Die zweite Generation und die Stadt
Und die Welt veränderte sich
Es hatte Bäume und Menschen gegeben
'Wege und Straßen
...“Überleben: Infanterie
George Oppen
1.
Eine Lücke in der Rezeptionsgeschichte amerikanischer Literatur in Deutschland, die es nach meiner Meinung gleich und sofort zu schließen gilt, ist die Oppenlücke. Im Wiesbadener Verlag Luxbooks erschien im letzten Jahr ein zweisprachiger Band unter dem Titel The Materials Die Rohstoffe. Das Original ist 1962 im Verlag New Directions in New York erschienen.
Oppen lebte von 1908 bis 1984 und gehörte zu den Objektivists, die in der amerikanische Literatur von nicht geringem Einfluss waren, auch wenn er im Grunde erst in den sechziger Jahren so richtig sichtbar wurde, obwohl sich die Gruppe bereits um 1930 herum konstituierte. Es wäre fatal, würden wir uns diesem Einfluss hier heute nicht aussetzen.
George Oppen Quelle: poetryfoundation
Ich schreckte bei dieser Gruppenbezeichnung allerdings erst ein wenig zurück, weil sie mich an das Zauberwort des ostdeutschen Staatsbürgerkundeunterricht erinnert: Objektivität. Ein Wort, mit dem man jeden Widerspruch gegen die Doktrin bekämpfte, die man damit als subjektiv, also versponnen abkanzelte. Jedoch vereinigte die Gruppe der Objektivists Oppen mit Autoren wie Zukofsky und Williams, Autoren, die auch politisch über einen Vorwurf des Dogmatismus erhaben waren. Sie konstituierte sich in Anschluss und Abgrenzung zu den Imagisten, deren Vertreter zum Beispiel Pound, Williams und H.D. waren. Laut Zukofsky, einem der maßgeblichen Vertreter, bestand Objektivismus darin, das Gedicht als Objekt zu behandeln, nicht als Ausdruck irgendeiner seelischen Verwerfung. Der Dichter betrachte die Welt mit Aufrichtigkeit und Intelligenz.
2.
Es ist mir schon klar, dass die amerikanische Dichtung einen Kontinent darstellt, den zu Fuß zu durchwandern ein ganzes Leben in Anspruch nähme. Und die Reisegeschwindigkeit des Lesers kommt nun mal der eines Spaziergängers gleich, denn er will ja was sehen und erleben. Der Leser nimmt also eine des Reichtums gegenüber fast irrwitzig wirkende Langsamkeit in Kauf. Und er nimmt in Kauf, dass er den Kontinent wohl nie vollständig erschließen wird. Aber dann trifft er womöglich bei seiner Wanderung auf folgenden Text:
...
Wir sahen den Samen
Den winzigen Mammutbaumsamen
Im Museum neben der riesengroßen Scheibe
Vom Baum. Und dachten uns den Samen
In Erde und den Wuchs beschleunigt
'Dass wir den Samen ausgreifen sahen, gewaltsam
Welt durch sich gezwungen in Borke, das Grün
der Nadeln des Redwood, bis der Baum
Vor uns stand im Raum ohne Erde -
...
Es handelt sich hier um einen Auszug aus dem Gedicht: Return, das in der Übersetzung Norbert Langes unter dem Titel Heimkehr erschien.
Abgesehen davon, dass ich persönlich sofort anspringe, wenn irgendwo von Redwoods die Rede ist, weil diese Lebensform trotz ihrer Größe ein biblisches Alter erreichen kann und weil es derartige Gewächse in den Gärten meiner europäischen Verwandten nicht gibt, überraschte mich das Auftreten dieser Bäume bei Oppen zunächst doch sehr. Denn ein Naturdichter ist er gewiss nicht. Die Natur tritt bei ihm jedoch als Same und Holzscheibe in einem Museum auf. Sie ist menschgemacht neben all den Maschinen und Kanälen, die die Texte durchziehen.
Es ist ein längeres Gedicht, länger als alle anderen Gedichte im Band und mir scheint hier etwas von Oppens Poetologie zu stecken, eben weil er sich hier den Raum gibt und das sonst eher Momenthafte in einen mehr oder weniger zeitlosen Kontext stellt. Angesichts dieses Textes erscheinen die anderen als eine Art Quickshot des Gedankens und der Entwicklung.
In dem Gedicht Vulkan heißt es später:
...
Auf dem Weg nach draußen ist der Hausbesitzer
Kurz verloren in der Knochenkälte
Vielleicht sind das die beiden Pole Oppenscher Dichtung, der kurze Kälteschock angesichts ewiger Mammutbäume. Aber auch diese Position wird eine vorübergehende sein. Aufgehoben findet sie sich im Gedicht: An die Erinnerung am Ende des Bandes
…
Alles Existierende ist
Dein Besitz. Und in den Höhlen deines Schlafes
Lebt es in unserem fortdauernden Morgen.
