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Kritik

Im Licht der Visionen

Jan Volker Röhnert lotet das Verhältnis von Film und Lyrik aus
Hamburg

Es sind Fragen der Entspannung, Fragen der Versenkung und der Dunkelheit. Es sind Fragen der Anspannung, Fragen der Bewegung und des Lichts, die zustellen sind, wenn es um das Verhältnis von Lyrik und Film geht. In der Edition Poeticon des Verlagshauses J. Frank widmet sich Jan Völker Röhnert dieser komplexen, aber doch naheliegenden, weil historisch folgerichtigen Beziehung von sprachlichem und bewegtem Bild. Röhnert ist ausgewiesener Experte auf dem Gebiet, hat unter anderem mit einer Arbeit über Lyrik im Zeitalter der Kinematographie promoviert und eine vielbeachtete Anthologie mit Film- und Kinogedichten mitherausgegeben.

Warum Röhnert so viel am Thema liegt, erfährt man gleich zu Beginn seines Essays. Schuld, wenn man so will, sind seine Großväter. Der eine lernte als Schiffsmaschinist im Zweiten Weltkrieg für damalige Verhältnisse weit entfernte Teile der Erde kennen, war in Tanger, Marrakesch und Singapur. Die Fotos, die er dort aufnahm, erinnerten den Enkel an Standfotos aus der Wochenschau. Dass der Großvater in britischer Kriegsgefangenschaft zeitweise als Filmvorführer arbeitete, passt auch ins Bild. Der andere Großvater widmete sich nach dem Krieg dem Hobbyfilmen und führte die anfälligen Zelluloidstreifen der Familie vor. Dabei scheint es vor allem die fragile Technik dem Enkel angetan zu haben. „Keine Vorführung, bei der der schmale Streifen nicht einmal an der glutheißen Projektorbirne schmolz und sogleich geduldig am Schneidetisch mit einer hauchdünnen Feile präpariert und speziellem Leim geklebt werden musste.“

Es klingt nach Sisyphos, nach Präzisionshandwerk und Fummelei. Es klingt nach der Ästhetik alter Mechaniken und Verfahren, nach Nostalgie und Fortschritt gleichermaßen. Zur Poesie ist es jetzt nicht mehr weit. Doch zuvor unternimmt Röhnert einen Ausflug in die Kinogeschichte, feiert den genialen Visionär George Méliès, zeigt, worin Imagination und Illusion begründet liegen, und erklärt, was diese uns über die Wirklichkeit verraten. Dabei scheut Röhnert das Pathos nicht, spricht ebenso von einer „höheren Wahrheit“ wie von der Verwandlung, die Zuschauer und Leser durch Filme und Gedichte erfahren. Doch Röhnert kann solche „Überhöhungen“ stets nachvollziehbar begründen, gerade weil er auf akademische Beweisführungen verzichtet und ganz den Filmfan sprechen lässt.

Und so überrascht es kaum, dass Röhnert zu Erkenntnissen kommt wie: „Gedichte sind Kino, wenn sie mit ihren Mitteln die Verwandlung und Vision, die ein echter Film in uns hinterlässt, zu erzeugen imstande sind.“ Was genau diese Mittel sind und wie sich mit ihnen Visionen erzeugen lassen, auch dazu stellt Röhnert lesenswerte Überlegungen an. Nur Mut.

Jan Volker Röhnert
Film
Flirts in den Central-Lichtspielen
Verlagshaus J. Frank
2014 · 48 Seiten · 7,90 Euro
ISBN:
978-3-940249-74-6

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