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Kritik

Was es aus uns macht

Hamburg

Im jungen Leipziger Verlag Reinecke & Voss sind zuletzt einige Bücher erschienen, ohne die ich nicht mehr leben möchte. Das klingt pathetisch, ist aber so. Denn es handelt sich um Bücher, die geradezu wie für mich gemacht scheinen, weil sie so etwas wie eine Sehnsuchtslücke in meiner Lektüreliste füllen. Sie lassen mich verstehen, weshalb Sprache, bei alle politischen Verwerfungen und diktatorischen Transformationen immer noch etwas ist, worin man sich verlieren kann, einerseits in eine Vorstellung von Sprache selbst und andererseits in eine konkrete, ständig bedrohte Sprache, wie das Wendisch oder Sorbisch eine ist.

Um ein wenig auszuholen:
Irgendwann kam ich in ein Alter, in dem die Frage danach, was ich als nächstes studieren sollte, merkwürdig klang und ich brachte fortan viel Energie auf, sie zu überhören. Dabei hatte ich mich schon lange damit abgefunden, dass ein Studium für mich hinsichtlich der Berufsperspektive ohne Belang ist und hatte mich im Stand eines Wissenssammlers eingerichtet. Eine Unikarriere strebte ich nicht an, denn der von meinen Mitdoktoranden gesprochene akademische Akzent lud mich nicht gerade ein, im Diskurs auszuhalten.

Um den  folgenden Müßiggang zu strukturieren, und mich ein einem  Zustand relativer Zufriedenheit zu halten, sollte ich die Türen vernageln, den Kontakt zu Menschen gänzlich meiden, das Telefon abstellen, und offline gehen, wie es so schön heißt. Unmöglich also, denn schon der Pizzabote erscheint einem in Zeiten der Einsamkeit wie eine Litfaßsäule, auch wenn er nur ein einziges Wort auf seiner Jacke stehen hat zu allem Überfluss das Wort: Uno. Und schon sind wir im Kern des Problems.

Die Begegnung mit Buchmanns Texten, die mir nun der Verlag Reinecke & Voss bescherte, sind dazu geeignet mein Wissenschafts- und Weltbild auf den Kopf zu stellen. (sic!) . Nicht der Gebrauch lässt mich die Dinge erkennen. Das sprechende Tier wird sich der Schönheit der Sprache bewusst, indem er sie betrachtet. Der Philologe als solcher ist Müßiggänger, so scheint es. Und aus seinem Müßiggang heraus entstehen ihm Sätze über den Gegenstand, den er liebt, über die Sprache. In Buchmanns  „Grammatik der Sprachen von Babel“ wird die Sprache nicht, wie sonst üblich, in ein nationalsprachliches Korsett gepresst, und auch nicht als Phänomen, dass sich mehr oder weniger organisch durch die Zeiten hindurch zu einer Nationalsprache geformt hat, dass gleichsam der natürliche Ausdruck eines Kulturraums ist.

Sprache erscheint dem Leser auch nicht als Referenz irgendeines Vorsprachlichen. Natürlich rennt man mit derlei Gedanken bei Strukturalisten, Poststrukturalisten und Postpoststrukturalisten offene Türen ein, aber die Art in der das geschieht ist an Eleganz nicht zu überbieten. Und Eleganz hat einen Erkenntniswert, wie Schönheit die Wahrheit erst ins Licht rückt.

Im zweiten hier angeführten Text geht Buchmann einem Schritt weiter, in dem er eine real existierende Sprache, das Sorbisch oder Wendisch aus einem Zustand doppelter Bedrohung begreift. Einerseits durch  die erdrückende Übermacht des Amtsdeutsch und andererseits durch die paternalistischen Rettungsversuche der Mehrheitsgesellschaft, die sich genau jener amtsdeutschen Wendungen bedient.

Und so scheint es fast wie ein Wunder, dass die Wendische Sprache über die Jahrhunderte fortexistierte, in denen ihr Sprachraum selbst immer kleiner wurde, und, weil sich unter einem Großteil  des wendischen Siedlungsgebietes Braunkohlelagerstädten befinden, auch abgegraben. Was nach der Flutung der Tagebaugebiete zu Vogelschutzinseln und Heimatmuseen mit Artefakten der sorbischen Kultur führte.

Aber es geht bei der Betrachtung der Sprache aber eben nicht ums Museale. Das kommt in einem Märchen zum Ausdruck, das im Buch erzählt wird und das unterm Holderbusch heißt. Es wird mit einem wendischen Sprichwort eingeleitet: „Das wurstene Ende der Geschichte ist abgerissen, nur noch der Zipfel des Märchens hängt am Baum.

Hanzo führt den namenlosen Icherzähler im Buch durch Geschichte und Gegenwart der wendischen Sprache. Und an einer Stelle bemerkt eben jener Hanzo, dass Deutsche, die nicht sorbischer Abstammung sind, ihre Kinder trotzdem an Sorbische Schulen schicken. „Warum tun sie das? Wenn du mich fragst: Unsere Sprache ist eine Sprache der Hoffnung. Sie war niemals die Sprache der Macht, wer sie spricht, tut es aus Liebe.“

Jürgen Buchmann
Encheiridion Vandalicum
oder das Buch von den Wenden
Reinecke & Voß
2012 · 76 Seiten · 10,00 Euro
ISBN:
978-3-942901024

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