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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Kritik

Am Rand

Hamburg

Jonathan Franzen hat den Ruf, einer der wichtigsten Autoren des beginnenden 21. Jahrhunderts zu sein. Jetzt ist ein Band mit Reportagen und anderen Texten erschienen. Dabei sind literarische Schmuckstücke und einiger Kleinkram

Wenn am Beginn eines Bands mit Essays und Reportagen irgendeines Autors eine Abschlussrede an Collegestudenten stünde, wäre das normalerweise ein Malus. Wenn sich dann bei der Lektüre herausstellte, dass es sich bei dieser Rede vor allem um die Aufforderung dreht, sich doch bitteschön nicht nur den digitalen Welten, sondern auch dem richtigen Leben auszusetzen, wäre das Buch – gleichfalls normalerweise – endgültig tot.

Nun handelt es sich aber bei dem Autor, der solche Texte geschrieben hat, um Jonathan Franzen, dessen Karl Krauss-Projekt gerade groß durch die Gazetten und andere Medien geht. Krauss für Amerikaner zu übersetzen, ist eigentlich der Job für Germanisten (und es gibt sogar einen amerikanischen Literaturwissenschaftler, der Franzen unterstützt hat), und niemanden interessierts (wie das auch im deutschsprachigen Raum niemanden interessieren würde). Sobald aber Franzen sich daran macht (oder Daniel Kehlmann, der mit von der Partie ist), geht die Post ab. Will mans beklagen? Das eine wie das andere?

Eigentlich schon, und dennoch: Ein großer Name schützt vor guten Texten nicht. Und wie in vielen Fällen verpasst man etwas, wenn man nicht weiterliest, was eh die Drohung jeder Lektüreunterbrechung ist.

Und in diesem Fall ist es auch so. Keine Frage, eine Reihe von Texten, die in Jonathan Franzens Band „Weiter weg“ versammelt sind, kann man sich sparen. Buchbesprechungen, kleine Betrachtungen, Nebentexte, die in eine Gesamtausgabe gehören, aber nicht in einen solchen Band, stehen neben großen Reportagen. Dazwischen gestreut ist ein amüsanter Text über New York („Interview mit New York (State)), der gleichwohl zum Rest nicht passen will. Und obwohl die Lobrede auf Sjöwall/Wahlöö anrührend ist, ist sie nur ein weiterer Beleg dafür, dass hier anscheinend zusammengeworden wurde, was eben nur zur Verfügung stand. Einen Band mit Buchbesprechungen und Essays zur Literatur war wohl nicht gewollt.

Die Peinlichkeit der Einstandsrede hätte auch anderen auffallen können, denn wieso tritt ein Repräsentant der alten fiktionalen Medien auf um die neuen zu maßregeln? Wenns denn keine Rede pro domo ist. Und altbackener geht’s irgendwie nicht, scheints.

Altenburgs Attacke auf die bundesdeutsche Romankunst der späten 1990er Jahre im Namen von „Mama Wirklichkeit“, an deren Busen man aufgefordert war sich zu werfen, hatte da noch den Überraschungsmoment für so viel Vollmundigkeit für sich.

Nun, die Haupttexte des Bandes sind von beinahe typischer amerikanischer Qualität. Natürlich muss man keine Reportage über die Singvogeljagd in Südeuropa lesen. Aber das, was Franzen hier abliefert, ist derart gut zu lesen, dass man den Text ungern verpasst hätte. Wenig zu eifern hat ihm gut getan. Das Verfahren ist dabei denkbar einfach: Franzen hat ein Thema, er geht los, er reist und berichtet, was ihm begegnet. Einfach nur zu schildern, wie die passionierten Jäger mit den Singvögeln umgehen, reicht.

Das ist kunstfertiger und kontrollierter gebaut, als sich solch eine neo-sachliche Auflistung anhört, denn Franzen arbeitet, wie in den amerikanischen Reportagen häufig, mit Brüchen und unvermittelten Themenwechseln. Das hilft den Texten über die gefährlichen Strecken, die entstehen, wenn ein Thema allzu systematisch abgehandelt wird. Langeweile? Keineswegs und niemals.

