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Kritik

Peter Handke is over

Aufsätze zum Verhältnis von Peter Handke zur Religion
Hamburg

In dem Aufsatzband »Verwandeln allein durch erzählen. Peter Handke im Spannungsfeld von Theologie und Literaturwissenschaft« versuchen die Herausgeber (Jan-Heiner Tück und Adreas Bieringer) dem geneigten Leser die Arbeiten des Schriftstellers Peter Handke als »eine Schule der Andacht und Aufmerksamkeit« nahezulegen. Sie sind davon überzeugt, dass das das Publikum durch das Gespräch von Theologie und Literaturwissenschaft erhellende Einsichten gewinnen könnte über seine Idole, denn die Herausgeber versichern uns: »Wie ein Trüffelschwein, das ein verfeinertes Geruchsorgan mitbringt und das Terrain nach kulinarische Delikatessen durchwühlt, haben Theologen einen wachen Riecher für schöne Stellen und interessante Passagen.« Aha. Literaturwissenschaftler seien hingegen »geschult, Texte in Kontexten zu lesen und angemessen zu interpretieren. «

Zunächst ist einem nicht klar, ob hier zwei geisteswissenschaftliche Disziplinen mal wieder versuchen möchten sich wechselseitig ihrer Kompetenzen zu versichern, oder ob es hier tatsächlich um einen der wichtigsten Nachkriegsautoren überhaupt gehen soll. Aber das Konzept der Aufsatzsammlung wird dann allmählich deutlich: Die devotesten unter den Handke Lesern möchten über das Eigentliche und Tiefste nachsinnen, was man bei einer zauberhaften Handke-Lektüre erfahren könnte, nämlich nichts weniger als eine tiefgreifende, alles Seelenleben umgreifende lautere »Wandlung« des postsäkularen, krisengestörten Selbst.

Ihr Konzept ist denkbar gut. Immerhin. Die Anlage des Buches in verschiedentliche Perspektiven auf das Phänomen Handke ist interessant: zunächst grundsätzliche theologische Annäherungen (Elmar Salmann OSB sowie Jan-Heiner Tück), literaturwissenschaftliche Zugänge (Helmuth Kiesel und Hans Höller), gefolgt von liturgischen Spuren (Andreas Bieringer und Alex Stock), Beziehungswelten (Mirja Kutzer und Klaus Kastberger), verschiedene Motive (Jakob Deibl, Anna Estermann und Harald Baloch), abgerundet durch einem Stimmen-Kapitel, das vermischte persönliche Stellungnahmen zu Peter Handke u.a. von Arnold Stadler versammelt. Leider erleidet allerdings dieses Konzept in der Ausführung eine totale Bruchlandung.

Wenn Elmar Salmann beispielsweise die Frage stellt, »Aber wie stehen nun Poesie und Religion als Übungsfelder uns Symbolisierungen zueinander?«, meint man plötzlich, dass es nie eine lange Tradition des Narrativen in der Theologie gegeben hätte (etwa Dietmar Mieth); noch dass die Literaturwissenschaften sich seit Jahren mit kultischen, rituellen, auch existentiellen Dimensionen des Schreibens beschäftigen hätten. Und klingt es nicht etwas blauäugig, wenn jemand seelenruhig da schriebt: »Alle diese symbolischen Formen brauchen, bereichern, korrigieren einander. Sonst versteifen sie sich auf sich selbst, verlieren ihre symbolisch-metaphorische Offenheit und Frische und ersticken das Leben, die Poesie und die Frömmigkeit des Lebens und Denkens. « Gewiss, das Schreiben vollzieht sich als Prozess und mag sich mit religiösen Exerzitien vergleichen lassen, aber diese platten und auf der Hand liegenden Analogien – geht das? Auch Jan-Heiner Tück behauptet in seinem Beitrag: »Aber analog zum Wandlungsgeschehen in der Liturgie kann ein Dichter die Sprache als eine formgebende Wirklichkeit betrachten, die dem Material des Erlebten und den mannigfachen Imaginationen der Einbildungskraft Gestalt gibt. « Woher diese Gewissheit? möchte man den Autoren aus der Ferne zurufen. Sicher, seit Jauß und rezeptionsästhetischen Ansätzen, wie sie durch die Iser-Schule salonfähig gemacht worden sind, wissen wir, dass durch und mit Leser etwas passiert, wenn er komplizenhaft und hingebungsvoll liest.

