wien oder was
alles was man sagen kann
kann man auch beiläufig sagen
elfriede gerstl
Mit diesem Zitat von Elfriede Gerstl als Motto beginnt der Gedichtband Wiener Zimmer von Herbert J. Wimmer. Ganz beiläufig möchte ich an dieser Stelle anmerken, dass es sich hierbei um einen großartigen Gedichtband handelt. Großartig gerade auch in all seiner Beiläufigkeit.
Das beiläufige Sprechen bezieht sich, indem das Motto dem Gedichtband vorangestellt wird, selbstverständlich auch auf das Schreiben. Denn „schreibend erst spreche ich“ heißt es in einem Gedicht:
[…] sprechend kann ich
kaum was sagen
schreibend erst
spreche ich
sage ich was […]
Wie man etwas beiläufig sagt, ist eine Sache, wie man etwas beiläufig schreibt, eine andere. Oder etwa nicht? Im Sprechen entsteht Beiläufigkeit durch den Tonfall, die Formulierung und den Zeitpunkt, wann etwas gesagt wird. Beiläufig sagt man etwas wie nebenbei. Tonfall, Formulierung und Zeitpunkt lassen sich aber auch gut umlegen auf das Schreiben. Mit „beiläufig“ ist hier jedoch nie gemeint, dass man etwas unwichtig nimmt. Es ist eine große Kunst, mit Leichtigkeit über schwere Themen zu sprechen. Beiläufigkeit also als das genaue Gegenteil von Leichtfertigkeit, nämlich ein sehr sachter, stiller und behutsamer Umgang mit Themen und Sprache. Selten liest man so feinfühlig treffend in und mit Worten ausgedrückte Trauer und Trauerarbeit, wie in einigen der Gedichte von Herbert J. Wimmer:
[…] den lieblingsfrischkäse
den ich für dich gekauft habe
gibt es noch im vorbeigehen
gibt er mir einen stich
wirft er mich zurück […]
Das Autorenfoto auf der Innenklappe zeigt nicht nur Herbert J. Wimmer, sondern ihn zusammen mit Elfriede Gerstl in einem Kaffeehaus. Bei dem Verlust, der in vielen Gedichten zur Sprache kommt und ausgedrückt wird, handelt es sich um den Verlust von Elfriede Gerstl. Einige Gedichte bringen gerade die Schwierigkeit des Weiterlebens mit dem Verlust zum Ausdruck:
offener haiku
wir waren einan-
der bedürftig ich bleibe
einander bedürf
Im Selbstgespräch mit sich selbst spricht Herbert J. Wimmer auch darüber, wie es ihm in den Jahren nach Elfriede Gerstls Tod einige Jahre nur möglich war, Gedichte zu schreiben und erklärt auch den größeren Zusammenhang in dem das Wiener Zimmer steht, ist es doch der dritte Band einer siebenteiligen Reihe:
„Das führt mich zum Grünen Anker, der ist 2013 erschienen. Das ist ein Gedichtband mit neunundneunzig Gedichten. Und es ist der zweite einer Serie, die nach Elfriedes Tod entstanden sind, also seit Mai 2009. Da hab ich einige Jahre, aber vor allem das erste Jahr danach, eigentlich nur Gedichte geschrieben und kaum Aufsätze und kaum Prosa. […] Ja, also da hab ich einige Jahre nur Gedichte geschrieben. Und das ist weitergegangen – ich dachte, es wird ein Gedichtband, und dann ist es immer mehr geworden, das ist jetzt ein Zyklus von sieben Bänden, die so im Abstand von zwei Jahren beim Klever-Verlag erschienen sind, bzw. erscheinen werden. Also jetzt mit Wiener Zimmer - 100 Gedichte - das ist der dritte Band.“
Aber die Gedichte, in denen Verlust und Trauer angesprochen werden, machen nur einen kleinen Teil des Gedichtbandes aus, sind beiläufig eingestreut zwischen humorvoll vergnügt Sprachspielerischem und –skeptischem. Über den Aufbau, die Zusammensetzung seiner Gedichtbände sagt Herbert J. Wimmer im Selbstgespräch mit sich selbst folgendes:
„Das Prinzip dieser Gedichtbände ist ihre Gemischtheit. Also die Gemischtheit der Formen. Es gibt fünf oder sechs Gedichtformen oder Gedichtarten, die immer wieder auftauchen. Aber ich hab die nicht auseinander sortiert, ich will die auch nicht auseinander dividieren und sozusagen sortenrein in einzelne Bände gießen, sondern eher so gemischt durchlaufen lassen.“
Eine Stärke der Gedichte von Herbert J. Wimmer ist es, dass es ihnen oft gelingt, in Sprache über Sprache nachzudenken. Man hat also mit Wiener Zimmer einen Band sehr emanzipierter und selbstreflektierender Gedichte vor sich. Im Klappentext heißt es dazu sehr schön: „Reflexionen sind nicht ausgeschlossen, mit poetischen Wendungen darf jederzeit gerechnet werden.“ Es finden sich im Wiener Zimmer eben nicht nur reflektierende Gedichte, sondern auch sprach- und wortverliebte Gedichte, welche ebenso ernsthaft wie spielerisch sind. Dabei wird sowohl das Wortmaterial als möglicher Spielpartner ernst genommen, als auch die Leser und Leserinnen. Es sind Gedichte, die sich nicht abwenden und unnahbar für sich alleine bleiben wollen, sondern Gedichte, welche die Murmel immer mal wieder den Lesenden zurollen lassen und mit großen Augen und einem aufmunternden Lächeln darauf warten, ob diese nicht vielleicht doch ins Spiel mit einsteigen wollen. Aber auch wenn man sich mit der Zuschauerposition begnügt und nicht schreibend antwortet, kann einem gelegentlich allein schon beim Beobachten und Lesen des schnellen Hin und Her des Sprachtischtennis der Kopf schwirren:
gerücht
was es sagt
sagt es nicht
wie es sagt
wenn es sagt
was es sagt
wie man sagt
wenn man nur sagt
was man sagt […]
In seinen Gedichten lässt Herbert J. Wimmer die Sprache selbst nicht nur zu Wort, sondern auch zum Zug kommen. Er probiert eine kleine Variante, oder neue Regel, kleine sprachliche Verschiebung aus, um dann sogleich einen Schritt zurück zu treten und die Sprache sich selbst zu überlassen. Aus der Beobachterposition verfolgt er dann aufmerksam neugierig, wie die Worte, einmal angestupst, sich selbst weiter spinnen und weitere mit sich ziehen. Immer gespannt darauf, wie groß die losgetretene Sprachlawine wohl diesmal werden wird und was dabei entstehen kann. Herbert J. Wimmer sucht nach Wortgenerierungsmechanismen um sie dann, einmal ins Rollen gebracht, frei davonziehen zu lassen. Besonders ausgeprägt geschieht das im letzten 16 Seiten umfassenden Gedicht „ottos poiesis / ottopoiesis“, welches voll „otthentizität“ ist und neben „ottibel“ und „ottobie“ noch zahlreiche weitere „ottigkeiten“, sowie eine „ottobahnzubringerstrasse“ enthält.
Durch die Zeilen der Gedichte strahlt Freude am Leben und Schreiben hindurch, eine Vergnügtheit, die sich aus einer Mischung aus scharfem Humor und einem selbstkritischen Messen und Hinterfragen der eigenen Position und Sichtweisen an und mittels Sprache zusammensetzt. Einerseits nutzt Herbert J. Wimmer Gedichte als Möglichkeit der Selbstreflexion und augenzwinkernden Selbstkritik, so lautet ein Gedichttitel beispielsweise „neuerliche selbstkritik“, und um vieles bis alles infrage stellen zu können. Skeptisch sein und bleiben, lautet die Devise, in jedem Fall:
escape, skeptisch
zweifellos
habe ich meine zweifel
zweifellos
Andererseits bieten die Gedichte aber auch in gewisser Hinsicht Halt, sind eine Form der Selbstversicherung, denn für Dichter können die eigenen Gedichte gleichsam zum Spiegel werden:
[…] im sehen des sehens im spiegel
bleibe ich mir unverschwunden
im spiegel davor
Herbert J. Wimmer ist ein Autor, der selbstbewusst selbstkritisch sich schreibend seinen Weg sucht und dabei stets offen für alles ihn Umgebende ist. Offen für Musik, andere Autoren und Autorinnen, für bildende Kunst, aber auch offen für das ihn umgebende weltpolitische Geschehen. Gelegentlich findet sich zwischen den anderen Gedichten ein politischer Kommentar in Gedichtform, beispielsweise über die Bankenkrise:
[…] wankkonto
wankomat
wankhaus
wankpapiere
wankenkrise […]
Dieses Gedicht endet dann mit den sehr starken und treffenden Zeilen:
wankwelt
weltwank
Aber auch geläufige Themen wie der Klimawandel, bzw. das übertriebene Sprechen darüber, werden in Gedichtform verhandelt:
[…] also reden wir übers wetter
reden wir endlich übers wetter
auf allen kanälen
in allen kanälen
das klima hat sich verändert
Ebenso wie viele der Gedichte sich selbst hinterfragen und nicht groß als Gedichte aufspielen, was sie nur umso mehr zu solchen macht, spricht auch Herbert J. Wimmer vergnügt lapidar mit sich selbst über sein eigenes Schreiben:
„Es sind so Sachen, Texte, die sich rein einem sprachlichen Vergnügen verdanken und die sich über den Sprachgebrauch so weiter hanteln, oder eben Gedichte, die irgendwelche Gedanken haben. Wo ich auch zu faul war, einen Aufsatz dazu zu schreiben, und es lieber in einem Gedicht in aller Kürze drinnen hab, dass es a) nicht verloren geht und b) ein eigener Text ist.“
Trotz aller Beiläufigkeit sollte man Herbert J. Wimmer und vor allem auch seine Gedichte jedoch keinesfalls unterschätzen. Sprachsicher und –verunsichernd sind sie zugleich fordernd und herausfordernd und bieten dabei auch noch sehr viel Anlass zu Freude, Vergnügen und Überraschung. Immer wieder stolpert man dabei über Haken und Widerhaken im Denken. Die Gedichte von Herbert J. Wimmer sind mitunter erfrischend sprachverwirrend und wirbeln einem die Worte im Kopf durcheinander, sind dabei aber immer vergnügt positiv und zuversichtlich beruhigend beunruhigend:
[…] wie ich auch falle
falle ich nicht aus der zeit
die nicht nicht ist
niemals jemals
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