Auf dem Tisch
Logo der edition poeticon © Verlagshaus J. Frank
Wohltuend direkt bespricht Ann Cotten aktuell die Reihe poeticon auf lyrikkritik.de – nimmt uns mit als Lesebegleitung und setzt wichtige Verständnispunkte. Es hat eben doch alles auch etwas mit Verstehen zu tun.
Es überrascht mich, wie oft mich der launig und sprunghaft geschriebene Essay beeindruckt und an wie vielen Stellen ich in eigene Denkspiele wegfliege (was von mir aus ein Kompliment ist). Dagegen nerven mich die scheinbar immer noch weit verbreiteten dekonstruktivistischen Diskurshecken, wenn bspw. Swantje Lichtenstein den gewichtigen Satz fragt „Wie kann man den Versteher aushalten?“.
Gar nicht. Muß man auch gar nicht. Der Versteher, den Lichtenstein wohl meint, ist von vorvorgestern (und die Kritik an ihm ist das auch). Verstehen, wie es heute möglich und notwendig ist, ist längst über seine Vernichtung durch Dekonstruktion und Chaosaufdeckung hinweg und bemüht sich – tatsächlich macht es heute wesentlich mehr Mühe und braucht es wesentlich mehr Wagemut einen Satz zu behaupten, als ihn ins Nichtsinnige wegtropfen zu lassen oder mit ihm im Zweifel hinter der Hecke zu bleiben – seinen Stand und seine Belastbarkeit zu testen. Wer heute noch Verstehen mit dem Hinweis auf das Verstehen der Vorderen aus dem Spiel kicken will, macht es sich meines Erachtens einfacher als es das Geburtliche, das im Schreiben steckt, im Kontext der Zeit braucht: ein Verantwortliches, ein echt Dialogisches, einen Versuch das Sagbare zu erweitern. Was Ann Cotten tatsächlich leistet – sie sagt, was sie denkt und kennt oder denkt sich hinein in die Gegenden der Protagonisten.
Was ich von mir nicht sagen kann – habe z.B. von Swantje Lichtenstein zu wenig gelesen, um sie einschätzen zu können und ihre Subtexte und Klischees zu kennen.
Um ehrlich zu sein: Ich fühle mich insgesamt von der ganzen „Poetisiert euch!“-Kampagne eher abgestoßen als mitgenommen – was bei der Wortwahl schon anfängt: poetisieren = poetisch gestalten, mit Poesie durchdringen. Das klingt so nach: macht euch schön und macht euch die Welt schön! Irgendwie heilsversprechend. Yes we can! Das Schreiben und Lesen von Gedichten kann euer Leben retten. Trinkt Möwenurin! Wählt mitteleuropäisch! Poetisiert euch!
Ich hab den Essay noch nicht mehrmals gelesen, aber gleich abgespeichert und werde ihn immer wieder mal lesen, weil viel drin steckt und – aus meiner Sicht - „ein Verstehen“, das oft noch nicht richtig begriffen wurde.
Frank Milautzcki
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