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Kritik

Itzik Manger

In der Neuauflage von "Dunkelgold" werden Itzik Mangers Gedichte und Balladen ins rechte Licht gerückt
Hamburg

Um ein lyrisches Schwergewicht aus versunkener Erde hinaufzuführen, bedarf es einer Mittlerin, wie sie der Jüdische Verlag im Suhrkamp Verlag mit Efrat Gal-Ed, Malerin, Autorin und Jiddistik-Professorin, glücklicherweise hat.

Sie nämlich hat 2004 schon die erste Auflage der hier zu besprechenden Anthologie Dunkelgold besorgt, der in diesem Jahr neben der jetzt dritten Auflage von Dunkelgold ihre Monografie Niemandssprache zum Werk des vorgestellten Dichters vorausgegangen war mit der programmatischen Fortführung des Titels Itzik Manger – ein europäischer Dichter.

Itzik Manger, „der vergessene jiddische Troubadour“ (Brigitte Van Kann) wurde 1901 in Czernowitz geboren, der multiethnischen Hauptstadt der damaligen k.u.k. Provinz Bukowina. In einer Kindheit aus Armut und Hunger

„schlugen Humor, Gesang und Gebet, die Liebe zur Poesie und zur jiddischen Literatur eine Brücke zu einer anderen Freiheit.“ (Gal-Ed, hier wie im Folgenden, wenn nicht anders gekennzeichnet, in ihrem Nachwort)

Spätere wesentliche Lebensstationen waren Jassy, Bukarest, Warschau (1928-38: „die produktivsten Jahre in Mangers Schaffen“), Paris, London (1941-51), New York („die sterilste Zeit seines Lebens“). Itzik Manger starb 1969 in Gedera, Israel.

In seiner Dichtung hatte sich Manger für das Jiddische entschieden,

„eine bewusste Hinwendung zur Sprache des Volkes und zu der in ihr mitsprechenden Lebenswelt: dem osteuropäischen jüdischen Alltag, der religiösen Überlieferung, der Volkserzählung, dem Volkslied. Letzteres entsprach Manger nicht zuletzt in seiner Eigenschaft als selbstverständliches Ausdrucksmittel des sozialen Protests, wenngleich er kein linker Dichter war.“

Bei seiner ohnehin vorherrschenden „Liebe zur Weltliteratur“ sollte Mangers „lyrische Schlichtheit“ nicht über die Anknüpfung an internationale literarische Muster übersehen werden wie die „deutsche Balladentradition, die impressionistische und phantastische Lyrik … Der junge Manger bekundete seine Affinität zur deutschen Romantik und setzte sich für eine neo-romantische Ästhetik ein, die auf das jiddische Volkslied und auf biblische Stoffe zurückgreifen sollte.“ 

Dunkelgold, in seiner dritten Auflage also, überzeugt mit einer wunderbar klaren grafischen Anordnung.  Auf der jeweils linken Seite steht der jiddische Text des Gedichtes in hebräischer Umschrift, auf der gegenüberliegenden Seite die Übersetzung von Efrat Gal-Ed ins Deutsche, wobei vierzehn Gedichte, die sie für Niemandsland übersetzt hatte, die vorliegende Auswahl für Dunkelgold ergänzen. Darunter finden sich drei Gedichte aus dem Nachlass, bei zwei von ihnen handelt es sich um Erstveröffentlichungen.

Es folgen sehr willkommene Anmerkungen auf mehr als zwanzig Seiten, was auch für das schon erwähnte Nachwort mit acht Fotos gilt. Bei allgemein schmerzlich selten dargebotenem Jiddisch in lateinischen Buchstaben schließt die „Umschrift des Jiddischen“ der Manger-Gedichte, von Rahel Hoffmann besorgt, das Buch in beglückender Weise ab; eine Umschrift, von der Hoffmann anmerkt:

Entsprechend der jiddischen Vorlage richtet sich auch die Umschrift nach dem sogenannten Standardjiddisch.“

Gal-Ed ordnet den Abdruck der Gedichte nach der Chronologie ihrer Entstehung bzw. Veröffentlichung an (wobei den direkten Auftakt „Die Ballade meiner Kindheit“ bildet, eine Erstveröffentlichung aus dem Nachlass, entnommen Mangers 1927 in Jassy angelegter handschriftlicher Gedichtsammlung), nämlich

aus Mangers erstem Gedichtband Sterne auf dem Dach, Bukarest 1929;
aus Laterne im Wind, Warschau 1933;
aus Fünfbuch-Lieder, Warschau 1935 (Selbstverlag);
aus Esterrolle-Lieder, Warschau 1936 (Selbstverlag);
aus Dämmerung im Spiegel, Warschau 1937;
aus Welwl Sbarsher schreibt Briefe an Malkele die Schöne, Warschau-Wien 1937;
aus Wolken überm Dach, London 1942 (Selbstverlag);
aus Der Schneidergeselle Notte Manger singt, London 1948;
aus Gedichte und Balladen, New York 1952 (einzige lieferbare Ausgabe der ausgewählten Gedichte Mangers);
„Mani Leibs Sarg“, New York: Zukunft (1954);
aus Sterne im Staub, New York 1967;
„Ich komm aus den Öfen von Auschwitz“, Papierschnipsel Nachlass als Abschluss.

