Lakonische Dialoge aus der Verlustzone
Die Kenntnis davon, dass Jonis Hartmann eigentlich promovierter Architekt ist, eröffnet zunächst einmal keinen unmittelbaren Verständnisansatz für seine Gedichte. Eher schon der Hinweis des Klappentextes, dass er unter anderem auch als Versuchskaninchen, Möbelpacker, Richtschütze und Statist gearbeitet hat. Da muss man zum Schreiben erst einmal noch Zeit finden. Aber die unterschiedlichen Erfahrungen helfen die Perspektiven, die man auf den detaillierten Bauplänen am Reißbrett oder in Form von virtuellen 3-D-Animationen entwickelt hat, erlebbar zu machen. Vielleicht wollte der Autor irgendwann keine Gebäude mehr entwerfen, sondern Personen, Kommunikationsmuster oder ganze Welten? Dies tut er mit wachsendem Erfolg schreibend nun seit einigen Jahren, wovon nicht zuletzt diverse Preise und Stipendien Zeugnis ablegen. Nach einem Kurzroman, Stories und Miniaturen folgt jedenfalls nunmehr sein Lyrikdebut im niederrheinischen Elif Verlag.
Als habe er seine Gedichte direkt der Gosse abgelauscht, so kommen Jonis Hartmanns Verse daher. Hier spricht kein Solo-Ich, schon gar kein lyrisches. Fast alle dieser schnoddrigen Einlassungen haben dialogischen Charakter. Deren Subjekte sind offenbar unter jenen zu suchen, die Hanns Dieter Hüsch einst in einem seiner Chansons als “die Verrückten, die seitlich Abgeknickten” bezeichnet hat. Aus kindlichen Streunern, Clochards, Tagedieben und gallig-drastischen Wortschöpfern mit handfesten Träumen rekrutiert sich das Personal von Hartmann, aus chronisch suizidgefährdeten Säufern, Drogenstrichprostituierten beiderlei Geschlechts, aus einer einzigen Freakshow am untersten Rand der Gesellschaft.
Aha, Politlyrik, höre ich Sie jetzt verständnisinnig murmeln. Ja und nein. Natürlich konnotiert man bei einem solchermaßen angelegten Pool an Protagonisten beinahe schon automatisch so etwas wie Gesellschaftskritik, aber sie bleibt in Hartmanns Gedichten implizit und verstellt nie den Blick auf die individuellen Sprechweisen seiner Personen. Die ringen stets um Gehör und kreisen dabei immer um sich selbst:
“Ich muss was erzählen / Lauf nicht weg // Na gut / Bleib ich halt hier”
beginnt einer der Dialoge, wobei der Angesprochene dann in der Folge nur noch als ein gelangweilter Stichwortgeber agiert. Andere Gedichte beginnen mit Anrufungen wie “He”, “Hallo” oder “Hömma”, die sich konkret natürlich an das Gegenüber im Text wenden, damit gleichzeitig aber auch eine Aufforderung an Leser- bzw. Hörerschaft richten.
Der Band ist in drei etwa gleich lange Abteilungen gegliedert, deren Titel sich jeweils aus einem Gedichtzitat speisen. Diese Kapitel grenzen sich thematisch allerdings nicht spürbar voneinander ab. In einen chaotischen Dschungel aus Traum, Verlust, Absturz und Selbstironie wird die Leserschaft hineingeworfen und schwimmt unmittelbar mit, wenn die Protagonisten zu interagieren beginnen. Das ist das überraschend Fesselnde, das Jonis Hartmanns Verse auszeichnet. Gleich im ersten Text geht es um die lakonische Ankündigung eines Selbstmords:
“Aber deine Sorgen die / Möcht ich nicht // Ich auch nicht ich / Geh jetzt springen // Alles klar / Wir sehen uns dann”
Das letzte Gedicht des ersten Drittels, welches den beziehungsreichen Titel “Wo man sich trifft / Wenn man Ufos gesehen hat” trägt, nimmt dieses Suizidmotiv mit einer vom kurzen Text selbst nicht begründeten, sondern vorausgesetzten Hoffnungslosigkeit wieder auf:
“Kehr wieder // Es ist ein Wehen / In der Welt // Genau // Wir haben nur noch uns // Das ist mir zu viel / Ich geh mal los / Stromab ist eine Stelle”
Was anrührt ist wie bei allen guten Gedichten auch bei Hartmann das nicht Ausgesprochene zwischen den Worten als nackten Bedeutungsträgern. Die Form dieser Texte tut ein Übriges. Zwar sind klare, scheinbar strophisch gegliederte Abschnitte erkennbar, und jede Zeile beginnt als kleine Reminiszenz an vergangene Tage mit einer Majuskel, aber da es sich praktisch immer um direkte Rede handelt, die einer oder einem der Agierenden zugeordnet werden kann, wäre theoretisch auch eine dramatisierte Darstellung wie in einem Rollenbuch denkbar gewesen.
Dieser Effekt wird unterstützt durch die oft surrealen Szenerien, von denen die Rede ist. So unterhält sich beispielshalber im Gedicht “Ein Hafen in jedem Mädchen” ein im Baumhaus Sitzender mit jemand, der darunter vorbeikommt:
“He wo / Gehst du hin? / Willst du dich nicht zu mir setzen? // Nein wie du siehst / Befind ich mich in einem / Einkaufswagen und stak mich / Mit dieser Stake hier durch / Die Straßen [...]”
Wie schon der Titel des Gedichts andeutet, spielt Jonis Hartmann mitunter einfach auch gern mit den Leseerwartungen seines Publikums. So lässt er in “Graf Saint” den Fliegerdichter (oder zumindest eine Figur, die sich für de Saint-Exupéry hält bzw. ausgibt) abgegriffene Sentenzen aus dem “Kleinen Prinzen” rezitieren und kommentiert sie durch ein gossenhaftes Gegenüber (auch dieser Dialog spielt offensichtlich im Obdachlosenmilieu):
“Warum hast du das getan? / Der Wagen hat gut gerollt / Mit den neuen Rollen / Rollt er nicht mehr so gut // Das Wesentliche ist / Für die Augen unsichtbar // Das ist eine Antwort / Graf / Dafür verpass ich dir eine”
Charakteristisch ist dabei, dass in Hartmanns Gedichten Träumer und Phantasten regelmäßig an den knallharten Reaktionen ihrer jeweiligen Gegenüber scheitern, obwohl diese Antagonisten sich in einer sozial ähnlich zurückgesetzten Rolle befinden. Nicht die “Gesellschaft” zerstört oder verunmöglicht Kommunikation, sondern die nicht zu überwindende Einsamkeit des Individuums.
Das Lachen, das einem mitunter im Hals steckenbleibt, wird nicht selten ausgelöst durch die völlig ausgeblendete political correctness, die momentan wieder so sehr in die Diskussion geraten ist. In einem Gedicht über Geschlechtsumwandlung heißt es zum Beispiel:
“Ronny hat sich / Ändern lassen // Wie? // Er hat jetzt eine Hmhm // Oho dann // Nichts wie hin // Mensch / Andreas / Hast du vergessen wie / hässlich Ronny war?”
Statt eines begleitenden Nachworts hat die Kollegin Lütfiye Güzel aus Versatzstücken der Gedichte von Jonis Hartmann mit “vor angst zerbrochen” eine lyrische Collage geschaffen, die eindringlich die den Texten innewohnende rauhbeinige Poesie und Verzweiflung zusammenfasst. Sie endet mit den Worten (in der Güzel gemäßen konsequenten Kleinschreibung):
“wir zählen die kacheln / immer dieser alptraum / vor angst zerbrochen / meinst du / sie retten uns?”
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