Anzeige
Komm! Ins Offene haus für poesie
x
Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Husten – in der vierten Dimension

Hamburg

Oh ja, Morgenstern! Der Werwolf, der Schnupfen auf der Terrasse, die Mitternachtsmaus, das Huhn auf dem Bahnhof: Wo, wo, ist der Herr Stationsvorsteher! Sofort bekommt man gute Laune,  hört man diese Sprachphantasie. Folgt diesem Blick auf die Welt, auf das Mondschaf und auf den Gipfel der Unaussprechlichkeit, dem Morgenstern zu unsterblichem Glanz verhalf: Kroklokwafzi? – dem Beginn des großen Lalula oder auf Fischers Nachtgesang, dem nur noch aus Zeichen bestehenden Gedicht. Jedem fällt etwas ein, wenn er den Namen Christian Morgenstern hört. Aber wenige wissen, dass der Mensch Morgenstern eigentlich unausstehlich und überhaupt nicht komisch war. Walter Kempowski, der Morgensterns Galgenlieder sehr liebte, schrieb in „Somnia“: „Außerhalb seiner grotesken Gedichtproduktion scheint er ziemlich humorlos gewesen zu sein.“

Der Roman- und Hörspielautor Jochen Schimmang hat sich gründlich mit Christian Morgensterns Leben befasst. Und dass er das Ergebnis seiner Recherchen im Untertitel als „eine Biografie“ veröffentlicht, hebt sich wohltuend von den heute sonst üblichen Superlativen DIE Biografie oder noch schlimmer Original-Biografie ab. Es ist eine Biografie. Die Annäherung des Schriftstellers Schimmang an den mürrischen Kollegen, der nicht lange lebte. 1871 geboren, 1914 gestorben. Damit in einer Zeit, wie Schimmang bemerkt, die Deutschlands längste Friedensperiode war. Geboren im Jahr des  gewonnenen Deutsch-Französischen Krieges, der Zeit berstenden deutschen Nationalbewusstseins, verstorben, wie viele seiner Generation an der „Zauberbergkrankheit“ Tuberkulose, die ihn sein kurzes Leben lang begleitete, kurz vor Ausbruch den Ersten Weltkrieges, dessen Ende Deutschland eine schwere Depression bescherte. Eine bemerkenswerte, brisante Zeit, die der Autor um die Person Morgenstern historisch gut einzuordnen weiß.

Intensiv würdigt der Biograf die Übersetzungen Morgensterns, der an der deutschen Gesamtausgabe Ibsens anlässlich des 70. Geburtstages des norwegischen Dichters drei Jahre arbeitete. Als er den Vertrag unterschrieb, konnte Morgenstern noch kein Norwegisch. Doch er war sprachbegabt, bereiste mehrmals Norwegen, traf dort auch Ibsen.

Auch Morgensterns seltsames Hingezogensein zu Rudolf Steiner (Kempowski:  „Sein Hang zur Anthroposophie, unerträglich“) untersucht der Biograf ebenfalls ausführlich und findet eine Erklärung dafür, dass Morgensterns spätere Frau eine glühende Steiner-Anhängerin war. Gemeinsam reisten sie Steiner auf dessen Vortragsreisen hinterher.

Mehrere Kapitel sind dem „Haupt- und Herzstück“ Morgensterns, den Galgenliedern, Gingganz, Palmström gewidmet. Das große Lalula wird nach möglichen Vorgängern untersucht,  Ernst Kretschmar ausführlich zitiert, der 1983 in „Die Welt der Galgenlieder Christian Morgensterns und der viktorianische Nonsense“ auf Paul Scheerbarts „Kikakoku“ als Anregung verweist. Morgenstern selbst gibt als Herkunft ein Schachspiel an. Schließlich wird in dieser aufschlussreichen Untersuchung noch auf Kurt Schwitters mit dessen „Ursonate“ als „würdigen Nachfolger“ verwiesen.