Doch die Beiträge dieser Aufsatzansammlung lassen den durchaus geneigten Leser unzufrieden zurück, weil sie wissende Behauptungen mit handelsüblichen Verallgemeinerungen abrunden – wie etwa: »Der Glaube lebt da, wo er erzählt und bezeugt werden kann. Eine Theologie, die gelehrt das Mysterium der eucharistischen Wandlung in Begriffen zu umschreiben sucht, aber nicht in der Lage ist, deutlich zu machen, was wirklich geschieht, wenn der Gekreuzigte und Auferstandene in den Zeichen von Brot und Wein nahekommt, droht zu einem verkopften Glasperlenspiel zu werden. In diesem Sinn ist sie bleibend rückverwiesen auf die Sprachfähigkeit und Erzählkunst der Gläubigen. «

Aber der Band hat auch einige Höhepunkte. Er ist dort am interessantesten, wo konkrete Detailstudien durchgeführt worden sind. Ein Beispiel hierfür ist der wunderbare Beitrag von Mirja Kutzer, die über Handkes Der kurze Brief zum langen Abschied eine Perspektive auf Sehnsucht, Liebe und Erfüllung gewinnt in einem lebensweltlichen Kontext, in dem menschliche Beziehungen äußerst fragil geworden sind: »Wo Religion in ihre traditionellen Formen dem heilsbedürftigen Individuum keine Erlösung zu vermitteln vermag, tritt die Liebe als eine Art ›Nachreligion‹ an deren Stelle und macht Heilsversprechen, an denen sie gleichwohl nur zu scheitern vermag.« In einer genauen Analyse dessen, was in Handkes-Text vor sich geht, (also nicht von dem, was er »erzählt«, sondern das, was die Erzählung referenziell ist), wird der Leser durch einen theologischen Kommentar geleitet, der es in sich hat: »Es ist das durch die Liebe angestoßene Erzählen, das in den Sammlungen von Geschichten das Begehren bewahrt, einen Raum zwischen dieser und der ANDEREN Welt figuriert und Wege eröffnet, die Leben und Entwicklung ermöglichen. In den Geschichten wird die Fiktion zur einzigen Form der Wahrheit. «

Ebenfalls stark ist die Linie der Realisierungen und Konkretisierungen von Leben, die Andreas Bieringer im Hinblick auf den liturgischen Gestus des Erzählens in Handkes Immer noch Sturm und Der Große Fall verfolgt: »Die im Text [Immer noch Sturm] immer wiederkehrende Regieanweisung ›allgemeines Innehalten‹ setzt zudem einen aus der Wortliturgie bekannten dialogischen Prozess von Versammeln – Verkündigen – Antworten in Gang, der die Lesenden als Zeugen in die Geschichte miteinbeziehen will. Durch das Innehalten wird eine Nachdenklichkeit erzeugt, die letztlich sowohl für die Protagonisten als auch für die Leser in einem kathartischen Prozess mündet. « Bieringer ist in seinem Beitrag auch nüchtern und kritisch; er weist zu Recht darauf hin, dass »liturgische Bilder und Motive durch die literarische Anwendung verbraucht« werden könnten.

Eine solche – vielleicht auch massivere – Haltung der Kritik bzw. des reflektiert-kritischen Abstands fehlt vielen Beiträgen in dem Sammelband. Peter Handke wird von den Autoren mit einer an Wagnerianer erinnernden Verehrung eine Hommage nach der anderen zu Füßen gelegt, sodass das Buch häufig den akademischen Rahmen, in dem es sich doch auch bewegt, sprengt und zu einem Fan-Zine zu werden droht.

Die holde Humorlosigkeit und ironiefreie Duktus der Aufsätze, die kaum komparatistisch arbeiten und kein Bild neben ihrem hl. Peter zu dulden scheinen, indem sie beispielsweise Peter Handke mit anderen Autoren vergleichen, ist ein weiteres Indiz dafür wie unfreiwillig komisch diese so ernste Angelegenheit häufig wirkt. »Die in den Texten [Handkes?] dargestellte / erzählte Wahrnehmung wird mehr und mehr in ihrer autobiographisch-authentischen Dimension ausgestellt, wodurch der Faktor des Unmittelbaren gewinnt. Einen vorläufigen Höhepunkt erreichen die damit einhergehende Emphase der Authentizität des Dargestellten und die Frage nach Möglichkeiten der Konservierung des temporären authentischen Erlebens in der Sprache […]« Ja, in der Tat klimaktisch. Man will die Autorin nicht erschrecken, aber die feine kleine Neuigkeit ist: Authentizität ist vorbei. Zwei Ausnahmen im Übrigen bestätigen diesen Eindruck: einen »literaturgeschichtlichen« Beitrag von Helmuth Kiesel, der Handke in den apokalyptischen Defätismus der 80er Jahre einordnet (Volker Braun und Hans Magnus Enzensberger), sowie Jakob Deibls tragisch-anmutiger Vergleich zwischen Peter Handke und Hölderlin.

Die Herausgeber sind, wie sie in der Einleitung versichern, sich schon bewusst, dass »Büchermachen eine eigene Kunst [ist]. « Allerdings muss man sich dann doch bei aller Sympathie für dieses Projekt fragen, wieso viele Beiträge sich thematisch doppeln und teilweise immer wieder die gleichen Handke-Texte besprochen werden, wo sein Werk doch so weitläufig ist. Ebenfalls scheint eine fulminante Lustlosigkeit diesen Band erst zu Stande gebracht zu haben. Er entstand in Folge eines Symposiums in Wien, gewissermaßen als nachträgliche Dokumentation: Ein schnöder Tagungsband getarnt als verheißungsvolles Buch, dessen Manufaktur doch eine »eigene Kunst« sei. Doch einige der Autoren machen sich nicht einmal die Mühe ihre Vorträge in Essays umzuarbeiten, sodass der (potenzielle) Käufer dieses »Buchs« sich mit wohl vom Blatt abgelesenen Vorträge zum Nachlesen anfreunden muss – allesamt wohl Texte, die erst, wie die Herausgeber im Vorwort lakonisch notieren, »teils auf sanften Druck« erst »pünktlich geliefert« worden sind. Man muss sich – bei aller Sympathie für ehrenwerte Menschen und Institutionen – doch dann schon fragen, ob es nicht zu bequem ist, auch für den Herder-Verlag, sich auf üppige Druckkostenzuschüssen auszuruhen und einfach ein »Buch« zu machen. Schade.

Eine kritische, auch mit Peter Handke ins Gericht gehende, sich an ihm reibende Sammlung von Aufsätzen aus dem Bereich der Theologie und der Literaturwissenschaft hätte bestimmt die Handke-Rezeption bereichert, was herausgekommen ist, muss man einfach als crashed and burned verbuchen.

Erstveröffentlicht: Eulenfisch, Limburger Magazin für Religion und Bildung

Jan-Heiner Tück (Hg.) · Andreas Bieringer (Hg.)
"Verwandeln allein durch Erzählen"
Peter Handke im Spannungsfeld von Theologie und Literaturwissenschaft
Herder
2014 · 248 Seiten · 19,99 Euro
ISBN:
978-3-451-32673-8

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