Es ist Wiederentdeckung und keiner geht hin
Ein Sammelband präsentiert anregende Kommentare zum Werk des Schriftstellers Patrick Roth. Patrick Roth ist 1953 in Freiburg im Breisgau geboren und hat 27 prägende Jahre seines Lebens in der Film-Metropole Los Angeles verbracht. Die Novellen seiner »Christus-Trilogie« (seit Anfang der 1990 er) erscheinen zu einer Zeit, da noch nicht allerorts devote Dichter und Geisteswissenschaftler die Widerkehr der Religion durch den Kanon lärmten; sein Roman »Sunrise. Das Buch Joseph« (2012) verschiebt den Akzent des klassischen Jesus-Romans und erweitert den biblischen Stoff.
Roths Erzählweise ist von einer Nähe zum Film sowie dem Duktus der Klassischen Moderne geprägt – »[…] eine Ästhetik«, schreibt Michael Braun in seinem Kommentar, »die den Riss deutlich macht, der die erkennbare von der unerkennbaren Welt trennt, und diesen Riss zugleich als ›transzendenten Überstieg‹, als spirituelle Bindung zeigt, als Religion im Wortsinn.« Sonnenaufgang – im Gegensatz zum Sonnenuntergang bei Bert Brecht – »ist die ästhetische Grundformel und die anthropologische Grundlage für Patrick Roths postbiblisches Erzählen«.
Kurzum: Patrick Roth scheint öfters den Rächen durch die Zen-Gärten Kaliforniens gezogen zu haben, denn sein Umgang mit biblischem Stoff ist so überaus unbeeindruckt von jenem spießig-verhuschten Symbolismus, dem man sonst bei vielen Literaten begegnet.
Kommentare ohne Tendenz der Vereinnahmung
Michaela Kopp-Marx (Universität Heidelberg) und Georg Langenhorst (Universität Augsburg) versammeln unter dem Titel »Die Wiederentdeckung der Bibel bei Patrick Roth« siebzehn vielfältige Beiträge sowie ein Interview mit Patrick Roth plus einer gut sortierten Bibliographie. Erfreulich dabei ist vor allem die thematische Spannbreite
Die Herausgeber notieren, dass sie an Patrick Roth exemplarisch, literarische Strategien und Funktionen mythopoetischer Rede in der Gestaltung von biblischem Material betrachten möchten; dabei reagieren sie auch auf die Ambivalenz des Gottesbildes in zeitgenössischer Literatur. Nirgends hat man aber das Gefühl, der Autor werde konfessionell oder ideologisch eingenommen.
Uwe Schütte von der Aston University, Birmingham/UK beispielsweise schreibt: »Was [Roths] Texte leisten, ist die vielleicht vornehmste Kunst: In der Öffnung der profanen Welt zum Transzendenten hin Trost zu spenden, Mut zuzusprechen und Kraft zu geben. Damit wir die erbärmliche Wahrheit aushalten können, dass all unsere elaborierten Denksysteme, Religionen und Geisteswissenschaften angesichts der entropischen Tendenz aller natürlichen Systeme nur notwehrhafte Konstruktionen und hilflose Versuche sind, die Kontingenz zu verleugnen, indem wir Mythologeme von Sinn, Ordnung und Dauer errichten, weil es mehr als ein Leben vor dem Tode nicht gibt.«
Karl-Josef Kuschel und Georg Langenhorst etwa präsentieren wesentliche Züge der Jesus-Romane im 20. Jahrhundert. Durchgängig findet man ergiebige Vergleiche zu Thomas Manns Josephsromane, zum Film (wenn hier auch ein wenig Retro) und der bildenden Kunst. Daniel Weidner zeigt, wie Roth Erzählverfahren der Bibel und Bibelübersetzung durch Buber/Rosenzweig in die Tat umsetzt; und Eckhart Reinmuth stellt denn Stoff des Josephs-Romans in den Kontext apokrypher Kindheitsevangelien vor, wie z.B. die koptische Erzählung »Geschichte von Joseph dem Zimmermann«, das wohl um 400 n. Chr. entstand. Interessant ist, dass Reinmuth bei aller textkritischer Sorgfalt doch sagen kann: »Die Gotteserfahrung der Protagonisten [in Roths ›Sunrise‹] wird weder in den Bereich des Psychischen ausgelagert noch auf andere Weise rationalisiert. Sie findet in der Profanität und Trivialität der Welt der Handelnden, ihres Lebens und ihrer Geschichte statt. Hier ist, gerade auch dann, wenn der Name Gottes nicht fällt, der Ort seiner Präsenz, die Erfahrungen seiner Gegenwart«. Andere Autoren kommen zu anderen Schlüssen; diese tolle Vielfalt an Lesarten charakterisiert aber das gesamte Projekt.
Braun hebt auch das spezifisch gelagerte interfigurale Beziehungsnetz in »Sunrise« hervor, das durch den Fokus auf die Josephs-Figur entsteht, und gelangt so u.a. zu einem Bild der Familie, welches eine Korrektur der einseitigen marianischen Monopolisierung des Stoffs darstellt.
Hie und Da ein Tick Rezeptionsmüdigkeit
Etwas ermüdend allerdings sind die gelegentliche Sentimentalität, die in den Texten klebt, sowie die verträumte Rezeptionsbehäbigkeit. Bei manchen Autoren nervt die Auto-Immunisierung gegen die »ausgemachte Peinlichkeit«, die religiöse Literatur alter Manier erweckt hätte, nur um erleichtert feststellen zu können, dass Patrick Roth nun ja gar nicht, also keineswegs, mit Luise Rinser und Elisabeth Langgässer zu verwechseln sei. Da möchte man den von »Peinlichkeit« tangierten Kommentatoren zurufen: Seien Sie doch nicht so verschämt. Locker bleiben. Ist doch in Wahrheit nur erfunden.
Unbeschadet solcher Defekte jedoch ist an dem Band hübsch, dass die Beiträge relativ voraussetzungsfrei gelesen werden können: literaturhistorische Daten, theoriespezifisches Jargon und Wissen wie auch die biblischen Referenztexte lassen die Autoren ausreichend in ihre Argumentation einfließen, um keinen Leser außen vor zu lassen. Überhaupt charakterisiert Klarheit weitgehend die aufgenommenen Essays, die bei aller Ausführlichkeit meist prägnant bleibt.
Abschließend möchte ich noch auf das Interview, das Rita Anna Tüpper mit dem Schriftsteller führte, hinweisen. Es lässt sich in mehrfacher Hinsicht als short cut zu seiner Poetik lesen. Tüpper stellt zunächst Fragen hinsichtlich Roths Verhältnis zum Filmemachen, dabei thematisiert jener in seiner Antwort die anders gelagerte individuelle Arbeit des Schriftstellers im Hinblick auf die kollektive Produktion eines Films, um dann festzustellen: »die ästhetische Dimension des Textes oder Films muss – meiner Meinung nach – zunächst einmal ›dienen‹, das heißt, sie muss die aufmerksamste Entsprechung zum Inhalt anstreben. Und dann, letztlich, muss diese ästhetische Dimension durchbrochen werden. Auf ein Anderes, uns Übersteigendes hin. Dieses Andere, dieses Erlebnis des Anderen, ist dann auch verpflichtend – ethisch verpflichtend. «
Erstveröffentlicht: Eulenfisch, Limburger Magazin für Religion und Bildung
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