Anzeige
Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
x
Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Kirschen und Geschichte

Hamburg

Man fragt sich, ob es eine glückliche Zeit war, zumindest ob sie für Hannah Arendt glücklich gewesen ist. Ein paar Jahre waren sie ein Paar, ein Ehepaar und als sie sich Mitte der dreißiger Jahre scheiden ließen, waren sie auf der Flucht vor den Nazis, jeder für sich, die bedeutende Theoretikerin und der Schriftsteller und Philosoph Günther Anders.

Anders'  Bedeutung beschränkt sich  in  gewisser Weise auf die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, ganz anders als die von Arendt. Die Nähe zur gelebten Zeit, die Nähe zu den aktuellen Konflikten machte seine Philosophie in hohem Maße zeitgebunden und damit vergänglich. Das heißt nicht, dass sie für uns heute von keinerlei Interesse mehr wäre, nur ist es eben ein Historisches. Mit der Überwindung der Blocktrennung in den Neunziger Jahren des Vergangenen Jahrhunderts und der darauf einsetzenden Renaissance des Religiösen verliert sie an Aktualität.

Arendts Theorie hingegen habe Konjunktur, schreibt Christian Dies in einem Text, der dem eigentlichen nachgestellt ist:

„Günther Anders und Hannah Arendt – Eine Beziehungsskizze

„Das öffentliche Interesse ist groß und die Forschung läuft auf Hochtouren, von einer regelrechten 'publizistischen Arendt-Industrie' ist die Rede.“ so Dries indem er einen Artikel von Oliver Marchart zitiert.

Das Interesse an Hannah Arendt  bleibt also bestehen. Und es bleibt bestehen,  weil sie aus ihrer distanziert kritischen Position heraus weitläufigere Zusammenhänge entwickeln konnte, so dass ihre Analyse totalitärer Herrschaft weit über das hinaus geht, was sie realpolitisch vorfand und mit dem Verschwinden von Faschismus und Kommunismus als reale politische Systeme eben nicht an gesellschaftlicher Bedeutung verloren hat. Arendt misstraut dem Postulat.

Das im Verlag C.H. Beck erschienene Buch „Die Kirschenschlacht“, das Texte enthält, die von Günther Anders verfasst wurden, die versuchen, Dialoge zu rekonstruieren, die Anders und Arendt während der kurzen Zeit ihrer Ehe geführt haben, macht das schon deutlich.
In seiner Vorbemerkung gibt Anders zu, sich nicht mehr genau an Arendts Positionen zu erinnern. „Der Versuch, Hannahs schon damals ganz eigenständigen Denk- und Sprachstil wieder heraufzurufen, ist mir nicht gelungen, nur der, ihre Gestik zu schildern.“

Vielleicht liegt das daran, dass Ahrendts Gedankengebäude am Anfang der dreißiger Jahre noch  Baustelle war, während Anders in den Gesprächen schon so etwas wie die Grundlage seines Hauptwerkes „Die Antiquiertheit des Menschen“, welches 1956 erschien, entwickelt hatte. Auf den ersten Blick scheint die Theoretikerin als Stichwortgeberin des Philosophen zu fungieren, und als Folie, vor der Anders seine Anschauungen entfaltet.

Natürlich liest man das Ganze mit Kenntnis der Theoriegeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts und kann ein Schmunzeln angesichts des Andersschen Stolzierens nicht ganz unterdrücken. Vor allem wenn er der Partnerin vorschlägt, sich doch mit der Rolle der Frau zu befassen und zu ihrer Befreiung beitragen,  wirkt er wie ein äußerst paternalistischer Hahn.

„Danke bestens. Ich erledige momentan andere Aufgaben. Wenn ich allem nachgehen wollte, sprach sie fest und beinahe feierlich, was nur ich durchführen könnte, dann müsste jeder Tag 36 Stunden haben.“
So Arendts Antwort.

Was auf jeden Fall sichtbar wird, ob von Anders gewollt oder nicht, ist eine Haltung, die Arendt früh einnimmt und die zu einfache Erklärungsmuster abgelehnt.  Aus dieser Haltung heraus werden in den kommenden Jahren epochale Denkgebäude entstehen. Aber zunächst einmal, zur Zeit der beschriebenen Gespräche, findet man sich Sommers auf dem Balkon ein. Die dramatischen Ereignisse, die ein paar Jahre später Deutschland überrollen werden, sind, wenn überhaupt, zunächst nur als Vorahnungen vorhanden.

Der vorliegende wunderschön gestaltete Band macht Philosophie- und Theoriegeschichte auf eine beeindruckende Weise erlebbar und auch die politische Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts wird auf einem Balkon um 1930 so gebrochen, dass sie sowohl intime als auch gesamtgesellschaftliche Einblicke gestattet.

Günther Anders · Gerhard Oberschlick (Hg.)
Die Kirschenschlacht
Dialoge mit Hannah Arendt
Essay: Christian Dries
C.H.Beck
2012 · 143 Seiten · 16,00 Euro
ISBN:
978-3-406632785

Fixpoetry 2012
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge