weil... weil. Gerettet werden muss die Welt vor einer Gottheit, die in einer anderen Dimension ausversehen die ultimative Schlacht gewonnen hat und jetzt hilft ihr ein psychopathischer Seelenfänger bei der Umsetzung des in Schurkenmanier komplexen und gleichzeitig simplen Plans, der zum titelgebenden Rundumschlag führt. Weil die Hipsterhelden dem Seelenfänger aus der anderen Dimension nichts besseres entgegenzusetzen haben, als sich klischiert die Hände zu geben und einander die Liebe zu gestehen, wird es mit der Rettung der Welt leider nichts (so viel sei verraten), aber ganz im Stil der populären Unterhaltung gibt es noch die beiden Dei ex machina „Entchen“ und „Bärchen“, die das ganze gerade biegen wollen.
So randvoll mit Klischees, so randvoll mit querverweisen ist der kurze Text, dass man sich immer wieder beim Kichern erwischt - leider aber auch so randvoll mit unnötigen Sexszenen, dass man sich zwischendurch das Kichern verkneift und am Kopf kratzt. Derber Humor, der weiß, dass er mit Derbheit nicht mehr punkten muss - alles ist auf der Meta-Ebene schon durchdacht und analysiert, genau so formuliert der Text den Vorwurf an die hippen Großstädter. Meta-Meta-Alles, aber dabei humorlos. In diesem Falle wirkt das irgendwann gewollt, gehen Pointen daneben und man muss die feministisch-kritische Schmerzgrenze ein bisschen hochschrauben, um den Text nicht zu verreißen, denn das hat er nicht verdient. Ein lustiges Experiment in Sachen fantastischer Literatur als Popkritik aus der Feder eines Comedians.
Knuffiger geht es bei Wnuki zu. Auf einer Insel leben kleine Wesen, die alle den gleichen Namen tragen, gleich aussehen und nichts tun, als zu spielen, Beeren zu essen und wenn mal ein Wnuki umfällt und nichts als die Augen bewegt, dann schert das die Wnukis eher wenig. Gleichmütig aber glücklich gehen sie ihren unzählbaren, weil niemals anderen Tagen nach, nur um Abends in der Höhle zu schlafen.
Bis eines Tages das Lieblingswnuki von Wnuki, Wnuki, umfällt und die Augen nicht mehr bewegt. Wnuki ist geschockt von Wnuki und bleibt wimmernd bei Wnuki bis der Mond aufgeht. Obwohl es seinen Namen immer wieder ruft, bleibt es starr liegen - neben dem großen Loch in der Mitte der Insel, für das die Wnuki sich eher am Rande interessieren, wie sie sich überhaupt für alles eher am Rande interessieren (außer Beeren und Spielen natürlich).
Und hier nimmt die Geschichte an Fahrt auf: Wnuki wird das tote Wnuki von der großen Lullubuh, einem Monster, das aus der tiefe des Lochs aufsteigt, entrissen. Sie verleibt sich das beinahe tote Wnuki ein - und Wnuki ist einsam. Eine verrückte Alte warnt sie noch davor, sich dieser Erfahrung auszusetzen - doch Wnuki bleibt stur.
Als es am nächsten Morgen die anderen Wnuki sieht, ist es geschockt. Sie haben alle unterschiedliche Merkmale, unterscheiden sich voneinander. Auch die Insel ist plötzlich eine andere.
Indem Wnuki, das seinen Namen behält, während es andere mit so süßen Kosenamen wie „Nebelchen“ für ein fast blindes Wnuki, oder „Großkopf“ für ein Wnuki mit vielen Haaren, belegt, dem Tod ins Auge gesehen hat, naschte es von der Erkenntnis. Alle Wnuki erblicken schließlich die große Lullubuh und sehen, wie Wnuki, plötzlich Unterschiede. Aus den friedlichen (und behäbigen) Wnuki wird ein Stamm, der sich von anderen Stämmen unterscheidet. Hierarchien entstehen, Aufgaben werden verteilt und ein Wnuki, das den Namen Babar trägt, wird plötzlich zum Anführer. Ein Feldzug gegen die große Lullubuh beginnt, der Wnuki selbst in Gefahr bringt. Nichts auf der Insel ist mehr so, wie es war.
Eine süßlich erzählte Allegorie, die in ihrer weichen und zaghaften Sprache manchmal so Grausames beschreibt, dass man sie mit Ironie verwechseln könnte. Es ist aber der Duktus in den Tobias Hülswütt seine Geschichte gegossen hat. Eine Geschichte von Erkenntnis und Differenz, von Macht und Ohnmacht, süß verpackt, aber ziemlich bitter von innen.
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