Fire walk with me…
Wenn man mit dem Rezensionsexemplar einer kurzen Einführung zu "Twin Peaks" im Gepäck auf eine Konferenz fährt und dort die Lobby des Hotels aussieht, als hätte David Lynch sie zu verantworten, dann …
… dann wird einem wieder bewusst, wie präsent die Bilder dieses Regisseurs sind, wie prägend Twin Peaks war, prägend genug eben für einen eigenen Band der "100 Seiten"-Reihe.
Laura Palmer ist tot. „I killed Laura Palmer. And Bart Simpson is next”, so hieß es damals, selbst jene, die die Serie nicht sahen, wussten Bescheid. Der „adrett-skurrile Ermittler”, den das FBI schickt, verliebt sich in die Gegend, in der er ermittelt, die ihm aber auch eine wilde Reise ins Dunkle zumutet, ähnlich, wie das Genre-mash-up Lynchs den Zuseher in etwas Apartes hineinzieht, das dann soap opera, aber eben auch Filmexperiment ist.
In diese Welt führt auch der vorliegende Band, der zudem die Wiederkehr Laura Palmers einläutet. 2017 soll ihre Prophezeiung besagtem Ermittler gegenüber, von ihm in einer „surrealen Traumsequenz” – aber was wäre das nicht in dieser Serie? – vernommen, ja wahr werden:
I will see you again in 25 years
Diese Welt ist „verzahnt”, alles in ihr, die Musik, nämlich die Moll-Akkorde Angelo Badalamentis, das Skript von u.a. Mark Frost, Lynchs Bilder, Handlungen, Andeutungen, schon dies, wie alles passt, ist verstörend, ehe sich zeigt, dass eben nichts hier passt, alles doppelbödig ist … aber wie dies wiederum passt, das macht dann den Sprung vom Irrsinn in die Filmkunst womöglich aus, das andauernder Verstörende…
Die Spuren wollen verfolgt werden, vor-aufklärerisch oder pragmatisch, wie es die dogmatische Aufklärung nicht sein konnte,
aus Hinweisen, Verhören, Indizien, den Holzklotz-Orakeln der sogenannten Log Lady oder aus seinen Träumen
schließt der Agent – wie auch der Zuseher. Es geht immer weiter:
Eine Art Hommage an den Cliffhanger
so Frost. Und dann? – Nichts. Die Serie ist zu düster, aber auch zu wenig sorgsam, womöglich, das Genialische aber in einen Film gerettet, vielleicht … dem fehlen dann zwar einige der Schauspieler, deren Rollen man marginalisierte, dafür gibt es unter anderem David Bowie. Und magischen Realismus und mehr Sex. Und der Agent als
Mönch und Polizist, Messias und Aufklärer
so Seeßlen, den Reinhardt trotz des wegen Knappheit gebotenen Minimalismus in Bezug auf Quellen doch zitiert. Das Verbrechen? – Nicht zu erreichen, wie schon in "Miami Vice", wo es nur noch um die Verwaltung von dessen Auswüchsen durch Polizisten ging, die
in ihrem Habitus schon gefährlich infiziert
von jenen seien, die sie verhaften sollen. Eines ins andere – schön, dass die Serie ohne Titel für die einzelnen Folgen auskam, sich dann RTL plus aber Perlen wie „Zen oder die Kunst, einen Mörder zu fassen” ausdachte und zuletzt das US-Fernsehen diese Titel bei Wiederholungen verwendete.
Und dann gibt es die Verwandtschaften und anderen Beziehungen – fast rhizomatisch mutet die die Graphik an, die darüber belehrt, wer mit wem verwandt oder verschwägert oder verheiratet oder befreundet oder sexuell zugetan ist, plus: wer mit wem durch Drogenhandel verbunden, und sie lässt ahnen, dass Twin Peaks nicht ganz einfach ist.
Seeßlen: ein „Verdauungsprozess”. Reinhardt: ein „Metadiskurs”. 100 Seiten … Danach ist man etwas ratlos; aber das passt hier. Eine schöne Erinnerung an eine Serie, die auf eigenwillige Weise wichtig gewesen sein könnte, ist dem Verfasser jedenfalls gelungen. Und: perfekt für die erwähnte Hotel-Lobby.
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