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Kritik

Gummibärchen im Treibsand

Ein Rapper sucht Rosinen und findet recht wenig. Joshua Groß‘ Novelle »Magische Rosinen« durchläuft eine quixotische Reise, die ihr eigenes Ziel nicht kennt.
Hamburg

Ein Burroughs-zitierender Rapper beginnt eine Affäre mit einer kommunistischen Bundestagsabgeordneten, die ihn nach New York schickt. Dort soll er mit Unterstützung eines dauerbreiten Junkies einen Wal finden, der so eine Art Schlüsselfigur für die Weltrevolution darstellt. Beziehungsweise die magischen Rosinen, die Drogentee süffelnde Außerirdische einst auf die Erde brachten, um für Frieden zu sorgen. Der entscheidende Hinweis auf deren Verbleib findet sich auf der B-Seite einer gelöschten 7“ der Magic Raisins, einer Dinosaurier-Rock-Band, deren größter Fan eben jener junge Rapper Mascarpone ist. Ein paar Schüsse fallen zwar, letzten Endes schmeißen er und sein Kumpane Sergio aber nur vergeblich ein paar Gummibärchen in den Treibsand.

Joshua Groß‘ zweite Veröffentlichung nach seinem Debütroman Der Trost von Telefonzellen aus dem vorigen Jahr will auf kleinem Raum viel aufarbeiten. Seine Novelle aus dem Spätkapitalismus, wie es der Untertitel verspricht, hat sich eine Pynchoneske, alternative Geschichtsschreibung zum Ausgangspunkt gesetzt und versucht, deren utopischen Spuren in eine verworrene Gegenwart zu legen. Wie nebenbei erzählt Groß noch eine verquere Liebesgeschichte inklusive fast tödlich endendem Eifersuchtsdrama und probiert sich an einer post-modernistischen Zusammenbringung von Fakt und Fiktion, Politik und Pop, Kapitalismus und Rausch. Zu allem Überfluss wird der Rapper Mascarpone, den seine Liebhaberin Sahra Wagenknecht auf eine skurrile Reise schickt, als messianische Figur inszeniert. Immerhin nicht wie Jesus, dafür aber wie 2Pac, mit tiefhängenden Hosen und hochgepushtem Ego.

Wie bereits in Der Trost von Telefonzellen stehen dem Text Bilder des Fotografen Philippe Gerlachs beiseite. Es sind grobkörnige Schwarz-Weiß-Aufnahmen von überwiegend menschenleeren Landstrichen aus dem New Yorker Umland, die Verwüstungen der Überflutung des Jahres 2012 liegen offen wie eine Wunde da. Es sind stimmungsvolle, bedrückende Bilder. Ihre Verbindung zu Groß‘ Novelle allerdings bleibt weitestgehend – zumindest Gerlach hat allerdings den Wal gefunden – nicht nachvollziehbar. Eher setzen sie einen tristen Kontrapunkt zum knalligen Geschehen der Magischen Rosinen und Groß‘ spurigem Tonfall zwischen Beat-Literatur und Bordsteinkante.

Wenn Groß Fehler unterlaufen wie etwa von einer »Baseline« statt wie korrekt einer Bassline zu schreiben und er seinen »verehrten und verwirrten« Rapper »zig Särge« auf »Frischkäse« reimen lässt, dann säuft seine markige Sprechhaltung so quälend langsam ab wie die Gummibärchen, die Mascarpone und sein zugedröhnter Kompagnon Sergio in den Treibsand von Queens schleudern. Das passt leider nur allzu gut zum zugleich schmalen wie überfrachteten Plot, der die »aromatisierte Fee von Planwirtschafts Gnaden« Sahra Wagenknecht auf einer Toilette des Bundestages onanieren lässt oder ihrem eifersüchtigen Ex-Geliebten Mr. Korn in bester Girls-Manier ein Wattestäbchen durchs Trommelfell treibt. Groß will viel, es bleibt aber bei den Versprechungen.

Die quixotische Geschichte von einem, der auszog und auf der Strecke viele Joints durchzog, sie endet dementsprechend enttäuschend. Nicht allein, weil der heraufbeschworene Spätkapitalismus sich durchsetzt, sondern weil sie von Anfang an kein nennenswertes Ziel hatte.

Joshua Groß · Philippe Gerlach
Magische Rosinen
Die Geschichte von Mascarpone und Sahra Wagenknecht
Herausgeber: Manfred Rothenberger und Institut für moderne Kunst Nürnberg
starfruit publications
2014 · 96 Seiten mit 16 doppelseitigen Schwarzweißabbildungen · 17,90 Euro
ISBN:
978-3-922895-25-1

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