Die Anmerkungen der Herausgeberin und Übersetzerin sind verständig gesetzt: Einerseits bekommt nicht jedes Gedicht automatisch seine Anmerkung; da allerdings, wo ihr neben Bio-und Geografischem, Linguistischem, Kulturell-Religiösem Transparenz hinsichtlich der Textgenese angezeigt erscheint, erhalten wir eine detaillierte Erläuterung wie diese: „Zeile 12 tamdaradei. In allen Druckfassungen steht tamderedaj, in den Handschriften jedoch eindeutig tamdaradaj. Dieses Wort entlehnte Manger Walther von der Vogelweides Unter der linden und tauschte das ursprüngliche n in m um, da im Gesang jiddischer Weisen ohne Worte Silben, die auf m enden (bim, bom etc.), üblich sind.“

Eben diese „Ballade von dem Juden, der zum Markt fährt“ weist exemplarisch Mangers vorherrschenden Ton aus, einen insgesamt wehmütigen Ton, der zwischen Beschwingtheit, und Trauer changiert:

„ […] Doch lächelt der Mann, als ob er nichts hört, / und hinter ihm läuft wie ein Schnürchen die Erd. // Ein Bach … eine Brücke … ein Bäumchen … vorbei - / singt sich der Jude ‚tamdaradei‘.“

1943 widmet Manger sein Gedicht „Das Ende vom klarweißen Zicklein“ dem Andenken Szmul Zygielboims, einem führenden Mitglied des sozialdemokratischen jüdischen bund in Polen. Will jemand behaupten, es handle sich um naive Zeilen, sentimental?

„Statt eines Steins wird auf dem Grab / sich wiegen Jankeles leere Wiege. / Und der Welt wird die Wiege erscheinen / im Traum, nachtein, nachtaus, jahrein, jahraus, / solang sie nicht richtet und vernichtet / das deutsche Mörder- und Irrenhaus.“

Anrührend und bilderreich fallen Mangers poetische Anrufungen seiner Nächsten aus; seiner Schwester Schejndl:

„Meine Schwester: Meine Schwester, die Krankenschwester, geht / zur Nacht durch das Spital. / Sie fühlt den Puls und verbindet die Wunden / von allem meinem ‚war einmal‘“

sowie immer wieder, allerinnigst, seines Bruders Notte, dem er intime Kenntnis des eigenen Dichtertums zuschreibt:

„ […] Und eine Träne fiel / in dein Gemüt. / Und ist mit Wunde und Wunder / in deinem Lied erblüht.“ („Die Rede des Schneidergesellen Notte Manger an den Dichter“)

1967, in seinem Gedicht „Abendlicht“, bietet Manger seine vielleicht reifsten Verse dar, es sind Verse des Exils, welches per se Innehalten und Rückschau erzwingt; Verse, die aber größte Tiefe dadurch erlangen, dass der Verlustige trotz allem Dichter sein will, Trosts bedürftig:

„Stiller Abend. Dunkelgold. / Wind, weltaus, weltein. / Die Trauer, die gewesen wach, / schläft wie ein Küken ein - / soll doch ein Atem seines Schlafs / zu mir ins Lied hinein.“

Wann aber, wann aber wohl Manger seinen Vierzeiler „Ich komm aus den Öfen von Auschwitz“ zu Papier gebracht hat? Nicht einmal Gal-Ed weiß es bislang:

„ich kum fun die kojmenss fun ojschwiz / ich bin i jung i alt / ich bin gewesn miljonen / itz bin ich – ein-geschtalt“

Die Herausgeberin ist als Übersetzerin augenscheinlich ganz in ihrem Element: Kein Wunder, weiß sie doch, wem u.a. sie Elan und Geschick verdankt, wie sie abschließend verrät:

„Diese Arbeit widme ich meinem Vater, Meir Gal-Ed (Goldschtejn), dessen Muttersprache Jiddisch war.“

Dunkelgold aus dem Jüdischen Verlag im Suhrkamp Verlag ist ein kluges Lesebuch, in dem einer der größten jiddischen Dichter, Itzik Manger, verdiente Statur gewinnt. Ist eines jener wertvollen Bücher (dem Rezensenten lag die broschierte Ausgabe vor, die ohne CD erscheint), dessen Kaufpreis man ungläubig umrechnet: Ein einziges Essen? Dann aber liest man schon!

Itzik Manger
Dunkelgold - Gedichte
Übersetzung:
Efrat Gal-Ed
Revidierte und erweiterte Neuausgabe
Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag
2016 · 431 Seiten · 29,95 Euro
ISBN:
978-3-633-24106-4

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