Der Text als Abglanz des Autors
Was dem Ich-Erzähler in Joachim Zelters satirischer Literaturnovelle „Einen Blick werfen“ wiederfährt, ist der Alptraum jedes Schriftstellers: Er bekommt eine E-Mail, in der kaum mehr steht als der naiv-prahlerische Satz: „Selim Hacopian hat ein Buch geschrieben.“ Angehängt ist ein Lebenslauf, der sich liest wie ein Abenteuerroman: Selim, geboren in Ägypten, habe nach diversen Stationen in Usbekistan und Pakistan bereits als Kamelreitlehrer, Pyramidenführer, Tauchlehrer, Napoleondarsteller und Koch auf einem Flussschiff gearbeitet.
Dass diese Aneinanderreihung exotischer Wohnorte und ausgefallener Tätigkeiten dem etablierten Autor letztendlich zum Verhängnis werden wird, ahnt er an dieser Stelle noch nicht.
Noch ist Selim ein Nichts, ein mittelloser Einwanderer, der deutschen Sprache kaum mächtig, der in der ortsansässigen Stadtbücherei Regale abstaubt und Bücher umräumt. Noch ist der Ich-Erzähler derjenige, zu dem Selim aufblickt, an dessen Rockzipfel er sich mit „kindlicher Ergebenheit“ hängt, auf dass der große Dichter ihm helfen möge, seinen unbedingten Willen zur Schriftstellerei in die Tat umzusetzen.
Irgendwann lässt sich der Ich-Erzähler dazu herab, „einen Blick zu werfen“. Zunächst auf Selims Lebenslauf, der selbstredend noch weiter aufgebläht werden muss, dann auf ein Theaterstück, und schließlich auf den groß angekündigten, tatsächlich jedoch erst im Entstehen begriffenen Roman. Mürbe geklopft, setzt der Autor den Rotstift an. Und das, obwohl es ihn schaudert angesichts der orthografischen und grammatikalischen Massenkarambolagen, die sich auf dem Papier vor ihm zutragen. Warum er das tut, wird nicht ganz ersichtlich – schließlich warten zu Hause die eigenen Romane, die sich auch nicht von selbst verfassen. Unbewusste Prokrastination? Über die tieferliegende Motivation seines literarischen Alter Ego schweigt Zelter sich aus.
Außerordentlich wortreich wird dagegen beschrieben, wie Selim schließlich sieben „Kamelgeschichten“ – vom Ich-Erzähler massiv überarbeiteten, wenn nicht gar neu geschrieben – in einem renommierten Verlag unterbringt. Es folgt eine rasante Erfolgsgeschichte: Während den Ich-Erzähler aus dem eigenen (kleinen) Verlagshaus Trauermeldungen über sinkende Verkaufszahlen erreichen, erhält Selim plötzlich gewaltige Vorschüsse. Immer neue Auflagen gehen in Druck. Eine Hörbuchfassung ist bereits eingesprochen; es folgen Übersetzungsanfragen, Taschenbuchanfragen, eine Brettspielversion, ein 3-D-Book. Zelter dekliniert die Marktmaschinerie des Literaturbetriebs bis ins kleinste Detail durch, bis hin zur Pyramiden-Deko in den Buchhandelsauslagen, den Plüschkamelen als Beigabe zur Sonderedition.
Auch mit den zugkräftigen Schlagworten, die in den Feuilletons dieser Tage grassieren, kennt Zelter sich aus. Selim sei ein „literarischer Grenzgänger zwischen den Welten“, aus seinen Geschichten sprühe die „Fabulierlust orientalischer Caféhauserzähler“. Und überhaupt das Wichtigste – seine Texte seien „welthaltig“. Treffsicher entlarvt Zelter all diese Attribute als bloße Schaumschlägerei, die mit der literarischen Qualität des gehypten Textes nichts mehr zu tun haben.
„Ein Autor lebt heute nicht mehr von seiner Sprache oder von einer Leidenschaft oder einer Idee, sondern von einem Lebenslauf“, lässt er seinen Ich-Erzähler lamentieren. Etwas anders formuliert, wiederholt er diese These noch mehrfach in seinem Nachwort zum „Tod des literarischen Textes“. Und genau in dieser obsessiv wiederholten Ausformulierung liegt ein Problem des Buches. Mehr und mehr schleicht sich das Gefühl ein, dass hier ein enttäuschter Schriftsteller gekommen ist, um sich zu beschweren. Und zwar mit dem unausgesprochenen Ziel, endlich selbst den als verdient erachteten Platz im geschmähten Betrieb einzunehmen. Immer wieder schlägt der Zelter-typische zurückhaltende Humor um in Verbitterung und Zorn, bis schließlich ein selbstmitleidig-selbstgerechter Ton die Oberhand gewinnt, der dem Text jeden Raum zum Atmen nimmt.
Dass die Figur des Autors, insbesondere dessen Vermarktbarkeit, heute eine größere Rolle spielt denn je, ist unbestreitbar. Auch dass nicht selten mittelmäßige Texte zu Bestellern gepusht werden, neben denen literarisch herausragende Werke weniger medientauglicher Autoren einfach untergehen.
Aber warum hat Zelter gerade das Beispiel migrantischer Literatur gewählt, um die Wirkungsweise des Literaturbetriebs zu parodieren?
Der permanenten Betonung von Selims schleimiger Unterwürfigkeit, der Karikierung seines Akzents („Herr Schriftsteller!“) haftet eine unterschwellig fremdenfeindliche Paranoia an, die – böswillig interpretiert – auch so verstanden werden könnte: Da schnappen also irgendwelche ausländischen Möchtegern-Schreiberlinge uns gestandenen deutschen Autoren die Stipendien, Preise und Verlagsverträge vor der Nase weg. Dabei, und das vergisst Zelter zu erwähnen, ist „Exotismus“ auch nur ein Hype, der vermutlich ähnlich kurzlebig sein wird wie das „Fräuleinwunder“ der 90er.
Realistisch betrachtet hätte ein vom Deutschen Literaturinstitut hochgepäppelter Jungstar, der sich entsprechend medientauglich zu vermarkten weiß, ein weitaus plausibleres Feindbild abgegeben als ein unansehnlicher, knapp vierzigjähriger Einwanderer aus Ägypten, der nicht einmal die deutsche Grammatik beherrscht.
So endet, was eine treffende Satire auf den Literaturbetrieb hätte sein können, als verbitterte, latent xenophobe Abrechnung mit einem naiven Emporkömmling. Und das nimmt der Novelle leider nicht nur ihre ironische Leichtigkeit, sondern letztendlich auch ihre Schlagkraft.
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