Reisenotizen von den Inseln vor Istanbul
Im Marmarameer vor der asiatischen Küste nahe Istanbul liegen die Prinzeninseln – eine kleine, malerische Inselgruppe, die auf eine bewegte Geschichte zurückblickt. Im Sommer dienen sie der Istanbuler Oberschicht und Touristen als Ausflugsziel, im Herbst und Winter sind sie fast komplett verlassen. Der Dichter Joachim Sartorius begab sich Ende 2008 dorthin – um zu schreiben und die ganz besondere Atmosphäre der Eilande auf sich wirken zu lassen.
Mit der Fähre, dem Vapur, gelangt man von Besiktas am europäischen oder von Kadiköy am asiatischen Ufer Istanbuls aus in einer ca. dreistündigen Fahrt zu den vier größeren der Prinzeninseln. Sie sind ein Kontrast zum lauten und überfüllten Treiben der Multimillionenmetropole am Bosporus. Autos sind hier verboten, nur Pferdekutschen, die „faytons“, dienen Einheimischen wie Besuchern als Transportmittel. Die Hufe der Pferde sind mit dickem Gummi beschlagen, um den Schall zu dämpfen. Ruhig ist es hier auch auf Büyük Ada, der größten Insel, auf der man von jedem Standpunkt aus das Meer sehen kann.
Sartorius erfüllte sich mit dieser Reise einen lang gehegten Traum. Jahrzehnte zuvor hatte er als Diplomat in Istanbul gearbeitet. Nun kehrte er zurück zu seinen Freunden, aber vor allem um die Inseln zu erkunden. In einem der Teehäuser unter der Galatabrücke lernte er Selcuk kennen, der im Herbst und Winter eine der Villen der Stadtbewohner hütet. Gute Bezahlung, wenig zu tun, sagt er, und nimmt Sartorius an die Hand, um ihn in die Geheimnisse des Archipels einzuweihen.
Sartorius wiederum nimmt den Leser bei der Hand in seinem locker geschriebenen Buch, das großteils auf der Insel entstand – im Hotel Splendid, wo er in dieser Jahreszeit der einzige Gast ist. Er vermittelt nicht nur eindrucksvoll die Atmosphäre, sondern taucht auch tief in die Historie ein, besucht die alten Kirchen und Klöster, die heute nahezu verwaist sind, lässt sich von Selcuk in die Vergangenheit entführen, als auf den Inseln vor allem Griechen, Armenier und Juden lebten – und Künstler wie der große türkische Schriftsteller Sait Faik, dessen Wohnhaus heute ein Museum ist. Hier schrieb Faik seinen Inselroman „Ein Lastkahn namens Leben“, und Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk (mit dem Sartorius befreundet ist) verfasste wesentliche Teile von „Das schwarze Buch“ im Inseldomizil seiner Eltern. Durch Selcuk liest Sartorius erstmals die Gedichte von Oktay Rifat und Orhan Veli Kanik und versetzt sich in ihre Zeit.
„Die Prinzeninseln“ ist Reiseführer, Geschichtsbuch und kleine Literaturgeschichte in einem, ein schlankes Buch, das jedem zu empfehlen ist, der die Inseln kennt – und das alle anderen zu einem Ausflug dorthin ermuntert.
Fixpoetry 2012
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben