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Kritik

Rothko on tour

Eine kleine, feine Novelle über die Neurosen der Kunstwelt
Hamburg

Wäre Jelmer Verhooff nicht gerade zum Direktor des renommierten Hollands Museums in Amsterdam ernannt worden, könnte er durchschnittlicher kaum sein: Um die vierzig, geschieden, zwei Söhne, die bei der Mutter leben. Von diesem Abgrund der Mittelmäßigkeit  trennt ihn genau eine Amtszeit – eine äußert prekäre noch dazu, denn der Museumsflügel, in dem sich seine traumhafte Wohnung befindet, soll demnächst abgerissen werden.  Sechs Monate bleiben Verhooff, bis das Museum für drei Jahre geschlossen und renoviert wird.

Joost Zwagerman schlägt einen verspielt-ironischen Ton an, doch die Leere, in die der Protagonist seiner Novelle „Duell“ mit jedem falschen Schritt zu stürzen droht, ist stets spürbar. Einmal mehr beweist Zwagerman ein Faible für zutiefst melancholische, ja tragische Figuren im Zentrum einer leichtfüßigen Satire. Wahrscheinlich kannte der Autor diese drohende Leere selbst nur allzu gut: Nach einem langen Kampf gegen schwere Depressionen nahm sich der niederländische Autor im September 2015 das Leben. „Duell“ kann als sein Vermächtnis gelten.

In der sechsmonatigen Schonfrist, die Verhooff bleiben, um sich der Kunstwelt zu beweisen, organisiert er in Windeseile eine Ausstellung namens „Duell“, bei der 20 junge niederländische Künstler_innen in Dialog treten sollen mit Meisterwerken der klassischen Moderne aus dem Museumsdepot. Darunter die Konzeptkünstlerin Emma Duiker, die im Lauf der Geschichte zu Verhooffs Gegenspielerin avancieren wird. Ihr Beitrag zur Ausstellung besteht darin, eine täuschend echte Kopie von Mark Rothkos (fiktivem) Werk Untitled No. 18 anzufertigen: keineswegs eine „postmoderne Spielerei oder ein Fälschungsscherz, sondern es ging um die Offenlegung der Entstehungsgeschichte eines Kunstwerks“. Verhooff ist skeptisch, aber auch fasziniert.

Als ihm allerdings acht Monate nach „Duell“ sein Chefrestaurator mitteilt, dass Untitled No. 18 klammheimlich durch Duiker Nummer eins ersetzt wurde, versteht Verhooff keinen Spaß mehr. Doch da hat das persönliche Duell zwischen Verhooff und Duiker längst begonnen, und wer am längeren Hebel sitzt, ist noch längst nicht entschieden.

Trotz der Kürze des Novellenformats schafft Zwagerman zumindest zwei Figuren neben Verhooff genügend Raum, um sich voll zu entfalten. Zum einen der geheimnisvollen Emma Duiker und ihren „spielerischen Absichten“. Denn natürlich ist sie keine ordinäre Diebin, sondern plant ein ganz besonderes Projekt mit Untitled No. 18 in der Hauptrolle: Der 30 Millionen schwere Rothko soll anonym durch ganz Europa reisen. Ihr künstlerisches Statement: „Ich gebe Rothko den Menschen wieder.“ Als Verhooff sie konfrontiert, lässt Duiker eine Polemik los, der sich weder die Leser_innen noch der nervöse Museumsdirektor völlig entziehen können. Gegen die Praxis, originale Kunstwerke lediglich einer privilegierten Elite zum Betrachten aus respektvollem Abstand und hinter Glas zur Verfügung zu stellen. Gegen den Trend, mit allen möglichen affigen bis zerstörerischen Performances Skandale zu provozieren, nur um sich schließlich doch den musealen Ritterschlag verleihen zu lassen. „Warum sollte man nicht einmal Kunst aus dem Museum hinaustragen?“ beendet sie ihre Suada mit einer der ganz großen Fragen nach dem eigentlichen Sinn der Kunst.

Am anderen Ende des Spektrums befindet sich Olde Husink, ein Restaurator alter Schule und heimlicher Misanthrop, für den Menschen in erster Linie eine potentielle Gefährdung der Kunst darstellen. Im Lauf des Geschehens bekommt er mehrfach Gelegenheit, gegen die Degradierung seiner Zunft zu „Laufburschen, die zum Supermarkt oder gar zum Trödelladen geschickt werden“ anzuwettern und sich über neumodische Objektkunst und Installationen auszulassen, bei der es nicht mehr um sorgfältige Reinigungsprozesse geht, sondern vielmehr darum, täglich ein paar Blättchen Rucola zu erneuern.

Wie hier vielleicht schon deutlich wird, sind sämtliche Figuren in „Duell“ Besessene – jeder auf seine eigene Weise. So amüsant es ist, sie das gesamte Spektrum zwischen Lächerlichkeit, Idealismus, Verzweiflung und Wahn durchlaufen zu sehen – ab und an möchte man sie auch einfach nur packen und fragen: „Ist das noch Fetisch oder schon Neurose?“

Die Vorstellung, dass ihr wertvollstes Stück unter völlig inakzeptablen Transportbedingungen durch Europa tourt und ungeschützt in Provinzbibliotheken, Schulen und Gefängnissen hängt, ist für Verhooff und Husink jedenfalls unerträglich. So begeben sie sich auf eine wahnwitzige Odyssee durch Slowenien, um in einer Nacht- und Nebelaktion den Rothko eigenhändig wiederzubeschaffen. Natürlich geht einiges schief; jedoch sind es vor allem Verhooff und Husink selbst, die mit ihren absurden Rettungsaktionen alles nur noch schlimmer machen. Bis zu dem Punkt, an dem alles verloren scheint und der verzweifelte Museumsdirektor mit dem zusammengerollten Gemälde unterm Arm durch einen Flughafen hetzt, während der unter extremer Flugangst leidende Restaurator völlig stoned in einer Ecke liegt: „Leben in einer aufgerollten Wirklichkeit“ fasst Zwagerman die außer Kontrolle geratene Situation treffend zusammen.

Hinzu kommt, dass sich die Machtverhältnisse – mit Duiker und Verhooff an der Spitze – laufend verschieben und man selten weiß, wer eigentlich gerade die Fäden zieht. Eine Ambivalenz, die sich auf Verhooff überträgt. Als er den Rothko in einer slowenischen Dorfschule für lernbehinderte Kinder hängen sieht, überkommt ihn unwillkürlich doch so etwas wie Bewunderung für Duikers Mission: „Großartige Kunst an stillen Orten gedeihen zu lassen, so dass die Masse nicht länger zur Kunst aufschauen musste, eine Masse, die in vorprogrammierter Bewunderung durch ein Reservat namens Museum schlurft.“ Immer öfter plagen ihn Zweifel. Rettet er hier gerade ein Kleinod, oder macht er Duikers revolutionäres Lebenswerk zunichte? Ist Duiker eine aufmerksamkeitsgeile Möchtegern-Künstlerin oder vielmehr eine quasi heilige Idealistin?

Dass der selbsternannte Bewahrer der hohen Kunst das gerettete Stück schließlich eigenhändig zerstören wird, erscheint im Rahmen der poetischen Gerechtigkeit beinahe logisch, wenn nicht zwingend. Letztendlich muss sich Verhooff fragen, ob er nicht von Anfang an ein Teil des Duiker’schen Projekts gewesen ist – ein weiterer Twist, den der Autor mit sichtlichem Vergnügen eingebaut hat.

Vor allem Kunstliebhaber_innen und Kenner_innen der Museumswelt werden Spaß an diesem Büchlein haben. Immer wieder stellt Zwagerman die Frage nach dem Verhältnis von Original und Reproduktion, Marktwert und ästhetischem Wert. Egal, ob man angesichts gehypter Konzeptkunst  à la Damien Hirst, Tracey Emin und Co. ins Schwärmen oder Kopfschütteln gerät – Zwagerman verkehrt das eine wie das andere ins Absurde, um uns schließlich mit einem Augenzwinkern zu entlassen.

 

Joost Zwagerman
Duell
Aus dem Niederländischen und mit einem Nachwort von Gregor Seferens
Weidle Verlag
2016 · 160 Seiten · 17,00 Euro
ISBN:
978-3-938803-81-3

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