Oppen sei ein trügerisch einfacher Dichter. Wolle man sein Werk lesen, sei man gezwungen, es gleichsam zu erlernen, schreibt Paul Auster in seinem Nachwort. Und dieses Erlernen ist mit einer wiederholten und wiederholenden Lektüre verbunden. Die Rohstoffe sind kein Buch, das man so einfach zur Seite legt. Auch und vor allem, weil diese Art des Lernens Spaß macht.
3.
Kurz nach der Mitte des vergangenen Jahrhunderts, als es neben der politischen auch eine ästhetische Blockbildung gab, galt zumindest im Osten Objektivität als Kampfbegriff. Aber auch sonst berief man sich gern darauf, um den eigenen Standpunkt als gewissermaßen naturgegeben zu präsentieren. Ein wenig davon weht natürlich auch durch die Texte der Objektivists. Das liegt vor allem daran, dass sie Anschluss an Pound keinen Unterschied machten zwischen politischer und ästhetischer Position. Zumindest im Falle Pound hat das zu schwierigen Verschränkungen geführt. Oppen und Williams würde man gegenüber dem zeitweise bekennenden Italofaschisten eher links und sogar kommunistisch einordnen.
Oppens Werk, schreibt Paul Auster in seinem Nachwort, beginnt an einem Punkt, weit vor der Sicherheit von Absolutheiten, es begibt sich fernab von vorsortierten und vorgefundenen Wertesystemen und versucht sich auf einen gemeinsamen Glaubenskanon zuzubewegen, den die gesamte Menschheit teilen könnte.
Oppen nimmt also dichterisch einen gegenteiligen Standpunkt von dem ein, was er politisch vertritt, denn er verstand sich als Kommunist und Kommunisten waren nicht gerade dafür bekannt, besonders beweglich und kompromissbereit auf ihre Gegner zuzugehen. Allerdings waren ihre Verfolger auch nicht von Pappe. Der Kommunist Oppen nahm Verfolgung während der McCarthy Ära in Kauf und verbrachte, nachdem er als Soldat in Europa gegen die Nationalsozialistischen Barbaren gekämpft hatte, mehrere Jahre im Exil in Mexiko.
Gerade deshalb und vor diesem politischen Hintergrund bin ich erstaunt, in welcher Form der Arbeiter, der ja Träger der Revolutionären Bewegung sein sollte, in Oppens Texten ins Bild tritt:
Und die Wohnungen
Die alternden Wohnungen
Der Arbeiter. Es ist ein Gefühl von Ordnung
Und von Gefahr. Die essentielle Stadt
Die zwangsläufige Stadt
Zwischen diesen Hafenstraßen immer noch sichtbar
So wird die Stadt im Gedicht Auge des Touristen als Gegenstand der Betrachtung vorgestellt. Und das Gewimmel, das die Stadt durchzieht ist eben kein revolutionäres Aufbrausen, kein majakowskischer Sturmschritt, mit dem der Kommunist die weiße Läusebrut zertritt, sondern eine beständige Bedrohung. Bei Oppen sehe ich viel mehr eine apokalyptische Landschaft, deren Kulisse aus Zeit besteht, aus der Zeit und deren aktuellen Insignien.
Aber auch:
Ein Ort des Geistes
Und Auge. Was uns vernichten kann.
Sich selbst neu ordnen, setzt
Die Steine seiner Kettenreaktion.
Dieses letztere Zitat stammt aus dem Gedicht Raketenzeitalter.
Die Stadt und immer wieder die Stadt. Oppen zeigt sie in ihrer verletzenden Starre, aber auch in ihrer vereinnahmenden Beweglichkeit Ursprung und Ziel der Zivilisation, denn hier kommen die Menschen zusammen und sind gewissermaßen zur Interaktion gezwungen. Und in all dem bilden sie und ihre Stadt bei Oppen doch auch einen Gegenentwurf zum dunklen, rauchigen und vergiebelten Bild, das der deutsche Expressionismus in Lyrik und Film vom Moloch entwarf.
Norbert Lange, der eine vorzügliche Übersetzung der Oppenschen Texte geliefert hat, schreibt in seinem Nachwort: Oppen zielt auf den, wenn auch flüchtigen Zustand, in dem der Dichter sich den Dingen unvoreingenommen stellt. Diese Annäherung lässt sich als Begegnung von Welt und Subjekt auffassen, die innerhalb des von Sprache Ausdrückbaren stattfindet.
Und genau das ist der Punkt, in dem sich Oppen von den Ideologen unterscheidet. Er begegnet der Welt und will sie nicht überwältigen.
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