Hinzu kommt eine Beobachtung, die Franzen beinahe beiläufig einfügt, nämlich die, dass die hemmungskose Jagd eben kein Traditionsphänomen ist, sondern ein Resultat der Moderne und mit der Entlassung der Subjekte aus den ständischen und familiären Bindungen einerseits und dem gehobenen Wohlstand andererseits zusammenhängt. Es geht nicht mehr darum, den kärglichen Speisezettel der ländlichen Bevölkerung zu  bereichern, sondern um die Jagd selbst und darum, dass jede Einschränkung dieser als Tradition verkauften grenzenlosen Freiheit als Skandalon verstanden wird, als Beschneidung der persönlichen Entfaltung, ja als Entfremdung von dem, was hier als ursprünglich ausgegeben wird. Die Jagd wird zum Selbstzweck, zum Residuum einer ungehinderten Entfaltung, die sich jedoch zugleich ihrer eigenen Grundlage beraubt. Denn am Ende ist der Himmel über Südeuropa leer. So leer, dass die alten Jäger, die noch die Notwendigkeit der Jagd kennengelernt haben, anfangen sich aufs Beobachten zu beschränken, weil sie noch wissen, was ihnen der Himmel früher geboten hat.

Oder die Reise auf eine kleine Insel im Pazifik, die ungemein eng mit Franzens Rückblick auf den Freund David Foster Wallace verschränkt ist, dessen Selbstmord er eindrücklich beklagt, und die zugleich eine Relektüre von Defoes „Robinson Crusoe“ motiviert.

Der Essay, der auch Reportage sein will, ist ein merkwürdige Text, und dabei unmittelbar beeindruckend: Die Fahrt auf diese kleine Insel, auf der es eine seltene Vogelart zu beobachten gilt, ist dabei eigentlich ein völliger Fehlschlag. Der Schreiber fährt hin (und das ist schon kompliziert genug), versucht an jene Stelle zu kommen, von der aus die Vogelart beobachten kann, er verläuft sich aber, das schlechte Wetter tut sein Übriges, und er kehrt unverrichteter Ding wieder zurück. Wenn je der Satz stimmte, dass der Weg das Ziel ist, hier ist es der Fall.

Die Defoe-Lektüre und die Erinnerung an den kurz vorher gestorbenen Wallace weisen dieser Reise aber eine völlig andere Bedeutung zu als die der misslungenen Reise. Die Geschichte des auf sich selbst gestellten Mannes korrespondiert nicht einmal geheim mit der des Depressionskranken Wallace, dem schließlich der Selbstmord gelingt.

Sie verweist darauf, dass am Ende jeder auf sich gestellt ist – ein später Reflex auf Johne Donnes „No one is an island“. Und doch, jeder ist eine Insel. Nie war das intensiver beschrieben als hier bei Franzen.

Auch der Essay zum Autobiografischen in der Literatur ist höchst lesenswert (auch wenn er nicht zu Reportage gehört): Ja, es ist eine Unverschämtheit der Leser und des Feuilletons nach dem autobiografischen Gehalt von Texten zu fragen, und dennoch, dass jene Instanz, die wir sehr antiquiert Autor zu nennen pflegen, am Ende mit ihrer gesamten Person für den Text einsteht, bleibt davon unbenommen.

Das hat allerdings nichts mit dem autobiografischen Schlüsselroman zu tun, der gern dahinter vermutet wird, sondern lediglich damit, dass dieser besondere Text nur unter spezifischen Bedingungen entstehen konnte, zu denen jeweils auch der Autor gehört. Und da dieser immer ein anderer sein muss (bei aller Konstanz), entspricht der Text eben auch der jeweiligen Konstitution der oder des Schreibenden, zu dem Zeitpunkt, zu dem er oder sie diesen Text schrieb. Dieses Verhältnis ist komplizierter als jeder Schlüsselroman ausdrücken kann.

 

Jonathan Franzen
Weiter weg
Übersetzung:
Bettina Abarbanell, Wieland Freund und Dirk van Gunsteren
Rowohlt
2013 · 368 Seiten · 19,95 Euro
ISBN:
978-3-498-02132-0

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