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Kritik

Ein sterblich Ding

Hans Georg Bullas neuer Gedichtband »Um Haus und Hof«
Hamburg

Der Dichter Hans Georg Bulla – aus Westfalen stammend, seit Urzeiten in der Wedemark bei Hannover beheimatet, Träger diverser Preise und gerade 65 Jahre alt geworden – hat einen neuen Lyrikband herausgebracht. Er heißt »Um Haus und Hof« und ist in der San Marco Handpresse in Neustadt am Rübenberge erschienen – das ist kein gewöhnlicher Verlag, sondern ein Kunstwerk an sich, Büchermacher Peter Marggraf ist zudem Maler, Zeichner, Bildhauer. Seine Bücher sind also auch Kunstwerke, aufwendig hergestellt, winzige Auflagen und – nein, nicht teuer, sondern preiswert, ihren Preis wert. Vor einiger Zeit hat Marggraf eine neue Reihe aufgelegt, »i libri bianchi«, da ist dann nicht mehr alles nur Handarbeit und somit auch für Normalsterbliche erschwinglich. In dieser Reihe sind Bullas neue Gedichte herausgekommen.

Hans Georg Bulla ist ein Meister darin, Kleinigkeiten zu beschreiben, hinter denen etwas Großes hervorlugt. In diesem Fall sind das eine vergangene Kindheit, eine Krankheit und der Tod. Aber seltsam: Es gibt gar keine Trauer in diesem Buch.

Alles, was er erzählt, erzählt Bulla auf leichte Weise: Klara damals hatte Spangen im Haar, die Kinderseele hatte Flecken. Es gibt eine Decke, über die der Mond gewandert ist, und dem Tumor im Schädel soll man keinen Ärger machen:

Mach dem Tumor in
deinem Schädel keinen
Ärger, er hat immer recht,
du mußt nicht widersprechen,
seht zusammen auf den
Rest Kaffee in der Tasse,
die auf dem Tisch stehenblieb. (…)

Nirgendwo Verzweiflung. Eher ein Annehmen, ein Akzeptieren – und ein Loslassen. Als ob jemand das Leben einfach, still und selbstverständlich weiterreicht. Wie in dem Gedicht »Visite«:

Ein sterblich Ding
sagt sie und drückt
mir einen Stein warm
in die Hand
ein sterblich Ding
will eine Seele haben
du mußt ihm
deinen Atem geben
du mußt hauchen
kannst du hauchen.

Bulla ist ein sehr formbewußter Lyriker, aber in diesem Buch, das so streng sein könnte, hat er alles Strikte gelassen: Die Gedichte sind mal block-, mal stelenhaft, mal in wenige, mal in viele Strophen geteilt. Es ist, als ob sie tanzen.

Schon diese Texte machen aus dem Band ein Kleinod. Dann blättern wir nach dem letzten Gedicht um und stoßen auf Kohlezeichnungen des San-Marco-Büchermachers Peter Marggraf. »Die Angst vor dem Weggehen« heißen diese Blätter, intensive, schemenhafte Bilder, die Kohle mit dem Finger aufs Papier gerieben, Körper in Schmerz und wie hinter einem Gaze-Vorhang. Aber: kenntlich. Und offen. Und wieder seltsam: Angst ist kaum zu sehen. Eher Entrückung. Und dahinter kann man sogar ab und zu ein Lächeln ahnen.

Was gäbe es Schöneres, als dem Tod entgegenzulächeln.

Hans Georg Bulla
UM HAUS UND HOF
DIE ANGST VOR DEM WEGGEHEN
mit Kohlezeichnungen von Peter Marggraf
San Marco Handpresse
68 Seiten · 25,00 Euro

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