Ganz und gar nicht gelingt Schimmang dem Leser dessen Hauptfrage zu beantworten, warum der grimmige und schlecht gelaunte Morgenstern so komische Gedichte geschrieben hat. Zwar zitiert er Morgensterns wahrhaft anfechtbares Statement: „Einfachheit und Klarheit sind und bleiben Hauptmomente jeglicher Kunst, und alle Stimmung flieht wie ein aufgescheuchtes Kind, wenn man gezwungen ist, ein Poem fünfmal durchzulesen, bis man es ungefähr versteht.“  Und Schimmang bemerkt wohl, dass zwischen der Kritikfähigkeit, ohne die es keine Galgenlieder gegeben hätte, und Morgensterns „Jüngertum“ z.B. als Anhänger Rudolf Steiners ein Widerspruch zu sein scheint, aber er lässt uns damit allein.

Morgenstern war krank. Er zog ständig um, was seiner Gesundheit zusätzlich nicht zuträglich war. Zum Schluss ging er von einem Sanatorium ins andere. Er starb 42jährig in Gegenwart seiner Frau,  der Steinerfanatikerin. Seine letzten Worte: „Mein Husten ist vierdimensional“. Ein echter Morgenstern. Was Schimmang ebenfalls nicht verschweigt, ein Großteil der Morgensternschen Dichtung ist furchtbar, so u.a. sein Lobgesang auf Dr. Rudolf Steiner. Warum aber hatte Morgenstern diese komische Ader? Wir bekommen keine Antwort darauf.

Schimmang verliert sich. Verliert sich in Exkursen, die kleingedruckt ins Buch gestreut sind. Fast enzyklopädisch wirft uns der Biograf Brocken vor, die er selbst nicht in den Erzählfluss einzuarbeiten vermochte. Wir Leser sollen ihm die Gedankenarbeit abnehmen. Wozu muss es einen Exkurs über Morgensterns angebliche Asexualtität geben? Insgesamt gibt es elf solcher unverdauten Exkurs-Brocken, außerdem 417 Anmerkungen, dafür aber keine Zeittafel.

Darüber hinaus bringt sich der Autor ständig in Erinnerung mit den Hinweisen, „wie oben gesagt“, „dazu mehr unten“ und ganz schlimm, unendlichen sic! In eckigen Klammern, innerhalb von Zitaten, als müsse man den Leser mit der sic!-Nase darauf stoßen, was hier ein echter Morgenstern sei.

Andererseits muss der interessierte Leser auch immer mal googlen, damit er z.B. weiß, was Volapük ist, nämlich eine in den 1870er Jahren gegründete Weltsprache, die den jungen Morgenstern fasziniert hat und die, das sagt der Biograf nicht, aber es ist unübersehbar, ein wenig an das große Lalula erinnert.

Schimmangs Biografie über Morgenstern ist unstrukturiert oder besser schief strukturiert. Dass Fragen beim Recherchieren auftauchen, auf die man keine Antwort findet, gehört zu den Untiefen der Beschäftigung mit einem anderen Leben aus Briefen, Selbst- und Fremdzeugnissen. Aber dass der Autor uns Sachverhalte anbietet, die er kennt, um sie mit einem  „die Geschichte ist zu verwickelt und zu skurril, um sie hier im Einzelnen wiederzugeben“ uns vorenthält und noch (ätschebätsche) bekräftigt, dass die Geschichte eigentlich wert wäre, erzählt zu werden, weil „sie für das Verhältnis zwischen Carl Ernst Morgenstern und seinen Sohn symptomatisch ist.“  Na, das würden wir doch gern wissen. Vor allem skurrile Geschichten lieben wir. So kann man mit seinen Lesern nicht umgehen. Jochen Schimmang hat am Literaturinstitut Leipzig unterrichtet, man fragt sich, was. Seinen Lesern ein Ichweißwas wasdunichtweißt! zu ätschebätschen?

Obwohl einzelne Fakten und Zusammenhänge sehr interessant sind, liest sich das Buch nicht gut. Zu stockend, zu viele Abschweifungen, die „Exkurse“ halten auf – schon diese kleine Schrift! Und unverzeihlich, wie gesagt, wenn der Autor etwas zu wissen vorgibt, aber  damit nicht „rausrückt“. Das ist, um in Morgensterns letztem überliefertem Bild zu bleiben, eine Dimension zuviel.

Jochen Schimmang
Christian Morgenstern
Eine Biografie
Residenz
2013 · 280 Seiten · 24,90 Euro
ISBN:
9783701732630

Fixpoetry 2013
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge