Der Maulkorb, Ausgabe 16
„Der Maulkorb. Blätter für Literatur und Kunst“ ist eine Zeitschrift aus Dresden, in der vor allem Lyrik und ein bisschen kürzere Prosa abgedruckt werden. Zusätzlich gibt es in jeder Ausgabe zahlreiche graphische Drucke, mit denen die Werke von einem oder mehreren bildenden Künstlern präsentiert werden. Das Heft selbst ist nur etwas größer als ein Taschenbuch. Die Ausgabe #16 erschien im Winter 2015. Die teilweise interessanten, mit Formversatzstücken arbeitenden graphischen Werke in dieser Ausgabe stammen von Manja Barthel. (Die folgenden Einteilungen sind lediglich für das bessere Lesegefühl gedacht und nicht der Zeitschrift entnommen, ebenso die Überschriften)
I – „Wohin ich sehe ist eine Jahreszeit“
Das Heft beginnt mit 5 sehr reduzierten Gedichten von Constanze Böckmann, die auf gediegene Art und Weise nichts Ansichtiges zu sagen haben. Es sind Versuche von Sinnzuspitzungen, die in ihrer Nahräumigkeit geheimnisvoll tun, aber letztlich zu wenig ermöglichen. Sie berichten von der Ankunft einer Verdichtung, die dann nicht geschieht.
Als nächstes: drei aufeinander abgestimmte Gedichtzyklen von Martin Piekar („Wolkenformnationen“, „Wolkenformstationen“, „Wolkenformrationen“), bei denen ich mir nicht sicher bin. Mir gefällt, dass diese Gedichte in Bewegung bleiben und ihr Sujet spielerisch zwischen Sprachmaterial und Aussage halten. Politik, Grenzen, und viele Wenns und Abers reichen sich die Hand. Es gelingt etwas, keine Frage. Und was gelingt, ist flüchtig wie das, was man in Wolken sieht.
Die Gedichte von Roman Israel (der einen interessanten Roman geschrieben hat, anscheinend) haben einen gewissen Drive, einen Groove. Aus dem ersten Gedicht „Halt an Luft, moj kapitan“:
daher du kommst mit
Sack voll Luft ---
wo du gewejsen bist verdammt?
mit diese Blick von Dackelhund &Luft starrköpfig knetbar teig-
Mürb Luft u. Hagel u. Donner
ja die du bringst mit und
Mücken die du bringst mit
Ambitioniert wirkt das, der eigene Duktus ist eingängig und macht etwas auf, wirkt aber auch vertrackt. Mir gefällt das letzte der drei Gedichte besser: Es hält den Ball flacher und endet mit den Worten:
hat einer zufällig zeugen
für ein ufo gesehen?
II – „ach das: Schon immer so“
Es gibt Sachen, die schon immer so waren/sind. Sie sind schon so, wenn du auf die Welt kommst und du kannst dir nicht vorstellen, dass sie einmal anders waren, weil das auch nicht im Geschichtsunterricht drankam oder in den fernen Erinnerungen der Großeltern anders dargestellt wird. Dazu gehören einfachste Erscheinungen der Umgebung, in der du aufgewachsen bist. Dieses Thema verhandelt Steffen Royes kurzer Prosa-Text auf schlichte, unaufdringliche Weise. Mehr Blogeintrag als Kurzprosa, aber dennoch gelungen.
„Heimwerk“ heißt der nächste Text von René Markus:
Es mussten, es konnten nur seine Hände sein. Diese großen, rauen Hände. Wie sie langsam über das Holz glitten, es hart anfassten und gleich wieder streichelten. Wie sie den Schraubenzieher jonglierten, ihn zwischen den Fingern balancierten und zielsicher auf den Schraubkopf setzten. Wie sie einem hartnäckigen Brett einen kurzen Schlag gaben, um seinen Widerstand gegen das Eindringen der Stifte zu brechen und es endgültig in Position zu bringen.
Es ist eine einfache Geschichte um das Gefühl des Defizitären. Teilweise sprachlich sehr dicht, wenn auch nie der klaren Sicht auf die Vorgänge enthoben, und mit dem Blick für die wichtigen Elemente des eigenen Erzählens, schmucklos geradezu. Auf unaufgeregte Weise lesenswert.
Man kommt fast nicht umhin für die folgenden Gedichte von Isabel Arndt eine gewisse Zärtlichkeit aufzubringen. Sie spüren dem nach, was an Idylle im Selbstverständlichen liegt und umgekehrt. Sie langen nach etwas, fast vergeblich. Und machen schöne Verse wie:
wie die bäume
Ihr laub abwerfen
mit einem kopfschütteln
III – Pellkartoffeln, Eier und Träume
Das Gedicht, an dem ich in dieser Ausgabe am längsten hängenblieb (und nicht aus Gründen der Irritation), ist Philip Krömers „lucidum intervallum“. Kein besonderes Gedicht. Und doch besonders. Nicht eindringlich. Und doch eindringlich. Ein Gedicht, bei dem man froh ist, dass es da ist, dasteht. Es hat keine großen Innovation zu bieten und trägt auch keine markige Metapher mit sich herum. Aber sein Wortlaut bricht das lesende Auge und jede kleine Idee wirkt auf eine unnachahmliche Weise. Ein schönes Stück.
Die Gedichte von Oliver Zorn tragen für meinen Geschmack etwas zu dick auf. Aber ein bisschen Rotz ist immer gut und auf ihre scheinrotzige Art haben seine Zeilen Charme:
Pellkartoffeln und Eier stehen auf meinem
Fensterbrett im Erdgeschoss.
Es ist warm und ich bin fröhlich.
Ein anderer Dichter, Tony Böhle, schreibt dagegen unterm Titel „Träume“ weit abstrakter:
in ihren amorphen Phasen
wachsen sie
hinweg
über Atemwolken und Bittermandelbitten nicht
um Erlaubnis
schlagen Metastasen
in den Tag
Ich weiß ja nicht, wie es andere sehen, aber ich finde, wenn man Gedichte über Träume hört, die nur komplex genug sind, hört es sich fast immer irgendwie richtig an und fast immer zu leicht.
IV – Das portugiesische Kaninchen als Bestsellerautor
Vom Duo redlifedeadline sind zwei durcheinandergemischte Skripts von Interviews abgedruckt. 163 davon haben sie im Schaubudensommer 2011 in Dresden, unter dem Titel „Woher komme ich? Wohin gehe ich? – 10 Minuten deines Lebens“, gemacht. Später wurde daraus dann ein Hörspiel, dessen Inhalt bei jeder Aufführung variiert wird. Keine Überraschungen, aber interessante Idee, nettes Ergebnis.
Ob ich wisse, dass Kaninchen auf Portugiesisch genauso heiße wie ein brasilianischer Erfolgsautor, der bevorzugt von frustrierten Hausfrauen und sinnsuchenden Sonderschullehrern konsumiert werde?
Matthias Engels Text „Der Waldläufer“ – ein kleines, postironisches Wandergespräch, in dem enzyklopädisch-literarisch die Bälle hin und her gespielt werden – ist ein Text, der einfach Spaß macht. Man lacht sich nicht tot, ist aber amüsiert vom Widersinn und Sinn der Unterhaltung (und ertappt auch in sich einen kleinen Nerd). So einen Text braucht eigentlich jede Literaturzeitschrift. Man muss schließlich wissen, dass es im Werk von Ernst Jünger vor Dachsen, Affen, Mäusen und anderem Getier nur so wimmelt!
Und jeden Abend dreht der Tag
den schweren Körper
auf mein Sehnen
Einen gewissen allegorischen Charakter auflegend, sind die Gedichte von Sigune Schnabel interessante Versuche, eine Ahnung im Verstand, eine Größe im Gefühl aufzublasen zu sprachlicher Benennung. Was als Beschreibung wirklich gelingt, will ich nicht abschließend bewerten. Aber für meine Begriffe versuchen die Gedichte zu weit zu treiben, was schon mit weniger gelungen wäre. Ansätze zu schönen Metaphern finden sich in jedem Fall.
V – „zu einem unausgedehnten punkt“
Die Schlussakkorde der Nummer: Gedichte von SAID (etwas undurchsichtig), Jörg Kleemann (nur einzelne Zeilen treffen wirklich einen Ton, lassen eine Verknüpfung von Sprache und Aussage erahnen) und Marlies Blauth (sanft, aber etwas zu flüchtig, zu wenig festmachend).
Ein Gedicht von Susanna Darabros, die schreibt:
rückwärts rattern die
Meilensteine der Zeit
Und noch jeweils ein Gedicht von Suse Schröder und Alexandra Bernhardt (beide gelungene Streiflichter) und das letzte von Janine Schneider. Es beginnt mit
Aus der Ruhe in die Bewegung und wieder zurück
Mit den Augen in die Umgebung, gleichzeitig Sog
Aktionen von innen gespürt, von außen gesehen.
und endet mit dem Satz:
Gefällt dir der Ausdruck „durch und durch“?
Ich mag es sehr.
Fixpoetry 2016
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Kommentare
Kritikerschelte über einen Absatz in IV.
Lieber Herr Brandt,
mir wäre es lieber, wenn aus Deutschland weniger Waffen exportiert, dafür mehr Gedichte geschrieben und rezensiert werden. Sie können auch ruhig so witzig kommentiert werden wie in folgendem Beispiel:
"Einen gewissen allegorischen Charakter auflegend, sind die Gedichte von Sigune Schnabel interessante Versuche, eine Ahnung im Verstand, eine Größe im Gefühl aufzublasen zu sprachlicher Benennung. Was als Beschreibung wirklich gelingt, will ich nicht abschließend bewerten. Aber für meine Begriffe versuchen die Gedichte zu weit zu treiben, was schon mit weniger gelungen wäre. Ansätze zu schönen Metaphern finden sich in jedem Fall."
Zwar eher unwahrscheinlich, dass der lustige Effekt freiwillig entstand, allemal wert, ihn zu kommentieren, finde ich ihn auf jeden Fall.
Schon der Einstieg ist köstlich. "Einen gewissen allegorischen Charakter auflegend". Ihr Landsmann J. M. Simmel betitelte seine Jugendnovelle "Begegnung im Nebel". Wollte er damit hilflos verblasene Prosa näher bezeichnen, in der ein Mensch um Ausdruck ringt, keinen finden kann, aber dennoch redet?
Der Rezensent fährt fort, als hätte er vier Monate nur Rilkebände gegessen, aber noch keinen bisher verdaut: "interessante Versuche, eine Ahnung im Verstand, eine Größe im Gefühl aufzublasen zu sprachlicher Benennung."
Wenn ich es recht verstand, will mir der Autor damit sagen: "Sigune Schnabel hatte nichts zu sagen und schrieb darüber drei Gedichte"?
"Was als Beschreibung wirklich gelingt, will ich nicht abschließend bewerten." Im Zusammenhang wirkt das wie ein vorsichtiger Rückzugsversuch. Warum sonst bewertet der Autor sonst durchgehend? Er deutet in meinen Augen damit an, dass wenig bis nichts gelang. Wer dennoch so schreibt, vermittelt Unsicherheit, Klartext zu bringen. Gleichzeitig schreibt man so von oben herab. Ich glaube nicht, dass seriöse Rezensionen dabei entstehen. Vielleicht will er auch nichts abschließend bewerten, weil es im unmöglich sein könnte. Das wäre ein Standpunkt, den auch ich gerade bei Lyrik bestens nachvollziehen könnte. Ich kann nicht mit jeder Lyrik viel anfangen. Dann würde ich allerdings kaum darüber schreiben.
"Aber für meine Begriffe versuchen die Gedichte zu weit zu treiben, was schon mit weniger gelungen wäre." Das wäre für sich eine Wertung, die als Feedback vielleicht hilfreich sein könnte. Würde sich mir dabei nicht der Verdacht aufdrängen, er schreibt zwar von den drei Gedichten allgemein, aber könnte eventuell in Wirklichkeit nur das erste, "Entfremdung" meinen?
Denn wer das zweite, "Am Hang" liest, findet beim besten Willen darin nichts Ausuferndes oder Überambitioniertes.
Am Hang
Wir fädelten Träume
auf Bergketten
und sahen sie in der Sonne glitzern.
Doch als wir starr
in ihre Richtung blickten,
fanden wir uns nicht mehr
in den Biegungen
unseres Weges.
Klare metaphorische Sprache. Im Gegensatz dazu die hilflos tastende Sprache des Rezensenten.
Ein Schenkelklopfer der Schlusssatz: "Ansätze zu schönen Metaphern finden sich in jedem Fall."
Ansätze. Köstlich. Vielen Dank, lieber Herr Brandt, für einen der lustigsten Verrisse, den ich seit langem lesen durfte.
Damit setzten Sie Maßstäbe!
Herzlich
Dieter Wallentin.
Ich gebe mich gescholten
Lieber Herr Wallentin,
haben Sie vielen Dank für Ihren Kommentar, der den Lesern hier auf Fixpoetry sicher nützlich sein wird. Ist ja immer schön, wenn man es mehr als einen Standpunkt gibt.
Um Sie nicht um eine Antwort zu bringen, hier ein paar Takte:
- Mir wäre es auch sehr viel lieber, wenn Deutschland mehr Waffen als Gedichte exportieren würde! Ich bin sogar der Meinung, dass keine Nation auf der Welt Armeen haben sollte und überhaupt Waffen nahezu überflüssig sind. Ich bin mir allerdings nicht sicher, was dieser Vergleich in diesem Zusammenhang verloren hat.
- Ich will gar nicht leugnen, dass sie da den Finger auf einige durchaus streitbare Stilblüten meinerseits gelegt haben (das Rilke-Bashing wäre dennoch nicht notwendig gewesen). Dass meine Formulierungen für ein bisschen Spott herhalten müssen stört mich nicht, wohl aber, dass Sie mir mangelnde Seriosität vorwerfen. Ich nähere mich literarischen Texten nun mal gerne auf verschiedene Arten. Manchmal bin ich dabei direkt, manchmal versuche ich eine einfühlende sprachliche Ebene ins Feld zu führen - was auch manchmal etwas nebulös wirkt, das mag sein, ich werde mich aber nicht dafür entschuldigen, manchmal neue sprachliche Wendungen zu probieren, um das, was ich sagen will, auszudrücken.
- was in Sachen Beschreibung in den Gedichten gelingt, will ich tatsächlich nicht abschließend bewerten, weil es nicht meine Aufgabe ist, den Stab über sie zu brechen; ich geben einen Eindruck wieder und keine Definition.
Dass die Haltung einen Rezensenten ein bisschen von oben herab kommt, ist, glaube ich, Berufsrisiko. Ich gebe zu: in diesem Abschnitt wirkt mein Stil etwas prätentiös.
Mir persönlich kommt das Gedicht "Am Hang" letztlich etwas überambitioniert vor. Das Gedicht präsentiert sich schon mit einem allegorischen Charakterzug, mit Exposition und einer daran anknüpfenden Schlussfolgerung, dem Aufzeigen eines Problems, das in metaphorischer Sprache mal eben aufgezeigt werden soll.
Das unbestimmte "Wir" ist schon mal ein Anzeichen für einen großen Anspruch, eine Ambition (wenn es um eine Beziehung oder eine kleinere Einheit geht, könnte man "Wir beide" sagen oder "Unsere Gruppe".)
Dieses "Wir" fädelt Träume auf "Bergketten" (auf laute Aufs und Abs) und sieht sie in der Sonne (Hoffnung? Frohlockung? Verklärung? Strahlen Träume nicht eigentlich von innen?) glitzern. Sehr gutes Bild. Warum es nicht dabei belassen?
Denn der zweite Absatz ist die Folge eines Versuches, das Gedicht noch sinnbildlicher, noch wichtiger zu machen und es bewirkt genau das Gegenteil. Die Bergkette, die eben noch schön in der Schwebe war zwischen Halskettengröße und Gipfelkolonne, wird eindeutig in die Ferne gerückt. Statt zu fädeln, starrt das "Wir" plötzlich, alle Bewegung ist aus dem Gedicht gewichen. Und in den letzten drei Zeilen wird das Klischee vom "eigenen Weg" bemüht. Die "Biegungen" sind dabei auch ein Problem: Sind Abzweigungen gemeint? Da wird ein gutes Anfangsbild für einen Fingerzeig aufgegeben, der letztlich nirgendwo hinweist. Und warum das Gedicht „Am Hang“ heißt, ist mir ehrlich gesagt auch schleierhaft, denn wo ist hier der Abhang, auch die Berge sind ja weit weg …
- Das meine Sprache dann und wann mit Mängeln und einer Überreizung von Begriffen behaftet ist, kann und will ich nicht leugnen. Ich versuche mich an Dinge heranzutasten, ich versuche Sachen auszudrücken. Ich bin nicht perfekt und treffe sicherlich nicht immer ins Schwarze. Nach der Lektüre ihrer Kritik würde ich nun sicherlich einiges anders formulieren, denn ich sehe durchaus die Diskrepanz zwischen dem, was ich sage und dem, was ich rüberbringen wollte. Aber man hat halt nicht immer den Luxus den Kommentar schreiben zu dürfen. Am Schreibtisch, wenn noch gar nichts geschrieben wurde, ist man erstmal allein mit seinem eigenen Kopf, hat nur seine eigenen Formulierungen. Man hat Erfahrungen und man feilt und arbeitet und manches Mal, da bietet sich anderen ein Text sperrig dar, der einem selbst glasklar alles zusammenzufassen schien, was man angesichts der Gedichte oder der Prosa empfand. Ich werde mich von daher immer über Äußerungen zu meinen Formulierungen freuen: sie erweitern mein Bild von ihrer Wirksamkeit und Aussagekraft und helfen mir dabei, immer noch ein besserer Rezensent zu werden. Mir dabei allerdings mangelnde Seriosität zu unterstellen, finde ich, ehrlich gesagt, wenig konstruktiv und „von oben herab“.
Ganz zuletzt freut es mich, dass meine Rezension immerhin dazu geführt haben, dass Sie sich für ein Gedicht, das Ihnen wichtig ist, eingesetzt haben. Das freut mich wirklich sehr, egal ob wir nun anderer Meinung sind und bleiben werden.
Herzlich
Timo Brandt
Gedichtinterpretation von "Am Hang"
Am Hang
Wir fädelten Träume
auf Bergketten
und sahen sie in der Sonne glitzern.
Doch als wir starr
in ihre Richtung blickten,
fanden wir uns nicht mehr
in den Biegungen
unseres Weges.
Ein prägnantes, fast schon lakonisches Beziehungsgedicht. Im Expose der zweites Strophe wirkt seine Sprache ohne weiteres schmückendes Beiwerk. Dass es (in meinen Augen) so gut funktioniert, ist für mich ein Hinweis, wie kraftvoll und poetisch die einzige im Text vorhandene Metapher funktioniert: "Eingefädelte Träume".
Hier wird in aktiven präsentischen Verbformen formuliert. Wir fädelten Träume auf Bergketten und sahen sie in der Sonne glitzern. Ein eigentlich ganz einfacher Satz entfaltet wundervolle poetische Wirkung. "Bergketten" ist keine Metapher, sondern ein Substantivkompositum, das häufig im Bereich des Gebirges belegbar ist. Man könnte annehmen, es hätte die Autorin inspiriert, erst Träume auf Bergketten einfädeln zu lassen. Damit dürfte es den Kern des Gedichtes darstellen.
"Am Hang" heißt: Die Beziehung ist weder ganz unten oder am Beginn, noch am Gipfel angelangt. Sie befinden sich irgendwo in der Mitte. Ihre Ziele bezeichnet das Gedicht als Träume. Hoffnungen, Wünsche. Wie Tau, der in der Sonne verdunstet. Solange Tau noch nicht verdunstete, glänzt er. Vielleicht schöner als Brillanten. Beide fädeln ihr Glasperlenspiel.
Die Gefahr, sich vom trügerischen Glanz blenden zu lassen und sich Illusionen hinzugeben, liegt darin, sich selbst und auch den Partner zu verlieren. Erhebliche Gemeinsamkeiten für eine tragfähige Partnerschaft sind unumgänglich. Die Träume im Text scheinen noch nicht den Realitätsabgleich bestanden zu haben.
Vielleicht kommen beide vom rechen Weg ab, verlieren sich in Abbiegungen, sehen den anderen nicht mehr, der vorausgeeilt sein mag. Die starren Blicke wirken auf mich, als wären beide eher ängstlich. Sensible Menschen sind manchmal tragische Naturen.
Ich stimme völlig zu, das Gedicht entfaltet aus einer einzigen Metapher in einem Expose eine Kurzgeschichte.
Dass Sie so locker und glaubwürdig mit Kritik umgehen, finde ich prima! Das hat mich sehr gefreut.
Neuen Kommentar schreiben